Gletscher gibt Leiche frei: Vermisstenfall nach 28 Jahren gelöst
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verbrechen oder ein Vermisstenfall aufgeklärt wird, sinkt mit jedem Tag, der vergeht. Oft entscheiden die ersten Stunden über Erfolg oder Stillstand der Ermittlungen.
Wenn es nach Jahren noch kaum Spuren oder Anhaltspunkte gibt, verlieren meist selbst engagierteste Ermittler:innen die Hoffnung auf eine Aufklärung.
Doch es gibt sie, die überraschenden Wendungen. Sei es durch neue Hinweise, plötzlich zutage getragene Spuren oder neue Technologien. Es gibt Fälle, die entgegen der Wahrscheinlichkeit selbst nach Jahrzehnten noch aufgeklärt werden. So wie aktuell in einem Vermisstenfall aus den 1990er-Jahren. Klimatische Veränderungen haben hier plötzlich Klarheit gebracht.
Kriminalfall gelöst: Hirte findet Leiche nach 28 Jahren auf Gletscher
In Pakistans abgelegener Kohistan-Region hat ein schmelzender Gletscher die Leiche eines Mannes freigelegt, der seit 1997 als vermisst galt. Ein ortsansässiger Hirte entdeckte den Körper in der sogenannten Lady Valley. Das Besondere: Die Kleidung des Toten war nahezu unversehrt, seine Ausweisdokumente noch lesbar.
Der Fund und der Zustand der Leiche waren auch für den Entdecker selbst überwältigend. "Was ich gesehen habe, war unglaublich", sagte der Hirte Omar Khan gegenüber BBC Urdu. "Der Körper war intakt. Die Kleidung war nicht einmal zerrissen."
Er informierte die Polizei, die durch den Ausweis sofort eine Spur aufnehmen konnte. Bald darauf bestätigte sich: Es handelt sich um einen Mann namens Naseeruddin. Er war damals mit seinem Bruder auf Pferden unterwegs, auf der Flucht vor einem Familienkonflikt.
Sein Bruder Kathiruddin schilderte gegenüber BBC Urdu, dass sie an jenem Tag gemeinsam die Lady Valley erreichten. Naseeruddin sei in eine Höhle gegangen und nie zurückgekehrt.
Trotz gemeinsamer Suche mit Anwohner:innen sei er unauffindbar geblieben. Die Familie lebte 28 Jahre lang mit der Ungewissheit über sein Schicksal. Bis jetzt. Erst durch das beschleunigte Abschmelzen des Gletschers, wurde sein Körper freigegeben.
Ähnlich wie bei Ötzi: Gletscher als natürlicher Konservator
Dass der Körper so gut erhalten war, liegt laut Prof. Muhammad Bilal von der Comsats University Islamabad an den besonderen Bedingungen innerhalb eines Gletschers.
Sobald ein Mensch in das Eis stürzt, gefriert der Körper schnell. Das verhindert die natürliche Zersetzung. Durch den Sauerstoffmangel und die fehlende Feuchtigkeit werde der Leichnam über Jahrzehnte hinweg quasi mumifiziert, erklärte der Umweltwissenschaftler der BBC.
Diese konservierende Kälte gerät durch die Klimakrise zunehmend aus dem Gleichgewicht. Gletscher in der Region sind dem weltweiten Trend entsprechend in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen.
Nicht zuletzt deshalb, weil die Schneemengen ausblieben und das Eis intensiver Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist. Das begünstigt Funde wie diesen – macht aber auch deutlich, welche dramatischen Folgen die Klimakrise selbst in entlegensten Regionen hat.