Gerd Thomas ist 1. Vorsitzender beim Landesligisten FC
Internationale Berlin. Der 58-Jährige kümmert sich außerdem um die
Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. Und Thomas will über etwas sprechen, worüber im deutschen Amateurfußball jeder spricht: Geld. Denn schon in der Landesliga verdienen Spieler tausende Euros im Monat.
Thomas macht sich deshalb Sorgen um den Amateurfußball und die
Vereinsarbeit, sieht durch solche Geldzahlungen an Spieler eine gefährliche Entwicklung.
Vor ein paar Wochen veröffentlichte Thomas auf
fussball-woche.de (Anm. d. Red.: Berliner Wochenzeitung über Fußball) einen bemerkenswerten Gastbeitrag, in dem er
wahnwitzige Geldzahlungen im Amateurfußball kritisiert. "Vierstellige Festgehälter in der Landesliga sind keine Seltenheit mehr", schreibt Thomas. "Das Rattenrennen nimmt seinen ruinösen Lauf. Auf welche Weise das Geld fließt soll hier lieber nicht erörtert werden."
Hier könnt ihr seinen Beitrag lesen:
Mit seinem Beitrag will er eine Diskussion darüber anregen, was sich ändern muss. Wir sprachen mit ihm.
Ein Gespräch über "Westentaschen-Abramowitschs", absurde sportliche Ansprüche und resignierende Jugendtrainer.
watson: Herr Thomas, Sie
bekommen viel Zustimmung und viele Rückmeldungen auf ihren Gastbeitrag. Auch
aus anderen Bundesländern. Haben Sie einen Nerv getroffen?
Gerd Thomas: Bei denjenigen, die sich angesprochen fühlen, weil sie
selbst mit Geld um sich schmeißen, habe ich sicherlich einen Nerv getroffen.
Viele andere sagen: Gut, dass es mal einer ausgesprochen hat. Es ist ja ein
bisschen so, dass sich sehr viele Leute schon seit Jahren über diesen Wahnsinn
aufregen, aber sich eigentlich niemand dagegen wehrt. Viele sagen auch: Das ist
halt so. Eine Haltung, die in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist – und
die haben wir natürlich auch im Amateurfußball.
Gerd ThomasBild: privat
Sie sagen, es wird so
viel gezahlt wie noch nie – über welche Größenordnungen sprechen wir da?
Wenn Leute in der Landesliga mit über 2.000 Euro nach Hause
gehen, da fragt man sich, wo das noch hinführen soll. Ich habe neulich auch Zahlen
aus der Bezirksliga gehört, – ich habe sie gerade nicht mehr parat – die waren
auch vollkommen absurd. Da werden Spieler mit dem Versprechen von großen Summen
abgeworben. Und zwar ab dem oberen Jugendbereich.
Ob Punkt-, Spiel- oder Siegprämie: Mittlerweile wird sogar schon in den Kreisligen Geld gezahlt.
Der Soziologe Tim Frohwein hat 2011 in seiner Diplomarbeit an der Ludwig-Maximilian-Universität München 200 Amateurspieler befragt und herausgefunden, dass der Geldfluss im Amateurfußball vor allem die Vereinstreue zerstört: Spieler, die kein Geld bekommen, wechseln im Durchschnitt alle 5,6 Jahre den Verein; bei Spielern, die Prämien erhalten, sind es durchschnittlich 2,8 Jahre. Diese hohe Spielerfluktuation ist ein Sinnbild für die Bezahlmentalität im Amateurfußball.
Sport inside, WDR Fernsehen, 23.04.2018
Wie werden solche
Gehälter denn gezahlt? Ist das überhaupt legal?
Es gibt da sicherlich unterschiedliche Wege. Ich kann dazu
nicht so wahnsinnig viel sagen, denn bei Internationale Berlin gibt es keine
Geldprämien. Man hört aber ja viel. Es gibt sicher immer noch diese
Präsidenten, die mit Geldumschlägen in die Kabine kommen und Prämien verteilen.
Aber ich kann nur spekulieren, wie das abläuft. Gehen wir mal davon aus, dass die
das alles beim Finanzamt anmelden, bei der nächsten Steuererklärung angeben und
Steuern darauf bezahlen.
Es ist ja nicht alles kriminell, das will ich gar nicht
behaupten. Ich sage aber: So wie es viele Vereine machen, da könnte ich nicht
ruhig schlafen.
Training des SV Empor Berlin.imago/Sebastian Wells
Es werden auch
Ablösesummen im Amateurfußball gezahlt…
Ja, aber die sind geregelt. Das ist nicht das Problem. In
der Regel werden die Summen sogar unterschritten. Teilweise fließt für solche
Transfers sogar gar kein Geld. Im Jugendbereich gibt es außerdem Ausbildungsentschädigungen.
Die gibt es zum Schutz der vermeintlich kleineren Vereine.
Aber es ist davon auszugehen, dass zusätzlich zu den
Ablösesummen Handgelder gezahlt werden. Es gibt inzwischen Spieler, die lange
im Geschäft sind und oft schlechte Erfahrungen mit finanziellen Versprechen
gemacht haben. Die sagen dann: Bevor ich hier einen Fuß auf den Platz setze,
hätte ich gerne Summe X. Und die bekommen sie auch. Das ist übliche Praxis.
In ihrem Beitrag
schreiben sie auch über Investoren im Amateurfußball, es fällt auch der Begriff "Westentaschen-Abramowitschs“...
Wir kennen ja dieses Modell: Es kommt irgendjemand, der zu
viel Geld hat, geerbt hat, mit Immobilien oder Bitcoins aus Versehen Millionär
geworden ist. Wie auch immer. Woher die Leute ihr Geld haben, will ich gar
nicht bewerten. Das ist deren Privatsache. Aber diese "Westentaschen-Abramowitschs“,
wie ich sie genannt habe, die kaufen sich ganze Mannschaften, brechen Trainer
bei anderen Klubs heraus. Wenn man eine gute Mannschaft bzw. zwei oder drei gute
Spieler hat, dauert es nicht lange und die werden mit Geld dort weggelockt.
Eine nachhaltige Entwicklung in einem Fußballverein
hinzukriegen, ist dadurch heutzutage extrem schwer. Es gibt genügend Beispiele,
wo Investoren aus dem Nichts auftauchen, mit Geld um sich schmeißen, aber dann
nach ein paar Monaten keine Lust mehr auf ihr neues Spielzeug haben. Die Ansprüche
des Vereins sind dann bereits gestiegen, aber keiner kann das mehr bezahlen.
Die Folge ist: Der Verein gerät in eine Schieflage. Das ist ungesund.
Hertha Zehlendorf gegen Tennis Borussia.imago/Sebastian Wells
Aber warum ist das
heutzutage im Amateurfußball so? Oder gab es das schon immer?
Es hat natürlich immer irgendwo Leute gegeben, die Spielern
irgendwie etwas zugesteckt haben. Auf dem Dorf hat der Gebrauchtwagenhändler
früher gesagt: Wenn du zu unserem Verein kommst, kriegste noch ‘nen alten VW
Käfer dazu. Heute ist es aber so, dass man nicht mehr durch sportlichen
Wettbewerb nach oben kommt, sondern nur noch dadurch, dass man möglichst viele
finanzielle Mittel einsetzt. Es wird dabei viel Geld verbrannt – manche setzen
es natürlich auch schlau ein. Aber: ohne Geld geht es nicht mehr. Hinzu kommt:
Die Ansprüche und Vorstellungen, die die Leute haben, haben sich zum Absurden
verändert. Viele Amateurvereinen denken nicht mehr an die Regionalliga, sondern
an die 3. Liga. In Berlin sprechen sechs, sieben Vereine davon, demnächst in
die 3. Liga aufzusteigen. Aktuell haben wir keinen einzigen Berliner Verein in
der 3. Liga.
Sie meinen Tennis
Borussia, Viktoria Berlin, BFC Dynamo, Berliner AK und so weiter?
Die sehen sich dort, natürlich. Alle faseln von der 3. Liga.
Sogar Berlin United in der Landesliga (ehemals Club Italia, d. Red.; trainiert
von Ex-Nationalspieler Thomas Häßler) redet von der 3. Liga. Es gibt in Deutschland bestimmt 500
Vereine, die in die 3. Liga wollen. Aber es gibt in Deutschland nun mal nur
Platz für 56 Profimannschaften. Mehr werden es auch nicht.
Berliner Pokalfinale: Berliner SC gegen BFC Dynamo.imago/Sebastian Wells
Findet da eine
Werteverschiebung statt? Geht es vielen Amateurfußballteams gar nicht mehr um
die Grundwerte Spaß am Spiel, Erziehung und Ausbildung von jungen Fußballern?
Diese Werteverschiebung gibt es, natürlich. Man muss mal darüber nachdenken, was das Wort Verein eigentlich bedeutet. Es gibt jede Menge Leute, die in Klubs plötzlich auf
der Bildfläche auftauchen, das Sagen haben und ein Regiment führen.
Die wischen jahrelang gewachsene Strukturen im Verein komplett vom Tisch, führen
einen Verein autokratisch. Das ist zutiefst unmodern. Überhaupt nicht
zeitgemäß. Ein Verein ist eigentlich hochdemokratisch. Das ist keine One-Man-Show.
Aber viele Vereine in Berlin sind, glaube ich, gerade sehr
empfänglich für Investoren. Leute schwadronieren von Fußball-Startups, es gibt
gerade so eine Goldgräber-Mentalität. Aber das ist überhaupt nicht nachhaltig.
imago/Matthias Koch
Sie sprachen eben
bereits davon, dass es ohne Geld im Amateurfußball nichts mehr geht. Viele
sagen: "Das ist halt so" – ein Teufelskreis, der den Amateurfußball kaputt
macht?
Ja, genau. Viele Vereine, die im Amateurbereich einigermaßen
hoch spielen, haben mittlerweile keine sportlich ambitionierte Jugendarbeit
mehr. Wenn man überregional spielt, ist es auch nicht so einfach, Jugendspieler
direkt in den Herrenbereich hochzuziehen. Das ist ein ganz anderes Niveau als
im Jugendbereich. Und dann schaut man sich eben bei anderen Vereinen nach
jungen Spielern um, die man mit Geld lockt. Es ist ein Rattenrennen. Entweder
man macht es mit oder man macht es nicht mit. Viele Jugendleiter zucken mit den
Schultern und sagen: warum machen wir das hier überhaupt noch?
Ich merke schon, dass die Haltung "Man kann nix ändern, alle
machen das“ weit verbreitet ist. Aber das ist nicht meine Haltung.
"Ich weiß auch, dass ich mir mit meinem Beitrag nicht unbedingt nur Freunde gemacht habe, aber da kann ich mit umgehen. Ich finde, es geht nicht darum, bei Missständen die Klappe zu halten. So kommen wir nicht weiter. Das macht den Fußball dann irgendwann kaputt."
Ich bin kein Sozialromantiker, wir müssen auch vieles
ändern. Die Bereitschaft ein Ehrenamt anzunehmen, ist nicht mehr so hoch wie
früher. Wir müssen es hinbekommen, im Amateurbereich die Strukturen verbessern.
Aber Geld allein kann dafür nicht die Lösung sein. Ich mache mir wirklich
Sorgen um die Entwicklung der Vereins- und Jugendarbeit.
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