Nach wochenlangen Gemunkel war gestern Abend klar: Sebastian Rudy ist neuer Spieler des FC Schalke 04. Der Nationalspieler kostete die Königsblauen 16 Millionen Euro Ablöse und erhielt einen Vierjahresvertrag.
Spötter antworteten auf die Transfer-Bekanntgabe mit bissigem Zynismus: Bayern hat Schalke mit Leon Goretzka seinen talentiertesten Spieler ablösefrei abgenommen, um ihnen im Gegenzug den in München perspektivlosen Rudy für einen zweistelligen Millionenbetrag aufzuquatschen – den der FCB erst im vergangenen Sommer zum Nulltarif von der TSG Hoffenheim verpflichtet hatte. Das Credo: Wie demütig ist die Bundesliga eigentlich geworden, wenn der Vizemeister so etwas mit sich machen lässt?
Die Konstellation mag die Schalker Fanseele schmerzen, aber die Argumente, die für den Transfer sprechen, sind stärker und lauter als das pessimistische Gejammer. Der 28-jährige Rudy bringt alles mit, um den Erwartungen als drittteuerste Neuverpflichtung der Schalker Vereinsgeschichte gerecht zu werden. Denn bei den Münchner Bayern trauern sie dem Abgewanderten bereits hinterher:
Wir erklären euch, wie Sebastian Rudy zum Stabilisator eines heterogenen Schalker Mittelfelds werden kann und warum der Transfer auch die Schalker Fanseele positiv stimmen lassen sollte:
Rudy ist schon oberflächlich betrachtet eher der bodenständige Typ: keine ausgefallene Frisur, keine grellen Klamotten. Sein Twitter-Profilbild, das ihn in weißen T-Shirt und Blue Jeans vor einer Seekulisse zeigt, könnte auch von einem deutschen Erasmus-Studenten stammen.
Auch auf dem Platz könnte man Rudy schnell für unscheinbar halten – und ihn damit vollkommen unterschätzen. Der 28-Jährige ist ein klassischer Zuarbeiter. Er läuft, verlagert und spielt die Bälle, die Domenico Tedesco in seinem auf Umschaltmomente getakteten Spielsystem sehen will.
Rudy ist damit auf der Sechser-Position der Spielertyp, der Tedesco durch die Abgänge von Goretzka und Meyer gefehlt hat. Der 1:1-Situationen suchende Nabil Bentaleb ist auf der tief liegenden Spielaufbauposition ebenso fehl am Platz wie der kreativ veranlagte Suat Serdar. Rudy ist nicht heiß darauf in den "Sportschau"-Highlights zu landen, sondern seine Mitspieler so gut wie möglich aussehen zu lassen.
Mit dieser selbstlosen Attitüde erinnert Rudy an die Schalker Vereinslegende Jiri Nemec: Der "Schweiger" war nie interessiert an der großen Geste, weder neben noch auf dem Platz. Auf Schalke sprechen sie bis heute davon, dass der Tscheche selbst bei einem Elfmeter einen besser postierten Mitspieler suche. Die strategische Coolness, die Nemec wie kaum einen zweiten Situationen antizipieren ließ, findet sich auch in der fußballerischen DNA Rudys wieder.
Rudy wird oft verlacht. Aber mal ehrlich: Wäre er der Durchschnittsspieler, für den ihn viele Fans halten: Hätte er dann 26 Einsätze für die Nationalmannschaft auf den Buckel? Wohl kaum.
Vielmehr ist Rudy ein besessener Arbeiter, insbesondere im Training. Vor der Ära Nagelsmann hatte es der Defensive Mittelfeldspieler in sechs Jahren mit neun Trainer zu tun in Hoffenheim. Stets passte er sich in kürzester Zeit den neuen Systemen und Anforderungen an, bewies sich unter jedem neuen Coach und sicherte sich ein fürs andere Mal eine Startelfgarantie. Er selbst sagt dazu nonchalant: "Man muss sich immer wieder einer anderen Spielphilosophie anpassen." ("FAZ")
Dabei kommt ihm seine Polyvalenz zu Gute: Rudy fühlt sich zwar auf der Sechs am wohlsten, beherrscht aber auch die Rolle des Achters und füllt die Außenverteidigerposition ohne Murren und zuverlässig aus – der Grund, warum Nationaltrainer Joachim Löw immer wieder auf ihn setzt.
Im WM-Spiel gehörte Rudy nicht zu den auffälligsten DFB-Akteuren, aber zweifelsohne zu den wichtigsten. Nach seiner verletzungsbedingten Auswechslung fehlte es der Nationalmannschaft an allen Ecken am Ex-Hoffenheimer: Es fehlte am ausdauernden Wasserträger für Toni Kroos, es fehlte an der Gegenpressingmaschine, die Boateng und Rüdiger unterstützt, es fehlte am Wanderer, der die schwedischen Ketten durchkreuzte.
Vergewissert man sich Rudys vielschichtiger Veranlagung, ist es nicht verwunderlich, dass Taktikfuchs Domenico Tedesco sich so bewusst um den Kicker bemüht hat. "Dabei hat er mir keinen Honig um den Mund geschmiert", beteuert Rudy auf der Vereinshomepage, "sondern auch Dinge angesprochen, bei denen er noch Verbesserungspotenzial in meinem Spiel sieht." Rudy ist trotz seiner bereits 28 Jahren weiterhin ein Spieler, den Tedesco für seine Vision formen kann – und davon können sie auf Schalke nur profitieren.
Sebastian Rudy ist ein gestandener Fußballprofi mit 235 Bundesliga-Partien. Mit Schalke geht der 28-Jährige in seine bereits elfte Saison in Deutschlands höchster Spielklasse – eine Erfahrung, die er mit nur wenigen Spielern im Schalker Kader teilt.
Jetzt ist es nicht so, als habe Schalke einen Persönlichkeitenmangel im Kader – Kapitän Ralf Fährmann stehen mit Naldo, Benjamin Stambouli, Daniel Caligiuri und Guido Burgstaller gleich eine Reihe routinierter Profis zur Seite, die von sich selbst aus Verantwortung für das Intakthalten des Mannschaftsgefüges übernehmen. Gegen den ehemaligen Kapitän eines Konkurrenten im Kampf um die Europapokalplätze in den eigenen wird auf Schalke jedoch auch niemand etwas einzuwenden haben.
Mit seiner "Leidenschaft und Aggresivität" im Spiel, die ihn in den letzten 20 Minuten einen Sieg verteidigen lassen, wie Julian Nagelsmann es einst ausdrückte, kann Rudy sein ganzes Team mitreißen. ("kicker") Einen Eifer und eine natürliche Autorität, die sich ein McKennie oder ein Serdar noch erarbeiten müssen.
Schlussendlich müssen wir noch einmal auf die Schalker Fanseele zu sprechen kommen: Ja, man hat mit Goretzka wieder einmal eines seiner größten Talente kostenlos verloren. Ja, man musste das uneingelöste Versprechen für eine rosige Zukunft, Max Meyer, gehen lassen. Doch was viele bei all dem Schwarzsehen vergessen: In Sebastian Rudy haben die Knappen auch endlich wieder einen etablierten deutschen A-Nationalspieler auf dem Berger Feld.
Sebastian Rudy könnte den immer etwas zu Masochismus neigenden Schalkern ein wenig ihren Stolz zurückgeben. Denn dass Löw trotz aller Skeptiker an den Mittelfeldakteur glaubt, hat er spätestens bei der verpatzten WM 2018 bewiesen. Jetzt muss Rudy sich nur noch auf Schalke diese Ausnahmestellung erarbeiten.