Fridays for Future vor der Oberbürgermeisterwahl in Hannover 2019. In diesem Jahr stehen wieder mehrere entscheidende Wahlen an.Bild: NurPhoto / NurPhoto
Gastbeitrag
Line Niedeggen, gastautorin
Mitte März startet das sogenannte Superwahljahr mit gleich drei Wahlen in Deutschland. In Hessen finden Kommunalwahlen statt, während in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg der Landtag gewählt wird. Die Wahlen betreffen insgesamt über 15 Millionen Wahlberechtigte. Das sind 25 Prozent derer, die auch im September bei der Bundestagswahl mitentscheiden können, ob wir mit Mut zur Veränderung in die nächste Legislaturperiode starten.
Im März entscheiden sie, ob eine grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg abgewählt wird, eine Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz erhalten bleibt und ob die hessischen Kommunen Veränderung lokal starten. Dass keine einzige Regierung es bisher geschafft hat, einen 1,5-Grad-konformen Weg einzuschlagen, ist lange kein Geheimnis mehr. Die grün angeführte Regierung in Baden-Württemberg stockt massiv beim Ausbau erneuerbarer Energien und zeigt auf, dass uns vermutlich auch keine schwarz-grüne Koalition im Bundestag retten würde.
Alle zwei Wochen melden sich Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort, um zu zeigen: Wir können noch etwas gegen den Klimawandel tun – wenn wir jetzt handeln.
Wenn ihr diese Worte hier lest, erwartet ihr vermutlich eine Aufforderung, fürs Klima zu wählen. Eine Aufforderung, an die Zukunft und die Kinder zu denken, globale Verantwortung anzunehmen und Klimaschutz zum wichtigsten Faktor der Wahlentscheidung zu machen.
Doch wie soll das möglich sein, wenn keine einzige Partei einen überprüfbaren Plan zur Eindämmung der Klimakrise auf die existenzsichernden 1,5 Grad hat, und sein Kreuz bei der Wahl zu setzen damit nie genug sein wird? Es wird nicht ausreichen, weil der dringend benötigte Wandel, der unsere Gesellschaft gerecht, zukunftsfähig und klimaneutral machen soll, nicht aus einem Wahlversprechen alleine entstehen wird.
Wir müssen reden
Wie also können wir gemeinsam diesen Wandel möglich machen? Indem wir darüber sprechen, wählen gehen und weiterhin Veränderung fordern. Wir als Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten mit euch, ihr mit euren Familien, alle mit ihren Freundinnen und Freunden beim Corona-konformen Spaziergang. Die Talkshowmaster mit den Politikerinnen und Politikern, Enkel mit ihren Omas, Gewerkschaften mit Konzernchefs, Klinikpersonal mit Patientinnen und Patienten.
Die Diskussion über die Wirtschaftshilfen zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie ist nicht nur eine Frage für Wirtschaftsvertreter – sie ist eine Diskussion über die Zukunft unserer Gesellschaft, darüber, welche Technologien, welche Unternehmen, welche Ideen unsere Gesellschaft gerecht und zukunftsfähig gestalten können.
Line Niedeggen, 24, aus Heidelberg und ist seit 2019 Aktivistin bei Fridays for Future. Sie beschäftigt sich neben Klimaphysik auch mit der Verknüpfung von Antirassismus und Klimagerechtigkeit.bild: privat
Lasst uns also miteinander sprechen. Wir haben lange genug von unseren Protesten auf der Straße aus an die Politik appelliert. Jetzt braucht es eine ehrliche Debatte auf Augenhöhe. Große Veränderungen können nur auf große Debatten folgen.
Klima ist nicht eines von vielen Themen, das es zufällig aufgekommen ist. Dürren, ansteigende Meeresspiegel und Rekord-Taifune gibt es nicht erst, seit Greta Thunberg bei der Weltklimakonferenz gesprochen hat oder im September 2019 über sieben Millionen Menschen weltweit für Klimagerechtigkeit protestiert haben.
Klima ist auch nicht eines von vielen Themen, welches gegen andere Fragen abgewogen werden muss. Wenn wir von Klimagerechtigkeit sprechen, bedeutet das, dass Klimamaßnahmen stets soziale Gerechtigkeit fördern müssen – und andersherum genauso.
Denn Krisen können nicht gegeneinander ausgespielt werden, wenn sie zusammenhängen. Keine Maßnahme zur Bekämpfung des einen Problems sollte ein anderes verschlimmern. Es gibt keine Abwägung von Klimaschutz gegen Arbeitsplätze. Die Forderung, auch zukünftig Arbeitsplätze zu sichern, heißt zum Beispiel, anzufangen, darüber zu sprechen, wie und wann der Verbrennungsmotor in Deutschland beerdigt wird und Platz für zukunftssichernde Jobs macht.
Parteien an den gleichen Maßstäben messen, statt sie gegeneinander ausspielen
Lasst uns jetzt darüber sprechen, wie wir vorangehen und die Transformation umsetzen können, anstatt sie infrage zu stellen. Denn wie bei Corona gilt: Je länger wir mit den Maßnahmen warten, desto radikaler werden sie sein. Lasst uns über die Vielzahl an Vorschlägen sprechen, die zeigen, wie wir bis 2030 alle Industriezweige mit 100 Prozent erneuerbarem Strom versorgen können. Statt Verneinen und Aufschieben, sollten wir uns nicht selbst aufhalten den sozial-gerechten Weg zu gehen.
Baden-Württemberg zum Beispiel muss kein Autoland bleiben. Es gibt genug Züge, Fahrräder und zugehörige Technik, die darauf warten, gebaut zu werden. In Rheinland-Pfalz steht das größte LKW-Werk der Welt, das auf handfeste Pläne wartet, nicht in wenigen Jahren perspektivlose Jobs zu bieten. Und auch in Hessen haben wir vergangenes Jahr im Dannenröder Wald gesehen, dass an jeder neuen Autobahn ein Weg vorbei führen muss.
Lasst uns also bei allen Wahlen darüber sprechen, welche Koalitionen gemeinsam stark agieren können und alle an den gleichen Maßstäben messen, anstatt Parteien gegeneinander auszuspielen. Das bedeutet zum Beispiel, zu fragen, wer sich für eine Beschleunigung des Windkraftausbaus einsetzt und für flächendeckenden, sozial-gerechten öffentlichen Nahverkehr. Wer die Schulden, die wir jetzt in der Pandemie aufnehmen, auch so zukunftsfähig investiert, dass später nicht doppelt draufgezahlt wird. Wir müssen also darüber sprechen, wie den Menschen, die heute schon besonders stark von Krisen wie der Klimakrise betroffen sind, ein Platz am Entscheidungstisch sichergestellt wird.
Lasst und darüber sprechen, welche konservativen und rechten Kräfte bisher konsequenten Klimaschutz aufgehalten haben und den Status Quo mit aller Macht erhalten wollen. Viele Entscheidungen werden aus Angst davor, konservative und rechte Wähle zu verärgern, so abgeschwächt, dass sie die Lage verschlimmern und nicht verbessern.
Klimaschutz als Menschenschutz begreifen
Fürs Klima wählen heißt also nicht einfach Grün wählen, sondern für Gerechtigkeit und gegen Faschismus zu wählen. Wann hast du das letzte Mal mit deinen Eltern übers Klima diskutiert? Ging es um Fleisch, Autofahren oder Fliegen? Vielleicht sogar um die Frage Plastik oder Papiertüte? Diese Konsumdebatten lenken von den großen systemischen Fragen ab.
Lasst uns diese Diskussionen auf das nächste Level heben und über klimafreundliche Jobs, Post-Wachstum, Kohle- und Gasausstieg, Geothermie, Sanierungsraten und nachhaltiges Bauen sprechen. Je früher wir die großen Hebel in Bewegung setzen, umso mehr Zeit haben wir für die kleinen Transformationen.
Wenn wir Klimaschutz als Menschenschutz begreifen und uns schlicht und einfach hinter den grundlegenden Menschenrechten vereinen, ist es keine Frage mehr von Grün, Schwarz, Gelb oder Rot. Die wachsenden Ungerechtigkeiten sind alle miteinander verflochten und lassen sich nur gemeinsam, niemals gegeneinander bekämpfen. Deshalb heißt Klimagerechtigkeit Solaranlagen bauen – und gleichzeitig Moria evakuieren.