Mareike Thomaier über Humor, Handball und einen schweren Vertrauensbruch
Alles begann in Bergisch Gladbach, jener Stadt, in der Heidi Klum das Licht der Welt erblickte – und in der Mareike Thomaier ihre ersten Schritte mit dem Handball machte. Klum und Thomaier in einem Atemzug zu nennen, geschieht selten – auch, wenn die 25-Jährige gerne selbstironisch davon erzählt, dass es anders wäre.
Humor, sagt sie, sei ohnehin eine ihrer größten Stärken und im Nationalteam eine wesentliche. Eine Rolle, die heute selbstverständlich wirkt, aber nicht von Anfang an sichtbar war.
watson: Mit 20 Jahren hast du dein Debüt im Nationalteam gegeben. Warst du anfangs starstruck?
Mareike Thomaier: Als ich 2020 zum ersten Mal für einen Lehrgang nominiert wurde, war ich fast erleichtert, dass er wegen der Pandemie ausfiel (lacht). Ich war unglaublich nervös und fühlte mich nicht bereit. Auch beim ersten Lehrgang später legte sich das nicht sofort. Viele dachten vermutlich, ich sei stumm – eine stille Maus. So haben mich damals viele wahrgenommen.
Warum warst du so zurückhaltend?
Ich musste erst begreifen, dass die Spielerinnen, die ich aus dem Fernsehen kannte und zu denen ich aufgeschaut habe, ebenfalls ganz normale Menschen sind.
Vor wem hattest du besonders Respekt?
Damals war es Kim Irion, mit der ich heute in Bensheim zusammenspiele. Und natürlich vor Xenia Smits und Emily Bölk (Anm. d. Red.: heute Emily Vogel) – Gesichter, die man damals ständig in den Medien sah.
Wie würdest du heute deine Rolle im Team beschreiben?
Mich gibt es oft im Doppelpack. Viola (Anm. d. Red.: Leuchter) und ich bringen viel Lockerheit rein. Ich halte mich für ganz witzig – manchmal mehr, als andere es tun (lacht). Aber wenn man lang genug an einem Witz festhält, lachen die Leute irgendwann trotzdem.
Nur in diesem Sommer funktionierte selbst das nicht. Diesmal hatte niemand Grund zu lachen, egal wie oft die Geschichte weitererzählt wurde. Nicht einmal Maik Schenk, Geschäftsführer des Thüringer HC, jener Mann, der sich im Meisterschaftsrennen des Vorjahres betrogen fühlte und den Ausgang als "erstunken und erlogen" bezeichnet hatte.
Selbst er zeigte keine Spur von Schadenfreude, als die HB Ludwigsburg, das stärkste Team der Liga, wenige Wochen vor Beginn der neuen Saison Insolvenz anmeldete.
Konkurrenten wie Schenk waren verärgert, Spielerinnen fassungslos. Eine von ihnen war Mareike Thomaier.
Von jetzt auf gleich war unklar, wie es für dich weitergeht. Gab es einen Moment, in dem du deine Karriere infrage gestellt hast?
Nicht einen einzigen, aber viele kleine. Ich habe mich gefragt: Wie sicher ist es eigentlich, vom Handball zu leben? Bin ich bereit, noch mehr Zeit zu investieren, obwohl die Karriere nicht nachhaltig ist? Oder: Kann ich einem Verein erneut so viel Vertrauen schenken, obwohl ich erlebt habe, wie leicht man ausgenutzt werden kann? Der Vertrauensbruch hat mich vieles infrage stellen lassen.
Warum hast du trotzdem weitergemacht?
Weil mir Handball so viel Spaß macht. Trotz des schwierigen Endes in Ludwigsburg war die Zeit dort toll. Wenn mich ein Sport so erfüllt, dann gehe ich das Risiko gerne ein – und bleibe dabei mehr bei mir selbst. Ich kann nur beeinflussen, was ich tue. Alles andere passiert ohnehin.
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Hatte dein gutes Gefühl in Ludwigsburg auch mit den professionellen Strukturen dort zu tun?
Auf jeden Fall. Man musste sich um nichts kümmern und konnte sich komplett auf Handball konzentrieren.
Welche strukturellen Unterschiede nimmst du im Vergleich zu deinem jetzigen Verein wahr?
Es sind Kleinigkeiten. Für Vorbereitungsturniere muss bei uns auch mal eine Spielerin die Kleinbusse abholen. In Ludwigsburg wurde alles organisiert. Dort konnten wir Trainingszeiten flexibel schieben, wenn wir spät von Auswärtsspielen zurückkamen. In Bensheim ist das wegen der Hallenbelegung schwierig. Manche Trainingszeiten sind deshalb nicht ideal, um optimal zu regenerieren. Das ist überhaupt kein Vorwurf an Bensheim, sondern dem Hallenproblem in Deutschland geschuldet.
Gibt es etwas, das du dir im Nachhinein in der Kommunikation von Ludwigsburg anders vorgestellt hättest?
Überhaupt Kommunikation. Wir haben erst durch eigene Recherchen von der Insolvenz erfahren. Schlechter hätte es der Verein eigentlich nicht machen können.
Wann habt ihr gemerkt, dass etwas nicht stimmt?
Als Gehälter plötzlich zu spät kamen. Erst eine Woche, dann gar nicht. Einige Spielerinnen haben dann regelmäßig im Internet geguckt, welche Firmen Insolvenz angemeldet haben. Und eines Morgens stand unser Verein auf der Liste.
Wie lief es danach ab?
Wir Spielerinnen haben uns zuerst untereinander beraten. Erst später kam der Verein auf uns zu und wollte mit uns sprechen.
Nach der Insolvenz hast du dir einen Piranha tätowieren lassen. Welche Bedeutung steckt dahinter?
Unser damaliger Co-Trainer Frederick Griesbrach (Anm. d. Red.: auch DHB-Co-Trainer) verglich uns einmal mit Piranhas: In der Gruppe stark, unterstützend, mit ruhiger Herzfrequenz. Dieses Bild zog sich durch die ganze Saison, sogar unsere Whatsapp-Gruppe hieß so. Und im Zuge der Insolvenz als sehr starkes Investment (lacht), haben Viola und ich uns beide einen Piranha stechen lassen – am Fuß.
Du gehörst zu den wenigen Profi-Sportlerinnen ohne Instagram. Warum?
Früher war es Faulheit. Heute ist es Selbstschutz. Ich lese keine Hassnachrichten, keine Beiträge über die Insolvenz in Ludwigsburg. Und ich muss mich nicht auch noch vergleichen – im Sport passiert das schon häufig genug. Nicht mit Menschen, die öfter im Urlaub sind als ich oder einen flacheren Bauch haben.
Spürst du dennoch Druck, deine Social-Media-Präsenz ausbauen zu müssen – auch, weil Kooperationen Geld bringen könnten?
Auf jeden Fall. Wobei der Druck weniger von meiner Beraterin kommt, eher von meinem Bruder (lacht). Aber er hat auch recht: Marken kooperieren eher, wenn man Reichweite bietet. Aber momentan ist mir der Aufwand für den Nutzen noch zu hoch.
Der DHB erhofft sich, mit der Heim-WM einen Boom auszulösen. Du auch?
Ich wünsche mir vor allem mehr Sichtbarkeit für Frauensport insgesamt, nicht nur für Frauenhandball. Im Fußball hat es bereits funktioniert, warum nicht auch in anderen Sportarten?
Warum glaubst du, könnte es nicht klappen?
Es ist möglich, dass viele erst von der WM erfahren, wenn sie schon vorbei ist. Und dass wir nur Menschen erreichen, die ohnehin Handball mögen. Der Sprung aus unserer Bubble heraus ist ein schwieriger.
Was liegt in deiner Hand, um andere Zielgruppen zu begeistern?
Viel wird am Erfolg hängen. In den letzten Jahren blieben Medaillen aus – vielleicht ist deshalb kein Boom entstanden. Diesen Vorwurf müssen wir uns durchaus gefallen lassen.
Wie findest du es, dass die WM erst im Viertelfinale im Free-TV läuft und vorher hinter einer Paywall?
Schade. Ich weiß, dass es von Seiten der Öffentlich-Rechtlichen Bemühungen gab. Leider gab es keine Einigung für das gesamte Turnier mit Sporteurope.TV. Trotzdem finde ich es ärgerlich, dass wir hinter der Paywall laufen werden. ARD und ZDF stehen, wie ich finde, in der Pflicht, Frauen- und Männersport ausgewogener zu zeigen. Quoten spielen eine Rolle. Aber fehlende Repräsentanz schafft nun mal fehlendes Interesse.
