Ein kleines Dorf in den französischen Alpen, nur 200 Einwohner:innen – und 16 Fälle einer tödlichen Nervenkrankheit. In Montchavin wurde zwischen 1991 und 2019 bei fast jedem Zehnten die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) gestellt – eine unheilbare Krankheit, die nach und nach zur kompletten Lähmung führt.
Wer hier lebte, hatte ein 20-fach höheres Risiko als anderswo in Europa. Die Dorfbewohner:innen ahnten früh, dass etwas nicht stimmte – aber woran es lag, blieb jahrelang ein Rätsel.
Die einen verdächtigten Altlasten aus einer stillgelegten Mine, andere Funkmasten oder sogar einen Fluch. Doch erst eine zehnjährige Untersuchung brachte eine ungewöhnliche Theorie hervor: Lag es an einem ganz bestimmten Pilz?
Den Anfang machte die Hausärztin Dr. Valérie Foucault. Schon 2009 zählte sie fünf ALS-Fälle – in einem Dorf dieser Größe völlig ungewöhnlich. "Ich konnte das einfach nicht mehr mitansehen", erzählt sie gegenüber der "Daily Mail". "Ich hänge an meinen Patienten, das hat mich persönlich sehr getroffen." Als sie bei den Gesundheitsbehörden Alarm schlug, wurde sie erst mal abgewimmelt.
Doch je mehr Fälle hinzukamen, desto größer wurde der Druck. Schließlich rückten Wissenschaftler:innen an, testeten das Wasser, untersuchten den Boden, nahmen Holzproben, analysierten Schneekanonen – nichts. Dann kam der US-Neurologe Dr. Peter Spencer ins Spiel. Und mit ihm: der Pilz.
Viele Erkrankte hatten regelmäßig eine regionale Spezialität gegessen – die sogenannte "falsche Morchel" (Gyromitra esculenta). Sie gilt als Delikatesse, ist aber giftig, wenn sie nicht richtig zubereitet wird. Dr. Spencer erklärte: "Pilzgifte könnten Nervenzellen schädigen".
In Interviews mit Betroffenen fiel auf: Die Mehrheit hatte den Pilz nicht nur gegessen, sondern berichtete auch von heftigen Vergiftungserscheinungen.
In der Kontrollgruppe, also bei Gesunden, hatte ihn hingegen niemand konsumiert. Sicher ist jedoch: Seit die Dorfbewohner:innen keine falschen Morcheln mehr essen, gab es keinen neuen Fall.
Aber nicht alle im Ort glauben an den Pilz als Ursache: "Ich habe diese Pilze mindestens 20 Jahre lang gegessen", sagt beispielsweise Mireille Marchand, die Schwester eines ALS-Erkrankten.
Trotzdem lässt sie die Finger nun von falschen Morcheln – andere Sorten sammelt sie weiterhin. Auch Steve Isaac, der einzige noch lebende ALS-Patient aus dem Dorf, ist skeptisch. Der Brite lebt seit 2007 in Montchavin und erklärte gegenüber der "Daily Mail", nie wissentlich falsche Morcheln gegessen zu haben.
Warum gerade in Montchavin so viele Menschen an ALS erkrankten? Vielleicht war es der Pilz, vielleicht auch nicht. Vielleicht war es das Wasser, die Luft – oder einfach ein bitterer Zufall. Die Antwort bleibt offen. Aber eins steht fest: Die Geschichte von Montchavin ist ungewöhnlich.