Wie können wir uns nachhaltiger und umweltgerechter ernähren? Nicht nur in der eigenen Küche stellt sich diese Frage, sondern auch in Restaurants. Auch wenn der Großteil der Betriebe nach wie vor konventionell kocht, hat sich ein wachsender Teil einer nachhaltigen und regionalen Küche verschrieben. Ein Vorreiter dabei ist Sebastian Junge.
Er ist Hamburgs erster und einziger Bio-Spitzenkoch und betreibt das Sterne-Restaurant Wolfs Junge. Seit 2020 ist das Restaurant im Stadtteil Uhlenhorst Träger des renommierten grünen Michelin-Sterns.
Sebastian Junge sieht sich selbst nicht nur als Küchenchef, sondern auch als Aktivist für eine umweltgerechte und nachhaltige Genusskultur. Er tritt als Speaker bei Demonstrationen auf sowie bei anderen Veranstaltungen, die die Agrar- und Ernährungswende thematisieren.
Watson hat mit Sebastian Junge über seinen Job und Veränderungen in der Branche gesprochen. Er verrät dabei auch, was er von der Erfolgsserie "The Bear" hält und wie er sich trotz des stressigen Berufs den Spaß am Kochen bewahrt hat.
Das Gespräch fand im Rahmen eines Amazon-Events in Hamburg statt, bei dem das Unternehmen technische Lösungen gegen Lebensmittelverschwendung in Privatküchen präsentierte.
Watson: Sebastian Junge, wie kommt man an einen grünen Michelin-Stern?
Sebastian Junge: Indem man sich für Nachhaltigkeit in der Kulinarik engagiert. Das können verschiedene Konzepte sein, wichtig ist aber, dass das Augenmerk auf nachhaltigen Produkten liegt. Also: regionale Wertschöpfungsketten fördern, keine Produkte aus Massentierhaltung benutzen und das alles mit einem kulinarischen Twist.
Um das zu bewerten, kommen Tester:innen undercover ins Restaurant, richtig?
Genau, wir werden vom Michelin ein paar Mal im Jahr getestet, wie auch beim regulären roten Stern. Immer mal wieder sind Tester hier, meistens kommen sie inkognito, häufig einzeln, manchmal zu zweit. Die Sterne werden jedes Jahr verliehen und wir sind stolz darauf, dass wir von Anfang an – seit er das erste Mal verliehen wurde im Jahr 2020 – konstant mit dem grünen Stern für Engagement rund um Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurden.
Viele deiner Kolleg:innen sind sicher pragmatischer unterwegs und kochen nur für den Genuss. Kann Kochen unpolitisch sein?
Ich bin davon überzeugt, dass Essen – wie jede Form des Konsums – politisch ist. Ergo ist auch der Beruf des Kochs politisch. Bei jedem Einkauf, ob für das Restaurant oder privat, habe ich einen Wahlzettel in der Hand. Möchte ich Lebensmittel aus der Region unterstützen? Oder die Initiative von einem Supermarkt honorieren, der sich gerade um eine Bauernkooperation bemüht? Das ist alles eine Stimmenabgabe, vor allem heute in der Klimakrise. In der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung werden enorm viele CO₂-Emissionen verursacht, darum haben wir als Konsumenten hier einen großen Hebel in der Hand.
Kannst du dafür Beispiele nennen?
Man sollte sich im Supermarkt fragen: Muss es im Dezember echt der grüne Spargel aus Peru sein? Braucht es das argentinische Steak wirklich oder tun es auch Produkte aus der Region? Wie kann ich möglichst pflanzenbasiert kochen? Das sind nur ein paar Beispiele für wichtige Fragen, an denen wir unseren Konsum ausrichten sollten.
Siehst du in der Gastronomie einen Trend in Richtung mehr Nachhaltigkeit oder bleibt es doch alles weitgehend beim gleichen?
Ich sehe einen kleinen Trend in die Richtung. Neben Überzeugungstätern auch von Menschen getragen, die mitmachen, weil sich für sie ein Markt erschließt. Aber das ist am Ende egal: Alle, die mitmachen, helfen hehren Zielen, selbst wenn die Motivation eine betriebswirtschaftliche ist. Ich sehe die Entwicklung der Branche eher wie eine sich auftuende Schere: Auf der einen Seite wird immer industrieller gearbeitet, auf der anderen rückt das Handwerk Kochen und das Wissen um Lebensmittel mehr in den Fokus.
Was sind aus deiner Sicht Gründe, die verhindern, dass wir uns bewusster und gesünder ernähren?
Das ist multikausal. Einmal fehlt oft das Verständnis für Lebensmittel. In Supermärkten findet sehr viel Entfremdung statt. Viele Kunden machen sich nicht bewusst, dass für das Nackensteak ein Schwein gestorben ist. Wir brauchen mehr Achtsamkeit und mehr Grundwissen darüber, dass tierische Lebensmittel ihren Preis haben. Es gibt kein Grundrecht auf täglichen Fleischkonsum. Außerdem bräuchte es restriktivere politische Vorgaben, zum Beispiel für weniger Tierbestand pro Fläche. Und in der Bildung muss mehr passieren: Kindern sollte von früh an beigebracht werden, wie Lebensmittel produziert werden und welche Auswirkungen das hat.
Serien wie "Chef's Table" oder "The Bear" zeigen: Gastronomie, vor allem Spitzenküche, ist in Streaming und Popkultur aktuell sehr präsent. Überträgt sich der Hype in irgendeiner Form auch auf deinen Alltag?
Ich glaube, das hat schon vor zehn, fünfzehn Jahren angefangen. Da ging es noch mehr ums analoge Fernsehen und um Kochshows. Ob ich aktuell einen Wandel bemerke, würde ich aber bezweifeln. Es schafft jedoch eine Aufmerksamkeit für die Branche und das ist immer zu begrüßen. Wenn hier aber ein Auszubildender anfängt, wird er schnell merken, dass es nicht so ist wie bei Netflix oder Disney.
Viele Köch:innen klagen, dass ihnen der Job den Spaß am Kochen raubt. Wie ist es bei dir, macht dir Kochen immer noch Spaß?
Schwere Frage, vor allem wenn man inhabergeführt und selbstständig ist. Es gab schon Zeiten, in denen ich ein Stück weit gehadert habe und wo es mir schwerer gefallen ist, Spaß am Kochen zu entwickeln. Aber es hilft natürlich, dass ich es liebe, gut zu essen und dass ich meine Familie gerne mit guten Lebensmitteln versorge. Ich fühle mich verantwortlich, dass sie ein leckeres Abendessen auf dem Tisch haben, dass sie frisch gebackenes Brot haben. Die Wertschätzung meiner Familie und der Menschen um mich herum gibt mir viel Motivation. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Beruf einem schnell den Spaß am Kochen rauben kann.