Ob Lebensmittel, Benzin oder Briefmarken – seit Jahresbeginn ist vieles deutlich teurer geworden. Die Inflation macht sich bei vielen im Geldbeutel bereits bemerkbar, wie eine Umfrage über den Instagram-Account von watson bestätigt hat: Bei der Frage "Spürst du die gestiegenen Preise für Strom, Sprit oder Heizung bereits?" stimmten 532 von insgesamt 611 teilnehmenden Nutzern mit "Ja" und nur 79 mit "Nein" ab. Besonders teuer sei den Nutzern zufolge das Tanken und das Einkaufen von Lebensmitteln geworden.
Doch dabei wird es vermutlich nicht bleiben: Durch die stark gestiegenen Gas- und Strompreise könnte vielen Mietern in den kommenden Monaten eine Erhöhung der Nebenkosten drohen.
"Private Haushalte in Deutschland erleben aktuell eine massive Steigerung ihrer Energiekosten und stehen zudem vor weiteren Preiserhöhungen", schreibt Alexander Steinfeldt von der gemeinnützigen Energieberatungsgesellschaft co2online auf Anfrage von watson. Als besonders alarmierend bewertet er dabei "die Geschäftspraktiken einzelner Energieanbieter, die bestehende Verträge einseitig beenden oder von Neukunden Rekordpreise in der Grundversorgung verlangen".
Neben den stark gestiegenen Großhandelspreisen für Strom und Gas seien zum Jahreswechsel auch die Netzentgelte gestiegen, so Steinfeldt. Das müsse sich schnellstmöglich ändern: "Die neue Bundesregierung muss kurzfristig eine verbraucherfreundliche Strompreisreform durchführen. Dazu gehört, dass neben der zügigen Abschaffung der EEG-Umlage auch die Industrieausnahmen gestrichen oder steuerfinanziert werden, sowie die Stromsteuer vorübergehend auf das EU-Minimum abgesenkt wird", fordert der Energie-Experte. Eine Abschaffung der EEG-Umlage könne sich demnach direkt auf den Strompreis für Endverbraucher auswirken, der so wieder sinken könnte.
Darauf hat die Bundesregierung reagiert: Nach den bisherigen Plänen von SPD, Grünen und FDP soll die EEG-Umlage über die Stromrechnung zum 1. Juli 2022 abgeschafft werden, was auch Bundeskanzler Olaf Scholz nach Angaben des "Spiegel" unterstützt. Die Umlage zur Förderung des Ökostroms solle dann aus den bereits entstandenen EEG-Rücklagen beziehungsweise danach aus dem Energie- und Klimafonds statt über die Stromrechnung privater Haushalte finanziert werden.
Mit Blick auf die Klimaschutzwirkung sei es in der aktuellen Situation vertretbar, die EEG-Umlage zu senken, "denn es bleiben weiterhin noch relativ große ökonomische Anreize, mit Strom effizient umzugehen", ordnet Andreas Burger, Leiter des Fachgebiets "Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Umweltfragen" beim Umweltbundesamt (UBA), für watson ein.
Leider nein, meint Burger im Gespräch mit watson. "Das Problem ist, dass die Entstehung des Strom- oder auch Gaspreises einer Vielzahl von Faktoren unterliegt. Durch die Streichung der EEG-Umlage sinkt der Strompreis, was zu Einsparungen beim Verbraucher führt. Und umgekehrt: Bei gasbezogenen Energien, wo jetzt eine CO2-Bepreisung anfällt, steigt dann tendenziell der Preis", so Burger.
Eine weitere Problematik: "Wenn die EEG-Umlage jetzt wegfällt, kommen auch Leute in den Genuss der Vergünstigungen, die große Einkommen haben", erklärt Andreas Burger vom UBA. Hier wäre es sinnvoller, die Entlastungen über das Bürgergeld oder speziell auf Kinder zugeschnittene Fördermaßnahmen laufen zu lassen, so dass "die Vergünstigungen auch ganz gezielt den Gruppen zugutekommen, die die Unterstützung besonders notwendig haben".
Weitere Einflussfaktoren wären politische Entwicklungen, wie die aktuelle Diskussion um russische Gaslieferungen sowie eine mögliche künstliche Verknappung der auf dem Markt verfügbaren Energiemengen. Denn der Energiepreis ist auch immer vom Angebot-Nachfrage-Verhältnis abhängig, sagt auch Andreas Burger vom UBA. Sollte es dazu kommen, könnten die Preise trotz Wegfall der EEG-Umlage wieder in die Höhe schnellen.
Lösungsansätze, wie die Energiepreis-Problematik wenigstens sozial abgeschwächt werden könnte, gibt es dennoch. So könnten Sofortmaßnahmen, die dafür sorgen, dass zahlungsunfähigen Privathaushalten nicht sofort die Strom- und Gaszufuhr abgeschaltet wird, für Entlastung sorgen. "Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Energiesperren können für die Betroffenen verheerend sein", betont Alexander Steinfeldt von co2online im Gespräch mit watson. Aus diesem Grund müssten Energieschulden vermieden und Energiesperren verhindert werden. Steinfeldt plädiert dafür, Energiesperren bereits zum 1. April 2022 auszusetzen. "Eine gesetzliche Ausnahmeregelung wurde bereits im vergangenen Jahr als Reaktion auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie geschaffen", sagt er.
Das vertragswidrige Verhalten mancher Energieversorgungsunternehmen, das allem voran Privatkunden in deutlich teurere Energieverträge gedrängt hätte, habe inzwischen Reformdiskussionen in Gang gebracht, wie Burger erklärt. "Hier steht noch zur Debatte, ob man jetzt die Grundversorger verpflichten kann, den Neukunden dieselben Vertragsbedingungen wie den Altkunden anzubieten. Aber wenn das gelingt, hätten wir das Energiepreis-Problem vorerst gelöst."
Längerfristige Lösungsmöglichkeiten liegen nach wie vor beim Endenergieverbrauch in Wohnhäusern: Laut Heiz- und Energieexperte Steinfeldt müsse hier vor allem die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zur Wärmeerzeugung schnell reduziert werden. "Denn diese Energieträger kommen in der Mehrzahl aller Wohnungen zum Einsatz. 70 Prozent der Ölheizungen und 60 Prozent der Gasheizungen in Deutschland sind älter als 20 Jahre und damit überwiegend ineffizient."
Der Anteil an erneuerbarer Energien im Wärmesektor sei dagegen mit aktuell 15 Prozent bisher viel zu niedrig, kritisiert Steinfeldt – dabei könnte genau hier eine Veränderung weitaus mehr als nur eine "Übergangslösung" für die Energiepreisdebatte in Deutschland bedeuten.