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Silvester in Berlin: GdP-Sprecher sagt, was für die Polizei schiefläuft

Polizisten Polizei steht an Silvester am Brandenburger Tor in Berlin, Deutschland, am 31.12.2022 *** Police officers Police is to New Year s Eve on Brandenburg Gate in Berlin, Germany, on 31 12 2022 C ...
Silvester am Brandenburger Tor: Der Bereich ist jedes Jahr Böllerverbotszone. Bild: imago images / dts
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Silvester in Berlin: 13 Flops der Hauptstadt-Polizei zum Jahreswechsel

28.12.2024, 09:04
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Weihnachten ist gerade vorbei. Aber "alle Jahre wieder" heißt es für die Polizei auch zu Silvester, wenn es um Krawalle und besondere Gefahren durch Feuerwerk geht. Das gilt vor allem für die Hauptstadt.

Der Sprecher der Berliner Polizeigewerkschaft, Benjamin Jendro, blickt mit Sorge auf diese Silvesternacht. "Es ist jedes Jahr das Gleiche, dass unsere Kolleg:innen, also die Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr, konsequent in Beschuss genommen. Wir hoffen, dass alle gesund durch die Nacht kommen."

Im watson-Protokoll erklärt er seine größten Flops zum Jahreswechsel.

Schweigemarsch und Schweigeminute f�r den Mannheimer Polizisten Rouven L. Schweigemarsch und Schweigeminute f�r den durch einen Islamisten ermordeten Mannheimer Polizisten Rouven L. in Berlin, Gewerks ...
Der Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP), Benjamin JendroBild: imago images / Bernd Elmenthaler

Böller sind gefährlicher als früher

"Was heute an Feuerwerk auf den Straßen unterwegs ist, ist nicht nur viel mehr als vor zehn, 20 Jahren – vor allem ist es gefährlicher: Früher war ein China-D-Böller das Schlimmste, heute hast du es mit Kugelbomben zu tun. Wir haben unter dem Jahr, beispielsweise bei den Anti-Israel-Demos, bereits gesehen, was da ist. Es wäre komplett blauäugig, davon auszugehen, dass das an Silvester nicht zum Einsatz kommt. Wir können dafür werben, nur EU-zertifiziertes Feuerwerk zu nutzen. Aber das bringt auch nichts, wenn sich so viele nicht dran halten."

Leere Versprechungen der Politik

"Für Polizei und Feuerwehr ist die Lage an Silvester auch ohne Pyrotechnik eine Ausnahmesituation. Überall brennt es, weil Leute Mülltonnen und Fahrzeuge in Brand setzen, sie verletzen sich selbst versehentlich, bei Feierlichkeiten hast du oft auch körperliche Auseinandersetzungen. Das ist allen klar. Unsere Kolleg:innen kotzen wirklich ab, weil sich das ganze Jahr über nichts getan hat – und jetzt wieder gefragt wird: Was müssten wir tun, um Beamt:innen besser zu schützen? Aber was ist denn passiert seit den Krawallen in der Berliner Silvesternacht 2022/23? Es gab es keine Waffenrechts-Verschärfung für Schreckschusspistolen, keine bessere Funktechnik, kein hartes Vorgehen gegen Silvester-Täter."

Böllerverbotszonen

"Böllerverbotszonen sind Hotspots, die sehr personalintensiv sind – aber wie viel es wirklich bringt, ist gar nicht gesagt. Deshalb ist die Diskussion über Böllerverbotszonen eine Placebo-Diskussion. Die Zonen wirst du reinhalten, aber direkt daneben eskaliert es trotzdem. Irgendwo endet die Böllerverbotszone und was dann passiert, kannst du kaum kontrollieren. Rein theoretisch müssten wir den gesamten Innenstadtbereich zur Böllerverbotszone erklären. Aber das kannst du personaltechnisch nicht stemmen. Berlin ist keine Kleinstadt. Bei Böllerverbotszonen geht es vor allem darum, dass Senator:innen später erklären können, wie sauber ihr Bereich war. Aber an der Situation in der gesamten Stadt ändert das nichts."

Wir reden zu wenig über Böllererlaubniszonen

"Besser als Böllerverbotszonen wären vermutlich Böllererlaubniszonen, also fünf oder sechs Bereiche, in denen Feuerwerk gezündet werden kann und sonst gar nicht: Dann können diejenigen böllern, die meinen, sie müssen das machen. Aber es wäre in einem kontrollierten Bereich und damit sicher."

Social Media

"Die Macht der Bilder wird immer größer. Wir reden seit 2022/23 verstärkt über Silvester, weil entsprechende Bilder da waren, sich Straftäter auch noch selbst gestreamt haben. Im letzten Jahr hat man sich in Berlin dafür gelobt, wie gut alles lief. Aber faktisch hatten wir mehr verletzte Polizist:innen als davor: nämlich 54, davor waren es 40. Es war im vergangenen Jahr nur niemand so blöd, das auch noch live auf Instagram und Tiktok zu streamen."

Alle zeigen auf Berlin

"Es zeigen alle gerne mit dem Finger auf Berlin. Auch Herr Söder hat das 2023 gemacht. Erst in den Tagen danach kam raus: Krawalle an Silvester und Angriffe auf Einsatzkräfte sind ein deutschlandweites Problem. Das gibt es in München genauso wie in Berlin. Aber es manifestiert sich nun mal hier, weil Berlin Metropole und Medienhauptstadt ist."

Situation in Syrien und Nahost

"Wir haben heute übers Jahr verteilt viel mehr Menschen auf der Straße, die ihr Recht auf Meinungsäußerung nutzen: Es gibt mittlerweile fast 8000 Versammlungslagen im Jahr in Berlin, das war vor zehn Jahren nicht mal die Hälfte. Das ist natürlich völlig okay. Zusätzlich gibt es aber die Entwicklung, dass in diesen Versammlungslagen zunehmend auch Gewalt verübt wird. Das passiert verbal, körperlich und mit fliegenden Flaschen, Steinen, Fahnenstangen, mit Schreckschusspistolen und Pyrotechnik. Bei den Versammlungslagen der letzten Monate haben wir gemerkt, dass da durchaus Menschen involviert waren, die bereit waren, rechtsstaatliche Institutionen anzugreifen. Jetzt ist Silvester die einzige Gelegenheit, wo alle Menschen Pyrotechnik nutzen dürfen – und das tun sie dann auch. Deshalb gehen wir davon aus, dass Silvester kein Spaß wird."

13.04.2024, Berlin: Polizisten stehen am Rande an einer Demonstration nach der Auflösung der «Palästina Konferenz» in Berlin-Mitte. Die Berliner Polizei hat den umstrittenen Kongress, der eigentlich b ...
Die Polizei auf einer Pro-Palästina-Demo in Berlin.Bild: dpa / Fabian Sommer

Feuerwerk als deutsche Tradition

"Ein flächendeckendes Böllerverbot in Deutschland durchzubekommen wird schwer, aber wir kämpfen dafür. Viele wollen nicht darauf verzichten, weil sie das für eine deutsche Tradition halten, was auch immer das heißt. Wir können gerne über Goethe und Schiller reden. Aber ich weiß wirklich nicht, warum viele ausgerechnet in Böllern eine deutsche Tradition sehen."

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Zu wenig organisierte Veranstaltungen

"Wir sagen ganz klar: Feuerwerk gehört in die Hände von Leuten, die wissen, was sie tun, also Feuerwehrleute und zertifizierte Menschen. Wenn die Leute nicht ganz auf Feuerwerk verzichten wollen, dann sollten wir ihnen doch mehr organisierte Veranstaltungen anbieten. Denn die sind sicher. Es gibt in Berlin aber – außer der Feier vor dem Brandenburger Tor – keine einzige große organisierte Silvester-Veranstaltung. Dabei wäre es als Bezirk durchaus realisierbar, das umzusetzen, zum Beispiel auf dem Tempelhofer Feld."

Verfahren gegen Silvester-Täter

"Viele der Verfahren wegen Raketenbeschuss führen zu gar nichts. Die Leute erzählen dem Richter später, es war ein Versehen. Dann muss der Rechtsstaat erst einmal das Gegenteil beweisen. Die Strafen fallen dementsprechend gering aus und können dann auch für potenzielle Nachahmer:innen nicht mehr abschreckend wirken."

Schutzkleidung

"Seit der Silvesternacht 2022/23 gibt es in Berlin flammenhemmende Unterwäsche gegen den Beschuss von Pyrotechnik. Die Kolleg:innen von der Bereitschaftspolizei nutzen die schon. Man muss allerdings wissen, dass diese flammenhemmende Unterwäsche gar nichts bringt, wenn man darüber eine normale Uniform trägt. Die Beamt:innen brauchen also zwingend einen richtigen Einsatzanzug dazu. Wir haben erlebt, dass an Silvester auch die Funkwagenbesatzung beschossen wird. Eigentlich bräuchten die also auch flammenhemmende Unterwäsche, kriegen sie aber nicht, weil das Geld fehlt, um sie mit Einsatzanzügen auszustatten."

Fuhrpark

"Es gibt eine Reihe von Fahrzeugen, mit denen die Beamt:innen durch Berlin fahren, da würden normale Bürger:innen fragen: Was ist das denn? Das sind Fahrzeuge, die würden normalerweise nie durch den TÜV gehen. Die würden wir selbst aus dem Verkehr ziehen, wenn wir sowas sehen würden. Wie soll man damit als Hauptstadtpolizei jetzt durch die Silvesternacht kommen?"

Versorgung der verletzten Beamten

"Psychische Erkrankungen wurden bisher bei Polizist:innen und Feuerwehrleuten nur in ganz wenigen Fällen als Dienstunfälle anerkannt. Posttraumatische Belastungsstörungen oder Depressionen zum Beispiel. Das ist ein Beruf, in dem du in nur einem Jahr so viele traumatische Erlebnisse erfährst, die kriegen die meisten Menschen im Leben nicht zusammen. Nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz hatten wir jahrelang Probleme, das als Dienstunfall anerkennen zu lassen, weil man die Kausalität nicht herstellen konnte. Manchmal treten posttraumatische Belastungsstörungen erst Jahre später auf. Deshalb kämpfen wir als GdP seit Jahren für eine Novellierung des Dienstunfallrechts und mittlerweile hat der Senat eine entsprechende Vorlage beschlossen."

79 Staaten kritisieren US-Sanktionen gegen Strafgerichtshof
Dinge, über die Deutschland heute spricht: Jeden Tag findest du bei watson, natürlich laufend aktualisiert, die kompakten Top-News. So weißt du in wenigen Minuten, was abgeht.

Insgesamt 79 Staaten haben die US-Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag kritisiert. Die Sanktionen erhöhten "das Risiko einer "Straflosigkeit für die schwersten Verbrechen und drohen, das Völkerrecht auszuhöhlen", hieß es in einer Erklärung am Freitag. US-Präsident Donald Trump hatte Donnerstag Sanktionen gegen den IStGH angeordnet, weil dieser mit dem Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Netanjahu "seine Macht missbraucht" habe.

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