COP30 in Belém: Europa-Abgeordneter übt harte Selbstkritik an EU-Klimazielen
Schon im Vorfeld der 30. Weltklimakonferenz ergaben sich innerhalb der Weltgemeinschaft heftige Spannungen. Einerseits sind die USA aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen, andererseits konnte sich auch die Europäische Union bis zuletzt nicht auf verbindliche Klimaziele für 2040 einigen.
Vor allem die neue Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz hatte den Prozess, EU-Klimaziele für 2035 und 2040 zu konkretisieren, immer wieder verzögert. In letzter Minute wurde ein Beschluss gefasst, der beim CO₂-Zertifikatehandel jedoch ein großes Schlupfloch enthält. Watson hat mit Michael Bloss darüber gesprochen, warum das fatale Auswirkungen haben könnte – und welche Daseinsberechtigung die COP im Jahr 2025 noch hat.
watson: Viele sprechen vor der COP30 von der schwierigsten Klimakonferenz jemals. Was erwarten Sie sich persönlich von den Verhandlungen?
Bloss: Klimakonferenzen waren schon immer schwierig. An diese hatten wir nur sehr hohe Erwartungen, weil das Pariser Klimaabkommen sich zum zehnten Mal jährt. Außerdem wissen wir schon jetzt, dass wir enttäuscht werden.
Inwiefern?
Friedrich Merz und damit ganz Europa ist schon vorher auf die Bremse gestiegen, indem man die EU-Klimaziele nicht rechtzeitig eingereicht hat. Eigentlich wollten wir in diesem Jahr den nächsten großen Durchbruch nach Paris erreichen. Jetzt können wir es schon als Erfolg verbuchen, wenn diese Konferenz nicht auseinanderbricht.
Bringen die in der vergangenen Woche beschlossenen Ziele der EU also gar nichts?
Das Kind ist schon vorher in den Brunnen gefallen. Denn die ganzen anderen Länder haben natürlich nicht innerhalb einer Woche nachgelegt. Deshalb sind wir gerade sehr weit weg von dem, was vor zehn Jahren in Paris festgelegt wurde. Gerade gehen wir eher auf vier Grad Erderwärmung zu anstatt auf 1,5. Das ist ein echter Weltuntergang.
Wie realistisch ist es dann überhaupt, dass das 90%-Ziel bis 2040 erreicht wird?
Das große Problem sind die internationalen CO2-Zertifikate. Man will eigentlich nur 85 Prozent einsparen und den Rest mit diesen dubiosen Zertifikaten erreichen. Leider sind im Gesetz noch viele Hintertürchen, sodass man am Ende bei deutlich weniger landen kann.
Warum ist das ein Problem?
Es gibt Studien, die beweisen, dass eigentlich keiner dieser Kredite wirklich klimaneutral ist. Bei den meisten Zertifikaten wird heiße Luft in Tüten verkauft. Wenn man beim Flug ein paar Euro draufzahlt, weiß man auch, dass das Flugzeug nicht auf einmal CO2-frei fliegt. Wenn wir jetzt diese Zertifikate nutzen, um klimaneutral zu werden, dann lügen wir uns in die Tasche. Das sind je nach Berechnungsweg 1700 Millionen Tonnen C02, die wieder obendrauf kommen. Das ist mehr als die Klimaverschmutzung des gesamten afrikanischen Kontinents in einem Jahr.
Welche Auswirkungen hätte es, wenn wir die Ziele bis 2040 nicht erreichen?
Wir in Europa sind jetzt schon der Kontinent, der sich am stärksten aufheizt. Die durchschnittliche Temperatur ist weltweit um 1,5 Grad gestiegen, in Europa mittlerweile um 2,1 Grad. Wenn wir bald in Richtung drei Grad gehen, können wir die Ernte von Tomaten, Gurken und anderen Lebensmittel aus Südeuropa komplett vergessen. Da stehen grundlegende Funktionen unserer Gesellschaft auf dem Spiel.
Und wann haben wir diese drei Grad erreicht?
Im schlimmsten Fall schon 2065. Das klingt erstmal weit weg. Aber nehmen wir mal meine Tochter, die 2020 geboren ist. 2065 ist sie 45 – und da werden viele grundlegende Funktionen nicht mehr intakt sein. Gleichzeitig werden wir dann viel Klimaflucht erleben. Deshalb kann man sagen, dass drei Grad schon nah an einen Zivilisationsbruch kommen.
Viele Menschen empfinden die COPs in diesem Zusammenhang als ineffektiv. Warum hat das Format Ihrer Meinung nach eine Daseinsberechtigung?
Natürlich sind die Verhandlungen immer zäh und schwierig, gerade durch das Veto-Recht. Aber das ist notwendig. Denn was bringt es uns, wenn Saudi-Arabien nicht zustimmt, dass wir wegkommen von Öl und Gas? Wenn wir diese Einigung auf das 1,5 Grad-Ziel nicht hätten, hätten wir zum Beispiel auch in Europa überhaupt gar kein Druckmittel. Durch diese Verhandlungen bekommen wir erst die Argumente in die Hand zu sagen: Wir haben das jetzt beschlossen, wir müssen auch was dafür tun. Beim Klimaschutz sitzen wir alle in einem Boot.
Welche Ergebnisse wären bei der COP25 aus Ihrer Sicht ein Erfolg?
Es wäre erstmal ein Erfolg, wenn wir keine Rückschritte machen. Ansonsten wäre der Stopp von Entwaldungen ein gutes Ergebnis. Außerdem wäre eine Einigung darauf wichtig, dass nächstes Jahr wirklich alle ihre Ziele eingereicht haben müssen.
… und was wäre ein Scheitern?
Das Worst-Case-Szenario wäre, dass ganz viele Länder sich zurückziehen, weil die USA und Europa nicht mehr mitmachen. Das Verhalten der Europäer trägt gerade nicht dazu bei, dass andere Länder Vertrauen in diese Konferenz haben, das muss man uns vorwerfen. In Zeiten, in denen die USA aus allen möglichen internationalen Verträgen aussteigen, muss Europa die treibende Kraft sein. Und dann verhält sich Friedrich Merz wie der Elefant im Porzellanladen. Ich hoffe wirklich, dass er bei der COP die entstandenen Scherben wieder aufsammelt.
Gibt es in Bezug auf Klimaschutz etwas, das ihnen aktuell Hoffnung macht?
Ja, die Entwicklung der Erneuerbaren. Wenn wir uns alle rational verhalten würden, könnten wir da einfach mitgehen. Wir sehen zum Beispiel, dass in Deutschland ein Kohleausstieg vor 2030 realistisch ist. Da bleibt nur die Frage, wie mächtig die fossile Lobby ist und wie schnell wir gegen ihren Einfluss steuern. Aber eigentlich haben wir alles in der Hand. Deshalb bin ich zukunftsgläubig.
