Ist es besser, das Essen fürs Kind auszusuchen, oder es selbst bestimmen lassen?Bild: Digital Vision / Jessie Casson
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"As vegan as possible" – die watson-Kolumne zu vegetarischem und veganem Leben
07.04.2021, 18:0511.05.2021, 16:36
theresa schwab
Als ich schwanger wurde, befand ich mich auf dem Höhepunkt meiner rein veganen Ernährungsphase. Und ich sah keinen Grund, das zu ändern. Meine Eisenwerte waren völlig in Ordnung, genauso wie meine B12-Werte, die ich kontrollieren ließ. Außerdem nahm ich sowieso Tabletten zu mir, die während der Schwangerschaft den erhöhten Nährstoffbedarf abdeckten, darunter Folat, B12, Omega3, Vitamin D, Eisen, Zink und Jod. Von einigen wenigen Herstellern gibt es rein vegane Schwangerschaftspräparate, ohne Gelatine und Fischöl.
Die erste vegane Herausforderung stellte sich nach der Geburt, da ich dauerstillend, dauermüde und dauertragend alles aß, was gerade verfügbar war oder mir zubereitet wurde. Der zweite Knackpunkt entpuppte sich, als mein Sohn auf feste Nahrung umstieg und kommunizierte, was ihm schmeckte und was nicht. Klar, gibt es zu Hause keine tierischen Produkte, wird er nicht danach verlangen, weil er es nicht anders kennt.
"Mit der Zeit lernte mein Sohn Wurst und Fleisch kennen – und lieben."
Nur leben wir eben nicht in einer rein veganen Gesellschaft und mit der Zeit lernte er bei Verwandten und Freunden und manchmal auch bei meinem Mann, Wurst und Fleisch kennen – und lieben. Er kam auf den Geschmack von Kuhmilch, von Milchschokolade, von Joghurts und Kuchen sowieso. War sein Müsli anfangs automatisch mit einem Haferdrink verknüpft, weil ich ihm nur den zur Verfügung stellte, verlangte er plötzlich nach Kuhmilch, weil er es ein paar Mal bei Besuchen getrunken hatte.
Ich fing an, ihm zu erklären, wie Milch entstand. Dass sie für Kälber gedacht ist und dass wir Menschen den Kälbern die Milch wegnehmen, weshalb die Kuh und das Kalb sehr traurig sind. Er hörte sich alles an, wiederholte es und forderte mich dann auf, seine Schüssel zu befüllen – mit Kuhmilch.
grafik: emmy lupin studio
Über die Autorin
As vegan as possible – das beschreibt Theresa Schwab am besten. In ihrer Kolumne berichtet die freie Journalistin über positive Erkenntnisse, über Anstrengungen und darüber, warum es okay ist, manchmal im Alltag an einem nicht-tierischen Lebensstil zu scheitern.
Ähnlich ging es mir mit dem Thema Fleisch und Wurst, das er erst sehr spät entdeckte und umso stärker lieben lernte. Ich versuchte kindgerecht das Thema Tierhaltung und Schlachtung zu erläutern. Als er das nächste Mal bei meinen Eltern vor einer Bratwurst saß, fragte er: "Wurde die Kuh getötet?" Ich stimmte erfreut zu, ja, genau! Und er? Biss genussvoll in die Wurst.
Ich überlegte, ob meine Erklärungen zu abstrakt, zu weit weg waren. Wir hatten auch noch nie Urlaub auf einem Bauernhof gemacht. Vielleicht benötigte er den direkten Kontakt, eine Bindung zu dem Tier. Wir verbrachten viel Zeit bei den Hühnern unserer Bekannten. Waren wir zu Besuch, fütterte er sie und holte die Eier heraus. Er bekam mit, dass diese Tiere eine große Rolle spielten. Dass sie mit Nahrung versorgt wurden und sich um sie gekümmert wurde.
"Ich will, dass das Huhn getötet wird. Ich mag nämlich Hühnersuppe."
Da er ironischerweise ein Faible für Hühnersuppe hat, erklärte ich, dass für dieses Gericht einem Huhn der Kopf abgehackt werden musste, mit einer Axt, genau, wie beim Holzhacken. Möchtest du das? Nüchtern antwortet der Dreijährige: "Ich will, dass das Huhn getötet wird. Ich mag nämlich Hühnersuppe."
Kuscheln mit dem Haustier, aber bedenkenlos Hühnersuppe essen?
Ich verstand nicht, dass dieses Kind mit einem Hund aufwächst, den er namentlich mit allen anderen Familienmitgliedern in einer Reihe aufzählt, und Tieren gegenüber scheinbar kein Mitgefühl zeigte. Sollte ich mit ihm zum Schlachter fahren, sozusagen eine Schocktherapie?
Mein Schwager erzählte, wie er als Erzieher in einem norwegischen Kindergarten gearbeitet hatte. Dort wurde gemeinsam mit den Kindern ein Huhn geschlachtet. Interessant war dabei, dass keiner sich ekelte oder geschockt war, sondern dieser Vorgang für alle etwas Natürliches darstellte. Scheinbar empfinden Kinder manche Dinge im Leben anders, so wie sie den Tod eines Lebewesens anders begreifen. Muss sich Empathie erst entwickeln und ausprägen?
"Ich werde ihm weiterhin vorleben, sich vegan zu ernähren. Aber ich werde ihm keine vegane Ernährung aufzwingen."
Ich habe eine Entscheidung getroffen. So wie ich mein Umfeld bedacht mit Informationen versorge, aber nie missioniere, so werde ich mit meinem Kind umgehen. Gerade habe ich das Buch "Schweinchen Schlau – mein Papa gehört mir" bestellt, um weiterhin seine Aufmerksamkeit seinem Alter entsprechend auf einen grotesken Umgang mit Tieren zu lenken. Und das Wichtigste: Ich werde ihm weiterhin vorleben, sich vegan zu ernähren. Aber ich werde ihm keine vegane Ernährung aufzwingen. Der Entschluss, auf (einige) tierische Produkte zu verzichten, muss von ihm kommen.
Ich kenne Geschichten von Müttern, die über ihre Teenager-Kinder klagen, sie hätten jetzt eine vegane Phase und würden fast nichts mehr von ihren bisherigen Gerichten akzeptieren. Ich hoffe sehr, dass mir das irgendwann auch passiert.
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Die Modewelt hat sich lange von den Farben, Texturen, Fellen und Häuten der Tierwelt inspirieren lassen. Bei der Inspiration alleine blieb es bekanntermaßen nicht – Tierhäute landen immer noch auf Taschen und werden zu Gürteln gemacht; Felle zieren nach wie vor so manche Mäntel und die Federn von Gänsen polstern Winterjacken, während die Federn von bunten Vögeln Kragen von extravaganten Jacken zieren.