
Marita Sanchez de la Cerda (l.) und Svenja Tegtmeier gehen den massiven Klimasünder-Retouren an. Bild: saiz / KIRSTEN BREUSTEDT
Interview
Deutschland ist Weltmeister im Retouren versenden. Für uns gehört es zum Alltag, Pakete zu bekommen, sie anschließend wieder zur Post zu bringen und nochmal neu zu bestellen, wenn die Hose doch nicht passt. Das hat immense Auswirkungen auf Klima und Nachhaltigkeit – und muss dringend geändert werden.
05.05.2025, 18:5105.05.2025, 18:51
Die Gründerinnen von Saiz haben eine Antwort auf das Retourenproblem: Mit präzisen Größenempfehlungen per Avatar, digital vermessenen Kleidungsstücken und einem System, das Retouren überflüssig macht.
Im watson-Interview erklären Marita Sanchez de la Creda und Svenja Tegtmeier, warum Größen wie S und M eigentlich längst überholt sind – und wie ihr Ansatz Hunderttausende Tonnen CO2 spart.
Watson: Ihr wollt die Modebranche durch KI nachhaltiger gestalten – was genau ist euer Ansatz?
Marita: Bei uns geht es um das Thema Sizing, – wie der Name Saiz auch schon vermuten lässt – also um Größen und Passform. Im Laufe unserer Karriere in der Modeindustrie haben wir festgestellt, dass das der größte Hebel ist, um die Branche nachhaltiger zu machen. Denn aufgrund fehlerhafter Passformen werden 60 Prozent der bestellten Kleidungsstücke wieder zurückgeschickt. Das hat auch Einfluss auf Profitabilität, Produktion und die Nachhaltigkeitskomponente der Hersteller. Deswegen setzen wir bei einem besseren Sizing an, um die Branche nachhaltiger zu gestalten.
Wie geht ihr das Problem an?
Svenja: Wir haben bei Saiz mehrere Tools, um Sizing zu optimieren. Die meisten davon sind für unsere Brandpartner:innen bestimmt, es gibt aber auch ein paar für die Endkund:innen. Beispielsweise unsere Size Recommendation, bei der man den eigenen Körper als Avatar nachbauen kann, ein bisschen wie bei Sims. Gleichzeitig arbeiten wir daran, Kleidungsstücke mit sehr detaillierten Informationen zu versehen, sie genau zu vermessen und sozusagen 3D-Zwillinge von ihnen zu erstellen, die dem eigenen Avatar angezogen werden können. Da kommen dann unsere beiden KIs – die Product AI und die Human AI – zusammen.
"Wir sind der Meinung, dass Labels wie S oder M irritierend sind. Denn innerhalb einer Größe kann es in der Modeindustrie bis zu 15 Zentimeter Unterschied geben."
Svenja Tegtmeier
Oft sitzen die Kleidungsstücke ja auch an einem selbst gar nicht so, wie an den Models im Online-Shop.
Svenja: Ja, das liegt daran, dass diese Produktfotos oft mit Klammern an den Kleidungsstücken gemacht werden. Die Models tragen Samples, die ihnen selbst nicht richtig passen und dann für die Fotos aber beispielsweise hinten am Rücken zusammengesteckt werden. Deswegen wollen wir genauere Infos dazu ausspielen, wie Kleidungsstücke tatsächlich ausfallen und welche Passform sie haben.
Müssten die Hersteller nicht dafür verantwortlich sein, einheitliche Größen zu schaffen?
Svenja: Das ist eines der Probleme: Es gibt keine Industriestandards. Und auch wenn es die geben würde, ist es selbst innerhalb der gleichen Brand schwer, immer genau die gleiche Passform wieder zu reproduzieren – das ist eine Kunst für sich. Deswegen ist unser Ansatz, die Passform der Endprodukte für die Kund:innen genau zu beschreiben. Wir sind der Meinung, dass Labels wie S oder M irritierend sind. Denn innerhalb einer Größe kann es in der Modeindustrie bis zu 15 Zentimeter Unterschied geben. Leichter wäre es da, Körpergrößen und -typen in bestimmte Maße einzuteilen und diesen beispielsweise Namen wie Purple oder Blue zu geben.
So eine Kategorisierung würde vermutlich vielen Menschen den Druck nehmen, immer in die kleinere Größe passen zu wollen.
Svenja: Da kommen viele Aspekte zusammen. Deswegen ist Sizing und Fit so spannend. Wir versuchen, das mathematisch zu lösen – aber dieses ganze Problem hat unglaublich viele Facetten.
Marita: Durch unser System kennen wir die Produkte sehr genau, was auch ein großer Vorteil für die Hersteller ist. Die genauen Angaben verbessern das Shopping-Erlebnis der Kund:innen, wodurch sich ihr Vertrauen und ihre Loyalität gegenüber der Marken verbessert. Außerdem können Hersteller ihre Passformen dadurch anpassen – an Maße, die wirklich bestellt und getragen werden und die nicht im Lager liegen bleiben und im schlimmsten Fall am Ende des Jahres verbrannt werden.
Ihr habt berechnet, dass Hersteller mit eurem System sieben bis zehn Prozent an Retouren einsparen können. Was bedeutet das konkret?
Svenja: Letztes Jahr haben wir ungefähr 300.000 Produkte vermessen und ungefähr 300 Millionen Menschen eine Größenempfehlung gegeben. Dadurch haben wir insgesamt 580.000 Tonnen CO2 gespart. Das ist ungefähr so viel, wie die Haushalte der Stadt Hamburg in zwei Jahren verbrauchen. Zu der Problematik der Retouren gehören ja auch Logistik, die Reinigung, die neue Verpackung, der CO2-Ausstoß für die Lieferung mit Transportern oder sogar Flugzeugen. Bei sehr schnelllebigen Brands werden Rücksendungen teilweise auch einfach weggeworfen, weil die Teile dann schon nicht mehr "in" sind. Die Modeindustrie ist die zweitdreckigste der Welt – und das hauptsächlich aufgrund von Ineffizienzen.
Marita: Die sieben bis zehn Prozent sind auch nur der Ausgangspunkt, damit kratzen wir gerade an der Oberfläche von dem, was sich noch so einsparen lässt. Der Bereich hat großes Potenzial und in Deutschland gehen wir von bis zu 50 Prozent möglicher Einsparungen aus, was die Retouren im Online-Shopping angehen.
Svenja: Fun Fact: Deutschland ist weltweit Nummer Eins, wenn es um Retouren geht. Das Versandhaus Otto hat das hier schon früh etabliert, vor allem unsere Generation ist damit groß geworden, dass Retouren ganz normal sind. Das macht es im übrigen auch für einige ausländische Hersteller teilweise schwer, sich auf dem deutschen Markt zu etablieren – sie müssen erstmal die Masse an Retouren abfertigen können.
"Die Modebranche steht vor einem tiefgreifenden Wandel durch die AI-Revolution."
Svenja Tegtmeier
Ihr wollt mit KI-Systemen die Modebranche nachhaltiger machen – die verbrauchen jedoch viel Energie. Ist die Anwendung trotzdem nachhaltiger als Retouren?
Svenja: Wir haben unseren Energie-Impact im Blick und berechnen den auch pro Jahr. Aber alleine für die Menge an Retouren, die unser System einspart, haben wir unseren Impact tatsächlich schon 30.000 Mal wettgemacht. Wir trainieren unsere KI-Modelle effizient und sind kein Rechenzentren-Betreiber wie OpenAI – unser Energieverbrauch ist also vergleichsweise gering.
Und habt ihr weitere Pläne für nachhaltige KI-Systeme über die Größenempfehlungen hinaus?
Svenja: Definitiv. Sizing und Fit ist in diesem Bereich natürlich die Königsdisziplin, hier ist der positive Einfluss am größten. Aber wir denken auch an die Personalisierung von Online-Shoppings und vieles mehr. Viele Datenpunkte zu Sizing und Fit, die bisher ungenutzt waren, können neue Effizienzen ermöglichen – von der Produktion über das Marketing bis hin zur Logistik.
Marita: Dabei helfen wir auch, die oft historisch gewachsenen, analogen Prozesse in der Fashion-Industrie zu digitalisieren und zu vernetzen – und die Transformation zu begleiten.
Svenja: Das ist ein wichtiger Punkt: Die Modebranche steht vor einem tiefgreifenden Wandel durch die AI-Revolution. Künftig wird das Shopping-Erlebnis deutlich personalisierter und stärker auf Social-Commerce ausgerichtet sein. Um diesen Wandel mitzugehen, müssen Marken ihre Daten jetzt strukturieren und nutzbar machen. Wer diesen Schritt verpasst, riskiert, im Wettbewerb zurückzufallen – insbesondere in einer Industrie, die bereits mit massiven Ineffizienzen kämpft.
Am Rand der Welt und mitten im Klimawandel: Der nördlichste Flughafen mit Linienflügen kämpft mit auftauendem Boden – und der Umstieg von Kohle auf Biogas ist noch lange nicht das Ende der Reise.
Während sich Supermächte wie China, Russland oder einst sogar Trump für den arktischen Raum interessieren, entdecken auch immer mehr Reisende die eisige Wildnis rund um den Nordpol. Besonders gefragt: Svalbard, auf Deutsch Spitzbergen, eine norwegische Inselgruppe zwischen Festland und Nordpol.