Als der Pfiff schrillte, war es vorbei. Der deutsche Schiedsrichter Felix Brych beendete Cristiano Ronaldos EM-Traum 2021 mit einem kurzen Ton. Der Superstar riss sich die Kapitänsbinde vom linken Oberarm und warf sie auf den Boden. Er tobte innerlich. Dann hockte sich der große Ronaldo in den gegnerischen Strafraum. Mit den Fingerspitzen seiner linken Hand stützte er sich auf dem Rasen in Sevilla ab. Der Blick ging gedankenverloren auf den Boden. Nach dem EM-Sieg 2016 scheiterte Portugal nach der 0:1-Niederlage gegen Belgien diesmal bereits im Achtelfinale. Zeitgleich zum frühen Ausscheiden gab es für den 36-Jährigen in den sozialen Netzwerken viel Häme und Spott. Eigentlich wie immer, wenn der Superstar ein Fußball-Spiel verliert.
Memes, die einen weinenden Ronaldo zeigen, Tweets, die erklären, dass Messi der bessere Spieler sei oder kurze Videos, die Ronaldos kleine Schauspieleinlage, mit der er gegen Belgien in der zweiten Halbzeit einen Elfmeter herausholen wollte, überschwemmten das Internet.
Trotz des frühen Turnier-Aus und Ronaldos gehobenem Fußballer-Alter ist jedoch eins klar: Mit Ronaldo ist der aktuell größte Superstar des Fußballs frühzeitig aus dem Turnier ausgeschieden. Ähnlich wie bei der WM 2018, als Portugal im Achtelfinale an Uruguay scheiterte. Doch so schnell wird er von der internationalen Fußballbühne nicht verschwinden. Bei der WM in Katar im kommenden Jahr wird CR7 definitiv weiterhin Portugals wichtigster Spieler sein.
Im Vergleich zum Titel-Team 2016 war die portugiesische Mannschaft dieses Jahr eigentlich weitaus talentierter. Erfahrene Stars wie Ronaldo oder sein guter Freund Pepe in Kombination mit jungen Spielern wie den Premier-League-Stars Diego Jota (FC Liverpool), Bruno Fernandes (Manchester United), Bernardo Silva und Ruben Diás (beide Manchester City).
Doch Trainer Fernando Santos schaffte es nach dem EM-Titel 2016 und dem Nations-League-Sieg 2019 nicht, die defensive Spielweise seiner Mannschaft weiterzuentwickeln. Trotz der Offensivpower schaffte es der 66-jährige Trainer nicht, mit seiner Mannschaft einen offensiven Spielstil zu verpassen. Superstar Ronaldo scheiterte also an seiner eigenen Mannschaft.
Denn sein Erfolgscoach hielt an seinem Defensivfußball fest. So kam Frankfurts Andre Silva, der in der abgelaufenen Saison 29 Tore in der Bundesliga erzielte, in jedem Spiel von der Bank. Zudem gibt es mit Goncalo Guedes und Joao Felix noch zusätzliche Offensivstars auf der Bank, die für Impulse im Angriff sorgen können.
Dass der portugiesische Verband den Trainer nun aber vor die Tür setzt, ist unwahrscheinlich. So groß ist die Dankbarkeit und das Vertrauen nach den ersten beiden internationalen Titeln.
Auch der exzentrische Superstar machte seinem Team keinen Vorwurf. "WIr sind stolz auf unseren Weg, wir haben alles gegebenen, um den EM-Titel zu verteidigen", schrieb er bei Instagram. Und machte deutlich: "Wir werden gestärkt zurückkommen."
An den Toren gemessen lieferte bei Portugal aber nur Ronaldo ab. Mit fünf Toren (davon drei Elfmeter) lieferte er als einziger der Offensivkünstler ab. Die anderen beiden Tore Portugals erzielten Verteidiger Raphael Guerreiro und Angreifer Diego Jota. Das zeigt, wie abhängig Portugal immer noch von CR7 ist. Mit nun 21 Toren bei Welt- und Europameisterschaften knackte er nebenbei einen weiteren Torrekord.
Doch als es wirklich darauf ankam und sein Team seine Tore gegen Belgien dringend brauchte, fanden ihn seine Mitspieler nicht. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn er gegen Belgien ähnliche Torchancen wie sein Teamkollege Diego Jota gehabt hätte.
"Sie brauchen ihn definitiv noch, denn er strahlt vor dem Tor eine extreme Ruhe in Situationen aus, wo viele nervös werden", sagte Ronaldo-Kenner Nils Kern bereits vor einer Woche bei watson.
Denn der fünffache Weltfußballer hat seinen Spielstil geändert. Schon lange ist er nicht mehr der Dribbler, der sich die Bälle an der Mittellinie abholt. Ronaldo ist ein eiskalter Stürmer, der im Strafraum nicht lang zögert und knallhart abschließt.
"Er ist ruhiger geworden und wartet auf seine Chancen im Strafraum. Er will bedient werden, statt sich den Ball im Mittelfeld zu holen", erklärt der Ronaldo-Kenner.
Doch natürlich gibt es auch für diesen veränderten Spielstil reichlich Kritik. Seine mangelnde Defensivarbeit gegen den Ball, die katastrophale Freistoß-Statistik (0 von 28 EM-Freistößen verwandelt) und sein Spitzname "Penaldo" in Anspielung auf seine Elfmetertore hörte man bei der EM ständig.
Doch er hat es trotz seines Alters geschafft, sein Spiel weiterzuentwickeln, ohne an Athletik einzubüßen. Auf Ronaldo wird es für Portugal auch beim nächsten großen Turnier ankommen. Mit ihm steht und fällt der Erfolg der Mannschaft.
Nach dem Spiel sagte Ronaldo erstmal nichts. Doch auch bei der kommenden WM im Winter 2022 in Katar wird der fünffache Weltfußballer wieder für Portugal auflaufen. Ronaldo ist noch lange nicht fertig. Sein Trainer machte nach dem Aus jedenfalls schon klar: "Wir müssen jetzt nach vorn schauen und die WM 2022 gewinnen." Dem wird Ronaldo wohl nicht widersprechen.
Viel spannender ist nebenbei noch die Frage, für welchen Verein er zukünftig auflaufen wird. Sein Vertrag bei Juventus Turin läuft im kommenden Sommer aus. In letzter Zeit häuften sich die Gerüchte über einen Wechsel. Als einziger Spieler der Welt ist er bisher in England, Spanien und Italien Spieler der Saison, Torschützenkönig und Meister geworden. Schon jetzt ist er der erfolgreichste Fußballer aller Zeiten.
"Wenn ich 18 oder 19 wäre, würde ich wahrscheinlich nachts nicht schlafen können", sagte Ronaldo noch vor der EM. Immer wieder fällt in seinem Zusammenhang auch der Name Paris Saint-Germain. Sollte Ronaldo wirklich in die französische Hauptstadt wechseln, könnte das auch Schwung in den Transfer Kylian Mbappé bringen, der immer wieder mit Real Madrid flirtet.
Ronaldos Mutter Dolores erklärte bereits, dass er noch drei Jahre spielen werde. Doch eine von ihr angekündigte Rückkehr nach Portugal schloss sein Berater Jorge Mendes bereits aus.
Die EM 2024 in Deutschland könnte dann seine große Abschiedstour werden – mit 39 Jahren. Doch das Beispiel Zlatan Ibrahimovic (40) zeigt aktuell, dass man auch im höheren Fußballer-Alter den Unterschied machen kann.
Und vielleicht tritt Portugal bei der kommenden Endrunde in Deutschland dann mit einer ausgereifteren Spielweise an, die Ronaldos Stärken ein letztes Mal deutlich zum Vorschein bringen.