Sieben Punkte aus den vergangenen vier Spielen sorgen dafür, dass sich die Lage beim 1. FC Union in den vergangenen zwei Wochen zumindest etwas entspannt hat. Doch noch immer steckt der diesjährige Champions-League-Teilnehmer mitten im Abstiegskampf der Bundesliga. Immerhin beträgt der Vorsprung auf Relegationsrang 16 nun bereits sechs Zähler.
Christian Beeck hat zumindest "Bauchschmerzen", wenn er auf die Entwicklung der Köpenicker blickt. Der 52-Jährige spielte von 1993 bis 1995 für die Eisernen und war von 2005 bis 2010 Sportdirektor. Während seiner Amtszeit gelang die Qualifikation für die 3. Liga und der Aufstieg in die 2. Bundesliga.
Im Gespräch mit watson benennt er die Fehler des Klubs und erklärt, warum es eine Zukunft mit Trainer Nenad Bjelica und Erfolgsmanager Oliver Ruhnert wohl nicht geben wird.
watson: Herr Beeck, macht Ihnen der Blick auf die Lage beim 1. FC Union Berlin Sorgen?
Christian Beeck: Union hat sich gefangen und ist defensiv wesentlich stabiler als über weite Teile der Saison. Offensiv ist es weiterhin nicht ausreichend – auch nicht mit den Spielern, die der Verein im Winter geholt hat. In der Beurteilung der Situation muss man aber immer beachten, dass Fußball ein Tagesgeschäft ist.
Ohne eigene Tore wird es schwer, die Klasse zu halten.
Natürlich fehlen aktuell die Tore und auch dahinter ein kreatives Mittelfeld. Man erwartet jetzt bedingungslosen Kampf um den Klassenerhalt und den werden wir überstehen, weil die Mannschaften dahinter schwächer sind. Das muss der Trainer mit seinem Team hinbekommen.
Im "Kicker" haben Sie vor allem Co-Trainerin Marie-Louise Eta gelobt, "die den Laden zusammenhält".
Von ihrer Art und der Kommunikation macht sie es herausragend. Für das über Jahre eingespielte System von Mannschaft und Staff war der Abgang von Urs Fischer ein intensiver Wechsel. Wie sie kommuniziert und auch mit der Intensität ihrer Ansprachen, löst sie wieder Präzision, Fokussierung und Motivation bei den Jungs aus. Das sieht man, wenn man ihre vergangenen Pressekonferenzen verfolgt hat.
War die Beförderung von Eta von der U19 der bessere Trainerwechsel als die Verpflichtung von Nenad Bjelica?
Das ist schwierig zu beantworten. Aber jeder füllt seine Rolle mit einer Intensität und Durchdringung in die Truppe aus, die er führt. Marie-Louise macht das nicht mit 100 Prozent, sondern mit 120 und das wird auch von den Jungs anerkannt.
In den vergangenen Jahren gelangten nie Interna aus der Union-Kabine an die Öffentlichkeit, in der jüngsten Vergangenheit kam das häufiger vor.
Die Mannschaft hat im Sommer und Winter viele unterschiedliche Typen dazubekommen, die auch nochmal ein anderes Netzwerk an Personen hinter sich haben, mit denen sie sich austauschen. Da ist es gut möglich, dass Lücken entstehen und Interna an Journalisten gelangen. Aber ich glaube, dass das bei Union immer noch sehr dosiert ist.
War der Hype um die Verpflichtungen von Spielern wie Bonucci, Gosens und Volland ein Stück zu groß?
Ja. Einerseits sind sie erst zu spät verpflichtet worden und andererseits haben sie aufgrund ihrer Vita eine andere Wahrnehmung und Vernetzung. Und dann geben sie auch mal eine Antwort mehr, als es bei Union für gewöhnlich der Fall war. Ich unterstelle den Spielern auch keine böse Absicht, aber es wird einfach intensiver über Dinge gesprochen – vor allem, wenn du auch noch Champions League spielst.
Lässt sich das als Sportdirektor verhindern?
Damit musst du seriös umgehen und gelassen bleiben. Gleichzeitig musst du aufpassen, dass es keine Quatschbude wird. Aber das ist Fußball: da wird viel getratscht und erzählt.
Also waren die Verpflichtungen kein Fehler?
Nein. Vorher hätte man diese Spieler nie bekommen und dann ergeben sich neue Möglichkeiten und Potenziale. Wenn man davon überzeugt ist, muss man das machen. Und das waren die Verantwortlichen im Sommer.
Bonucci spielt mittlerweile bei Fenerbahce Istanbul, Volland hatte gerade zu Beginn enorme Anpassungsprobleme. Gosens ist mit fünf Toren immerhin bester Torschütze.
Im Nachhinein ist Bonucci nicht aufgegangen, es fehlt weiterhin bei Volland und Gosens bildet seine Leistungsfähigkeit einigermaßen auf dem Platz ab. Aber wenn man sich die Investitionen gemeinsam anschaut, ist es dürftig und dann wieder ein Fehler.
Die Unruhe bei Union wirke "draußen größer, als sie drin ist", sagte Präsident Dirk Zingler bei Dazn.
Er hat das gut abmoderiert. Was soll er dazu auch noch sagen?
Sie kennen ihn gut aus gemeinsamen Zeiten. Wie nehmen Sie ihn aktuell wahr?
Natürlich hat er sich weiterentwickelt und verhält sich in bestimmten Situationen anders als früher. Aber er versucht trotz aller Kommerzialisierung den Werten und Prinzipien des Vereins treu zu bleiben. Das muss man ihm hoch anrechnen.
Sie waren dennoch verärgert, dass Trainer Nenad Bjelica trotz seines Griffs ins Gesicht von Leroy Sané bleiben durfte.
Ich bin auch weiterhin der Meinung, dass so ein Trainer nicht bei uns arbeiten darf und das muss der Verein aushalten können. Aber Dirk Zingler wird nach bestem Wissen und Gewissen entschieden haben. Es ist nur schade, dass bestimmte Werte nicht mit einem richtigen Zeichen versehen wurden.
Warum hat man an Bjelica festgehalten?
Es hätte vermutlich noch mehr Unruhe in der Mannschaft ausgelöst und dafür gesorgt, dass man absteigt. Der Cheftrainer ist die wichtigste Position in einer Fußballmannschaft und dann geht es um die Abwägung, ob er es schafft, das Saisonziel – oder geschäftlich gesprochen: den Businessplan – zu erreichen. Das wurde in den Gremien wohl mit Ja beantwortet.
Kann er der Trainer sein, der Union in die Zukunft führt?
Ich habe Bauchschmerzen, ob er ein Trainer ist, mit dem man einen Fußball und ein System für die Zukunft kreieren kann. Das wird der Verein zu gegebener Zeit überdenken.
Steht der Klub vor einem richtungsweisenden Sommer?
Der Verein hat gesagt, dass er nach Möglichkeit immer international dabei sein möchte. Von den Fans und der Atmosphäre passt er dort sehr gut hin und jetzt muss man sich danach ausrichten. Da geht es in erste Linie darum, eine Spielphilosophie zu kreieren, um dann die Menschen zu finden, die man dafür benötigt. Das ist auf dem Niveau eine absolute Mammutaufgabe.
Ist Sportchef Oliver Ruhnert die richtige Person dafür?
Das ist schwer zu beurteilen. Der Kader, den er für die aktuelle Champions-League-Saison gebaut hat, hat nicht funktioniert und dadurch wird es auch ein Geld-Thema. Ich bezweifle, dass man ihm diese Chance nochmal gibt.
In der sportlichen Krise zog er sich medial zurück, war zudem seltener im Stadion. Dafür äußerte er sich positiv zu einem Engagement in der Partei von Sahra Wagenknecht.
So eine Aussage ist nicht zu empfehlen, es sei denn, man möchte Aufmerksamkeit haben. Er ist lang genug im Geschäft und weiß, was er damit auslöst. Daher bezweifle ich, dass er über den Sommer hinaus im Verein bleibt. Sein Verhalten ist nicht gut für perspektivisches Arbeiten im Fußball und so funktionieren Dirk Zingler und der Verein auch nicht.
Dirk Zingler sagte im Sommer: "Union steht nicht für eine bestimmte politische Richtung." Sollte diese Einstellung überdacht werden?
Zu all den Dingen, die aktuell passieren, musst du als Verein eine Meinung haben. Man kann immer sagen, dass man sich gesellschaftlich und politisch nicht einmischen will, aber auf der anderen Seite ist man eben auch Vorbild für das gesellschaftliche Leben, weil einem jedes Wochenende Millionen Menschen zuschauen. Schlussendlich geht es darum, authentisch seine Meinung zu vertreten und die kann auch mal anders sein.
Erwartet man von Union Berlin aufgrund seiner Historie in dieser Hinsicht immer mehr als von anderen Klubs?
Dadurch, dass die Vergangenheit immer herausragend hervorgehoben wird, hat man das Gefühl, dass es immer etwas Besonderes sein muss, was andere Vereine nicht machen. Union Berlin ist ohne Frage ein spezieller Verein mit wundervollen Fans, einem tollen Stadion und einer wunderbaren Tradition. Aber schlussendlich ist es ein Fußballverein, und die eben genannten Attribute gelten auch für viele andere Klubs.