Vor genau einem Jahr, am 20. November 2022, wurde das Eröffnungsspiel der WM in Katar angepfiffen. Aller Kritik zum Trotz steht bereits heute fest, dass die Weltmeisterschaft in elf Jahren in Saudi-Arabien stattfinden wird. Die Fifa-Bosse haben durch die Vergabe der WM 2030 (drei Kontinente und sechs Länder) den Weg für das saudische Königshaus frei gemacht und erneut gezeigt, dass in den wichtigen Fragen kein Platz für Transparenz oder Kritik vorhanden ist.
Der heutige Jahrestag bietet also eine gute Gelegenheit, um über die Frage der Macht und die Folgen der sportpolitischen Ohnmacht im Fußball ins Gespräch zu kommen. Aber so viel steht fest: Die Zukunft des Weltfußballs wird vom Königshaus in Saudi-Arabien bestimmt und niemand aus den Chefetagen des internationalen Fußballs wird etwas daran ändern können.
Weshalb ist das so? Wie konnte es so weit kommen? Regiert allein das Geld? Wie viele der 211 Fifa-Nationen haben in den kommenden Jahrzehnten eine realistische Chance Gastgeber einer WM zu sein? Käme auch mal ein kleines Land ohne Geld, Öl oder anderen Bodenschätzen an die Reihe? Welche Rolle spielt die Tradition und gesellschaftliche Verankerung des Fußballs bei der Vergabe der WM?
Achten die Fifa-Bosse auch auf die Pflege einer kritischen und von den Verbänden unabhängigen Fankultur? Wird Sportswashing der Motor der Fußballentwicklung der Zukunft sein? Wäre das in Ordnung? Oder gibt es Verbände, die es sich zutrauen, eine ernstgemeinte Wertedebatte in den Weltfußball hineinzutragen? Weshalb schweigt der DFB zu all diesen Fragen?
Vor einem Jahr hatten wir wochenlang hitzige Debatten über Gesellschafts- und Sportpolitik. Der Streit um die peinliche One-Love-Kapitänsbinde schien wichtiger als alles Sportliche im Umfeld der Nationalmannschaft und am Ende waren es nicht wenige Fans und Experten, die das Scheitern der deutschen Elf auf die sportpolitische Bauchlandung des DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf zurückführten.
So brachte es beispielsweise Rudi Völler zu Beginn seiner Dienstzeit als Sportdirektor auf den Punkt, als er forderte, künftig die Politik aus dem Sport rauslassen zu wollen. Seit Völlers Machtwort ist DFB-Präsident Bernd Neuendorf in Sachen Menschenrechte und Fifa-Kritik still geworden. Niemand hätte vor 365 Tagen damit gerechnet, dass gerade mal ein Jahr nach Katar elf Jahre vor Saudi-Arabien ist.
Bernd Neuendorf hatte vor einem Jahr im ARD-Interview der Öffentlichkeit weiß machen wollen, dass er die Entwicklung der Menschenrechtslage in Katar nach der WM weiter beobachten und zu diesem Zweck auch weitere Reisen in das Emirat unternehmen wolle. Er ist nie wieder dort vor Ort gewesen und hat stattdessen als hochbezahltes Mitglied der Fifa-Exekutive alle sportpolitischen Entscheidungen auf dem Weg nach Saudi-Arabien brav abgenickt und keinerlei Kritik formuliert.
Weshalb gibt er sich seit seiner Wahl in das mit 250.000 Dollar dotierte Amt als Mitglied des Fifa-Councils in sportpolitischen Dingen so sprachlos? Weshalb hat er dafür gestimmt? Hat er seine Entscheidung innerhalb der Führungsgremien des DFB abgestimmt? Hat er eine Vorstellung davon, wie die Basis des DFB darüber denkt? Oder ist es ihm egal?
Hätten wir vor einem Jahr gewusst, wo wir heute stehen, dann wäre unsere Kritik an der Symbolpolitik, mit der der DFB in den Wochen und Monaten vor dem Turnierstart in Katar versucht hatte sein Image künstlich aufzupolieren, weitaus härter ausgefallen. Rückblickend war das alles scheinheilig.
Es fing mit der T-Shirt-Aktion mit dem "Human-Rights"-Schriftzug beim WM-Quali-Spiel gegen Island im März 2021 an. Danach folgten weitere scheinheilige Aktionen: der DFB-Menschenrechtskongress, der bunt angemalte Diversity-Flieger der Lufthansa, mit dem das DFB-Team vor Turnierstart bis in den Oman geflogen war, und vor allem die lächerliche One-Love-Kapitänsbinde und das "Mund zu"-Mannschaftsfoto.
Keine dieser Aktionen hatte irgendeinen ernstzunehmenden Wert. Im Nachhinein war das alles nur oberflächlicher Klamauk, denn im Kern sind die Würfel längst gefallen: Wenn es um Zukunftsfragen geht, reiht sich der DFB-Präsident Bernd Neuendorf brav hinter den Strippenziehern der Fifa ein und spielt das internationale Spiel des großen Sportswashing bereitwillig mit.