"Wäre, wäre – Fahrradkette", meinte einst der große Fußballdenker Lothar Matthäus. Was er damit sagen wollte: Fußball ist kein Spiel der Konjunktive. Das galt zur Blütezeit des einstigen Weltfußballers, und das gilt auch heute noch.
Wenn die DFB-Frauen im EM-Viertelfinale antreten, ist nämlich egal, ob das letzte Gruppenspiel anders gelaufen wäre und Deutschland früh ein zweites Tor nachgelegt hätte. Wenn Sarai Linder vorm 1:2 nicht unglücklich abgefälscht hätte. Oder wenn Carlotta Wamser nicht aus Reflex die Arme hochgerissen hätte.
Es ist egal, denn das Spiel ist vorbei. Und Schweden, das die deutsche Mannschaft an jenem Samstag mit 4:1 gedemütigt hat, ist am Donnerstag selbst ausgeschieden. Denn im Viertelfinale wartete mit England trotzdem ein schweres Los. Der amtierende Europameister.
Auf die DFB-Frauen wartet nun kein Titelträger, aber ein Europameisterbezwinger. Frankreich setzte sich zum Auftakt mit 2:1 gegen England durch, beendete die Gruppenphase mit neun Punkten.
Die Französinnen bestachen dabei phasenweise mit berauschendem Offensivfußball: Tempo auf nahezu allen Positionen, schnelles Direktspiel, krachende Abschlüsse aus der zweiten Reihe. Les Bleus bringen damit alles mit, um die DFB-Frauen vor riesige Probleme zu stellen. Zumal die deutsche Defensive einer Baustelle gleicht.
Die Spiele gegen Polen und Dänemark warfen bereits Fragen auf, das DFB-Team aber kam mit nur einem Gegentreffer glimpflich davon. Nach den vier Gegentoren gegen Schweden sowie der Rotsperre für Wamser ist klar: Es muss sich etwas ändern.
Daraus haben diverse DFB-Akteure auf den Pressekonferenzen in den vergangenen Tagen auch keinen Hehl gemacht. "Man kann unglaublich viel über die Emotion machen", appellierte Klara Bühl etwa an die grundsätzliche Einstellung.
Zugleich räumte sie ein, dass es "naiv" wäre, mit demselben offensiven Ansatz der vergangenen Monate weiterzumachen: "Am Ende ist es der Mix. Der Trainer hat eine Idee." Und diese sei schon eingespielt worden.
Das bekräftigte auch Co-Trainerin Maren Meinert, die "Anpassungen" angekündigte und dabei den Fokus auf eine erhöhte Kompaktheit gelegt hat.
Beim DFB-Team lassen sie also nur einen ganz vorsichtigen Blick in ihre Karten zu. Wie viele personelle Wechsel Christian Wück vornehmen wird oder ob er gar einen Formationswechsel plant, bleibt unbeantwortet – möglich ist es aber.
Gegen Schweden kam Kathy Hendrich in die Partie, der Bundestrainer stellte auf eine Dreierkette um. Beides scheint auch diesmal wieder denkbar. Die routinierte Verteidigerin brachte deutlich mehr Stabilität ins Spiel, kann ihren Nebenleuten Halt geben.
"Wir haben das eine oder andere schon einstudiert", erklärte sie unter der Woche vielsagend. In einem 3-5-2 hätte das deutsche Team gegen die französische Offensivgewalt automatisch eine Defensivspielerin mehr auf dem Feld als im 4-2-3-1. Aus dem Duo Jule Brand und Klara Bühl wäre dann aber wohl mindestens eine als Schienenspielerin gefragt.
Hendrich könnte aber auch in die Startelf rücken, ohne dass die Viererkette abgeschafft wird. Denkbar erscheint es auch, dass sie als klassische Rechtsverteidigerin aufgestellt wird. Dort käme auch Linder infrage, dann wären auf links Franziska Kett oder Sophia Kleinherne Alternativen. Hendrich wiederum könnte im Zentrum auch Rebecca Knaak ablösen, die in Phasen überfordert wirkte.
Fraglich aber ist, ob Wück seine Abwehr gleich auf mehreren Positionen umbauen möchte. Zu viele Wechsel könnten auch ein Risiko bergen.
Unabhängig von der Abwehr bietet sich im Mittelfeld die Möglichkeit, im Sinne der höheren Defensivqualität umzustellen. Das Spiel der DFB-Frauen dürfte in Summe defensiver, konterlastiger werden. Eine Zehnerin scheint damit verzichtbar zu sein.
Folglich ist es denkbar, dass gegen Frankreich sowohl Linda Dahlmann als auch Laura Freigang zunächst auf der Bank Platz nehmen. Mehr Körperlichkeit könnte dafür etwa Sydney Lohmann ins Mittelfeld bringen. Sara Däbritz ist ebenfalls eine Option, sie repräsentiert vor allem Ruhe am Ball und Erfahrung.
"Ich gehe davon aus, dass sie etwas anpassen werden. Bei den Französinnen kommen ganz schön schnelle Lokomotiven auf einen zu", erklärte auch Ex-Nationalspielerin Alexandra Popp im Podcast "Copa TS". Sie erwartet also Anpassungen ob der französischen Offensivgewalt.
Doch nicht nur die deutsche Defensive wird ein anderes Gesicht zeigen müssen, um eine Chance auf den Einzug ins EM-Halbfinale zu besitzen. Auch die Offensive glänzt im bisherigen Turnierverlauf nicht in dem Maße, wie es zu erwarten war.
Jule Brand konnte mit zwei Toren und einer Vorlage zwar ebenso schon Akzente setzen wie die zweifache Torschützin Lea Schüller, ausgerechnet Klara Bühl wartet bis dato aber noch auf ihre erste Torbeteiligung bei der EM 2025.
Die Flügelspielerin ist in einer herausragenden Form in die Schweiz gereist und sollte eigentlich die Rolle als Unterschiedsspielerin einnehmen. Bisweilen macht es aber den Anschein, dass sie mit Erwartungen überfrachtet wird.
Bühl hatte in der Gruppenphase gewiss unglückliche Aktionen. Wiederholt machte es aber auch den Anschein, dass ihre Mitspielerinnen die Verantwortung bewusst zu ihr weiterschoben und dann selbst nur zuschauten, anstatt sie zu unterstützen.
Dabei schwang Bühl oft genug den Zauberstab. Laut "Whoscored" hat sie die mit Abstand meisten erfolgreichen Dribblings pro 90 Minuten bei dieser EM (5,7) sowie die zweitmeisten Schlüsselpässe (3,7).
Das sind absurd gute Werte für die Spielerin eines Teams, das über weite Strecken kein wirklich flüssiges Offensivspiel dargeboten hat.
Zur Wahrheit gehört aber eben auch, dass die Flügelspielerin am Ende trotzdem nicht auf die Anzeigetafel kommt. Sie verwendet den Großteil ihrer Kraft, um an einer oder zwei Gegenspielerinnen vorbeizukommen, im Abschluss fehlt dann das letzte bisschen Konzentration. Oder auch mal das Glück.
Besonders deutlich wird dies anhand einer "Opta"-Statistik: Bühl hat während der Gruppenphase die zweitmeisten Schüsse aller Spielerinnen abgegeben – aber eben keinen einzigen regulär im Tor untergebracht.
"Wenn wir uns vornehmen, noch effizienter zu sein, ist das eine Waffe", sagte sie unter der Woche selbst. Bühl meinte dabei vor allem das Zusammenspiel mit Sturmkollegin Schüller, es lässt sich aber auch wunderbar auf ihre eigene Spielweise übertragen.
Denn wenn Bühl, die deutsche Unterschiedsspielerin, vor dem Tor effektiver auftritt, kann sie genau das machen, was alle von ihr erwarten: den Unterschied. Und das am besten schon gegen Frankreich. Ansonsten ist es bei dieser EM womöglich zu spät.