Veganes Essen ist auch heute noch mit einigen Vorurteilen belastet. Es sei zu teuer, sagen viele. Zu kompliziert in der Zubereitung und lediglich ein hipper Trend aus den Großstädten. Doch das muss nicht sein, findet Cornelia Weinzierl. Mit gerade mal 22 Jahren hat die Münchnerin ein Start-up gegründet, das die vegane Community zusammenbringen und erweitern soll – auch in den Kleinstädten. Mit melon ist es ihr gelungen, einen (virtuellen) Ort zu errichten, an dem sich Menschen verbinden und selbst gekochtes Essen miteinander teilen können.
Im Interview mit watson spricht die Geschäftsführerin und Gründerin über nachhaltige Ernährungsweisen, die Herausforderungen einer Unternehmensgründung und sie erklärt, warum es gerade während einer Pandemie so wichtig ist, sich gegenseitig zu unterstützten, im Austausch zu bleiben – und gemeinsam vegane Gerichte zu genießen.
watson: Wie kamst du auf die Idee, ein veganes Netzwerk zu erstellen?
Cornelia Weinzierl: Ich stand – wie viele junge Menschen in meiner Generation – vor einem Dilemma. Mir ist meine körperliche und geistige Gesundheit enorm wichtig, ich mache Fitnessübungen, meditiere, schreibe Tagebuch. Aber das Essen kam oftmals in meinem Alltag zu kurz. Gerade als Young Professional hat man super wenig Zeit und oft auch nicht das Wissen darüber, was gesund ist. Eine Wissenslücke über ausgewogene und bewusste Ernährung ist meist groß. Und das ist genau der Punkt, wo melon ansetzt.
Wie genau funktioniert melon?
Wir haben eine Community aufgebaut aus Foodbloger:innen, Ernährungsberater:innen und Köch:innen, aber eben auch aus Menschen, die es einfach lieben, zu kochen. Diese Menschen bieten als Privatpersonen auf melon ihre Gerichte an, welche dann über die Website oder die App direkt buchbar sind. So findet man ganz einfach Zugang zu köstlichen Gerichten, welche bequem von Zuhause oder vom Arbeitsplatz aus in drei Klicks vorbestellbar sind. Über melon ist das Kennenlernen und der Austausch mit den anderen Community-Mitglieder:innen auch problemlos möglich. So kommt man mit Menschen ins Gespräch, die sich tagtäglich mit Ernährung und Kochen auseinandersetzen und eine Leidenschaft dafür haben.
Die Idee zu melon ist entstanden, weil ich selbst bewusste Ernährung in meinen Alltag einbauen wollte, ohne den Kontakt zu den Menschen hinter den Gerichten zu verlieren. Das konnte mir keine Plattform bieten – deshalb habe ich melon gegründet. Zusätzlich sind alle angebotenen Gerichte vegan und lokal, das Thema Nachhaltigkeit steht also im Einklang mit dem Konsumverhalten, das war mir ganz wichtig.
Warum war es dir denn so wichtig, dass dein Start-up nachhaltig ist?
Ich glaube, viele Menschen unserer Generation beschäftigen sich damit, was unser Konsumverhalten für die nachfolgenden Generationen bedeutet. Für viele ist es ein wichtiges Thema, dass die Befriedigung unserer Bedürfnisse nicht auf Kosten der nächsten Generation geht. Mit diesen Werten bin ich aufgewachsen und deswegen sollte melon auch diesem nachhaltigen Anspruch gerecht werden. Ich wollte einen einfachen Weg finden, um Nachhaltigkeit und vegane Ernährung für alle zugänglich zu machen.
Ist es günstiger, vegane Gerichte über melon zu bestellen, als vegan essen zu gehen?
Ja, total. Das Essen ist oftmals günstiger und außerdem frisch, gesund und mit Liebe gemacht. Denn es geht den Leuten auf der Plattform nicht um Profit, sondern darum, eine Community zu schaffen und sich gegenseitig zu unterstützen. Das kennt man vielleicht auch von sich selbst: Man will anderen und sich selbst etwas Gutes tun und also nimmt man beispielsweise Bio-Hafermilch. Anders als in Großbetrieben, wo jeder Cent zählt.
Du bezeichnest melon als purpose-driven Social-Dining Start-up, was bedeutet das genau?
Wir bezeichnen uns als purpose-driven, weil wir als peer-to-peer-Plattform, also von Privatperson zu Privatperson, die Themen Nachhaltigkeit und bewusste Ernährung ansprechen und Essgelegenheiten schaffen, die einen Perspektivaustausch möglich machen. Damit versuchen wir, Stereotype abzubauen und Vielfalt zu leben, jeden Tag.
Was sind denn die Stereotypen, die man mit pflanzlicher Ernährung assoziiert?
Dass es schwierig ist, nicht schmeckt und sehr viel Aufwand erfordert. Außerdem, dass man viel falsch machen kann und dass man an Proteinmangel sterben kann. Ich finde es prinzipiell gut, jede Ernährungsweise zu hinterfragen, weil Essen ein sehr intimes und wichtiges Thema ist. Aber es ist auch wichtig, dass man in einen offenen Diskurs geht und sich mit den Menschen wortwörtlich an einen Tisch setzt und sich damit befasst.
Und du würdest dir wünschen, dass beim Abholen der Gerichte oder beim gemeinsamen Essen ein Austausch stattfindet?
Genau, und das sehen wir auch auf der Plattform. Es gab schon einige Menschen, die sich Zuhause getroffen und das Essen gemeinsam gegessen haben. Das Feedback dazu war unglaublich toll – die Leute sagten, sie hätten Freundschaften geschlossen, sie kennen jetzt Leute in ihrer Nachbarschaft und unterstützen sich gegenseitig. Es ist einfach schön, in nächster Nähe Menschen um sich zu haben, die genauso denken und leben, wie man selbst.
Glaubst du, dass wenn sich zwei Menschen über melon kennenlernen und voneinander wissen, dass sie sich vegan ernähren, dass das schon eine gute Grundlage bietet, sich gegenseitig zu mögen?
Ja, ich denke, wenn man gemeinsame Interessen hat, dann ist das ein super Anhaltspunkt, um Gespräche anzufangen. Das macht es leicht, zu fragen: Was ist eigentlich deine liebste Pflanzenmilch? Was hast du für Erfahrungen gemacht? Was kannst du empfehlen? Auch Rezepte, die beispielsweise eine bestimmte Zutat beinhalten, die man selbst nicht kennt, würde man vielleicht allein nicht ausprobieren. Aber wenn man es sich von jemandem zeigen und sich Tipps geben lassen kann, ist die Hemmschwelle, etwas Neues auszuprobieren, viel niedriger.
Wie verliefen die Essensübergaben und die persönlichen Treffen während der Pandemie?
Das ist eine spannende Frage – die habe ich mir damals auch gestellt. Sind Community und Gemeinschaft in der Pandemie überhaupt möglich? Ich bin zu dem Ergebnis gekommen: Gerade jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um zwischenmenschliche Abwechslung in nächster Nähe zu fördern. Man braucht sich gegenseitig, zeigt Solidarität, unterstützt sich untereinander. Natürlich haben wir in den Höchstphasen der Pandemie die Möglichkeit gestrichen, dass man am Tisch zu Hause miteinander isst. Es ist zwar nicht das gewesen, was wir initial gedacht hätten, aber es hat sich trotzdem super gut entwickelt, weil die User:innen sich dann zwischen Tür und Angel erst mal „Hallo“ gesagt haben. Alle haben sich langsam angenähert und irgendwann vielleicht beschlossen, der anderen Person so weit zu vertrauen, dass gemeinsam gegessen wurde. Im Sommer haben viele Leute gepicknickt und sich draußen getroffen. Die Corona-Regeln des jeweiligen Bezirks mussten natürlich immer eingehalten werden.
Warum sollen auf melon ausschließlich vegane Gerichte verkauft werden?
Das war mir wirklich sehr wichtig, denn die vegane Community ist eine extrem sendungsbewusste. Die Menschen sind offen und hinterfragen ihre alltäglichen Gewohnheiten. Das bietet einen tollen Ausgangspunkt.
Ist die vegane Ernährung für dich die einzig nachhaltige Ernährungsform?
Ich glaube, dass sich Ernährungsformen immer weiterentwickeln. Zum jetzigen Zeitpunkt denke ich schon, dass die vegane Ernährung am nachhaltigsten ist. Aber ich weiß nicht, wie sie sich weiterentwickeln wird. Momentan tut sich sehr viel und es gibt immer wieder neue vegane Produkte – was ich richtig toll finde!
Auf deiner Website schreibst du, dass du mit melon zur Vorreiterin der Ernährungswende werden willst. Warum brauchen wir eine Ernährungswende?
Die brauchen wir, weil food consumption (Nahrungsaufnahme) für 33 Prozent der ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich ist. Klimaschutz und Ernährung gehen einfach Hand in Hand. Und weil jede und jeder von uns seine Ernährung selbst bestimmen kann, müssen wir nicht darauf warten, dass die Politik etwas tut, damit sich von außen etwas verändert. Wir können jeden Tag eine nachhaltige Entscheidung für unser eigenes Leben treffen.
Wieso sollte man sein Essen über melon verkaufen?
Viele unserer Hosts sind Foodblogger:innen, Ernährungberater:innen und Menschen, die sich gerne eine personal brand aufbauen wollen und viele Rezepte entwickeln. Zum Beispiel Mitglieder:innen, die gerade an einem Kochbuch arbeiten, profitieren enorm von dem Feedback aus der Community. Außerdem wird viel weniger weggeworfen. Denn wenn man zum Beispiel ein Tortenrezept ausprobieren möchte, kann man ja nicht nur ein Stück backen. Der Rest der Torte würde vielleicht schlecht werden – wenn man ihn bei melon anbietet, wird die Verschwendung von Lebensmitteln deutlich reduziert. Viele Hosts haben uns gesagt, dass sie auf so eine Möglichkeit schon ewig gewartet haben.
Das Geld, das jemand für ein Gericht bezahlt – geht das an euch, oder an die Menschen, die es gekocht haben?
Der Preis, den du auf der Plattform siehst, zeigt an, wie viel Geld die Hosts bekommen. Und auf diesen Preis gibt es eine Servicegebühr, die geht an uns. Wir sind keine Nonprofit-Organisation, sondern ein nachhaltiges Unternehmen und so finanzieren wir uns.
Wie hoch ist diese Servicegebühr?
Das Anbieten der Speisen ist kostenlos. Gäste zahlen eine Servicepauschale von einem Euro und 12 Prozent des Preises bei der Buchung eines Angebotes.
Und wie viel bezahle ich als Kundin im Durchschnitt für ein warmes Mittagessen?
Es kommt immer ganz darauf an, ob es sich um bio- oder auch glutenfreies Essen handelt und lässt sich nicht ganz genau sagen. Allerdings liegen die meisten Angebote in einem Bereich zwischen 5 und 10 Euro.
Woher kam der Wunsch, ein Unternehmen zu gründen?
Ich habe melon alleine gegründet, im Februar 2020. Ich hatte schon immer den Wunsch, etwas Eigenes in die Welt hinauszutragen und einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen – da war für mich die Unternehmensgründung der logischste Schritt. Mittlerweile arbeite ich in einem Team aus vier Mitarbeitenden in Vollzeit und einer Teilzeitkraft.
Wie verläuft eine Unternehmensgründung eigentlich?
Es beginnt immer mit einer Idee. Und über diese Idee spricht man dann mit unzähligen Menschen, um zu überprüfen, ob sie wirklich für viele Menschen interessant sein kann. Aus diesen vielen Gesprächen filtert sich nach und nach eine Business-Idee und es wird immer konkreter, wie man die ursprüngliche Idee umsetzen und viele Menschen davon begeistern kann.
Und wie geht es dann weiter?
Der nächste Schritt ist dann in der Regel die Gründung einer GmbH. Wir haben damals erstmal einen Prototyp der Website entwickelt und ihn als Beta-Version veröffentlicht. Dann begann eine Testphase und im Februar 2021 ging die Website offiziell online. Dadurch, dass die Community das Herz der Website bildet, sind wir die ganze Zeit weiterhin im Austausch mit den Benutzerinnen und Benutzern. Und die haben uns immer öfter gesagt, dass sie sich auch eine App wünschen, damit sie die Plattform tagtäglich, auch unterwegs, nutzen können. So entstand erst eine Android-App und dann die iOS-App.
Hast du Business Management oder etwas in die Richtung studiert?
Ja, tatsächlich habe ich Technologie und Management studiert, mit dem Schwerpunkt Software Engineering. Also es ist eine Leidenschaft von mir, dezentralisierte Systeme aufzubauen, die Digitalisierung voranzutreiben und eine Technologie zu schaffen, die den Menschen weiterbringt. Es ist mir ganz wichtig, dass der soziale Aspekt eng verwurzelt in der Technologie ist. Und deswegen war es mir auch so ein Anliegen, dass melon eine Community-Plattform wird.
Ist es schwierig, sich ein Netzwerk aufzubauen und Menschen zu finden, die einen unterstützen?
Es gibt total viele tolle Menschen da draußen, die einen bei technischen Projekten unterstützen. Ich mache das auch und bin in vielen verschiedenen Mentoring Groups, wo ich versuche, anderen Gründerinnen und Gründern zu helfen bei technischen Fragen. Es hilft auf jeden Fall, sich viele Tutorials anzuschauen, wenn man keinen Software-Engineering-Background hat. Aber es schadet auch nicht, wenn man zusätzlich externe Unterstützung bekommt, beispielsweise durch eine Finanzierung.
Würdest du sagen, dass du, dadurch dass du eine Frau bist, vor nochmal mehr Schwierigkeiten und Herausforderungen bei der Gründung standest – insbesondere auch in der eher männerdominierten Technik-Branche?
Die Branche ist auf jeden Fall männerdominiert. Aber ich hatte das Glück, mit unglaublich fähigen Entwickler:innen zusammenzuarbeiten, unter denen das Thema Gleichberechtigung wirklich gelebt wird. Ich habe bisher keine negativen Erfahrungen diesbezüglich gemacht. Wir sind allerdings gerade dabei, eine Finanzierungsrunde anzugehen. Mal sehen, was ich da für Erfahrungen mache. Es besteht schon eine starke Diskrepanz hinsichtlich der Finanzierungen, denn männliche Gründer werden stärker gefördert.
Für jede Buchung auf melon wird laut deiner Website ein Baum gepflanzt. Welche Organisation steht dahinter?
Wir kooperieren mit Eden Reforestation Projects, die pflanzen Mangroven auf Madagaskar. Mangroven sind nämlich die Bäume, die am meisten CO₂ binden können. Abgesehen von Algen, wie ich letztens erfahren habe.
Was hast du für die Zukunft geplant?
Wir sind momentan in Hamburg, Berlin, München, Braunschweig und Bremen. melon ist zwar deutschlandweit verfügbar, aber das sind unsere Hotspots. Für dieses und nächstes Jahr ist auf jeden Fall geplant, dass wir noch weiter wachsen in Deutschland. Aber für die nächsten fünf Jahre, würde ich sagen, ist das Ziel, europaweit aufgestellt zu sein. Und natürlich würden wir es am liebsten global anbieten. Das Tolle an melon ist: Obwohl es lokal funktioniert, ist es vom Standort unabhängig überall nutzbar. Auch in ländlichen Gebieten treffen sich Leute und tauschen sich aus – uns begegnet da große Dankbarkeit von den Community-Mitglieder:innen.
Welchen Tipp würdest du jungen Gründerinnen und Gründern mit auf den Weg geben, wenn sie ein nachhaltiges Unternehmen gründen wollen?
Am wichtigsten ist es, kontinuierlich Feedback einzuholen. Eine Idee zu haben, ist toll. Aber diese Idee in ein Produkt umzusetzen, ist ein langer Weg – der sich aber total lohnt. Für mich ist das wirklich der Tipp schlechthin. Redet mit Leuten, nehmt andere Leute mit auf die Reise und unterstützt euch gegenseitig. Es ist krass, wie viel Hilfe man bekommt, wenn man danach fragt. Es ist viel mehr, als man sich denken kann. Und diese Energie, die durch die Zusammenarbeit entsteht, ist unglaublich. Man begeistert sich gegenseitig, bringt sich voran – ich glaube, dieses Gefühl ist ganz signifikant für die Nachhaltigkeitsszene, weil sie von Menschen geprägt ist, die wirklich etwas verändern wollen.