Julian Nagelsmann begeht mit seiner DFB-Nominierung zwei Fehler
Vom Mythos der deutschen Pünktlichkeit kann man sich wohl langsam mal verabschieden. Die Bahn ist Verspätungsweltmeister, Stuttgart 21 immer noch ein ambitioniertes Bauprojekt, Klimaziele werden regelmäßig nach hinten verschoben. Und jetzt kann man sich nicht einmal mehr auf das DFB-Team verlassen.
Für den Donnerstagvormittag war die Bekanntgabe des Kaders angekündigt, um 10 Uhr saßen Fans wie Medienschaffende gespannt vor ihren Endgeräten... und warteten. Die Veröffentlichung des Aufgebots verzögere sich, vermeldete die dpa mit Verweis auf DFB-Angaben. Aus welchem Grund aber, blieb offen.
Als um 10.38 Uhr schließlich der Kader verkündet wurde, standen dann schnell ganz andere Fragen im Vordergrund. Aber der Reihe nach. Dass Julian Nagelsmann Nico Schlotterbeck nach dessen auskurierter Verletzung zurückholt, dürfte niemanden mehr überrascht haben. Auch die Rückkehr von Jonathan Burkardt, Aleksandar Pavlović sowie Felix Nmecha ist leistungsgerecht.
Mit Nathaniel Brown taucht zudem ein Neuling in der A-Nationalmannschaft auf. Der Bundestrainer hatte den Frankfurter bereits für die Länderspiele im September auf dem Zettel, nun belohnt er dessen Entwicklung in den vergangenen anderthalb Jahren also. So weit, so nachvollziehbar.
Maximilian Mittelstädt fliegt überraschend aus dem DFB-Kader
Das Debüt des Frankfurters hat aber unmittelbare Konsequenzen für einen der verlässlichsten DFB-Profis der Nagelsmann-Ära: Maximilian Mittelstädt steht erstmals seit fast zwei Jahren nicht im Aufgebot. Das ist gelinde gesagt eine Frechheit.
Der Stuttgarter hat sich in den vergangenen zwei Jahren mit stabilen Defensivauftritten und dynamischen Offensivmomenten zum konstantesten Linksverteidiger Deutschlands gemausert. Kein allzu großes Kunststück, mögen Zyniker:innen in Anbetracht der hiesigen Konkurrenz behaupten. Es hebt ihn aber trotzdem von all den anderen Optionen ab, die Nagelsmann zur Verfügung stehen.
Während der vergangenen Länderspielpause musste Mittelstädt gar auf der Position des Rechtsverteidigers aushelfen, lieferte dort ebenfalls ab. "Der einzige im deutschen Abwehrverbund, der einigermaßen stabil blieb und Zugriff auf seinen Gegenspieler fand", befand etwa der "Kicker" im September.
Mittelstädts Nichtnominierung ist ein fatales Zeichen
Der Linksfuß flog anschließend trotzdem aus der Startelf, nun sogar aus dem Kader. Nagelsmann konterkariert damit nicht nur das Leistungsprinzip, sondern geht auf der linken Abwehrseite auch ein gewisses Risiko ein. David Raum, der jetzt erste Wahl sein dürfte, hat defensiv immer wieder Probleme, agiert offensiv zudem eindimensionaler, weil flankenlastiger. Als Back-up bleibt der unerfahrene Brown.
Problematisch an der Thematik ist auch der öffentliche Umgang mit Mittelstädt. Der gebürtige Berliner ist seit Anfang 2024 mehr oder weniger Stammspieler im DFB-Team, fliegt nun aber ohne jegliche öffentliche Einordnung vonseiten des Bundestrainers aus dem Kader. In der Pressemitteilung rund um das aktuelle Aufgebot äußert sich Nagelsmann stattdessen zu Schlotterbeck, Brown oder dem verletzt fehlenden Antonio Rüdiger.
"Was hat Maxi Mittelstädt dir getan, Julian", fragt ein User auf X. "Die letzten zwei Spiele zu sehen und zu sagen, Mittelstädt ist das Problem, ist crazy", schreibt ein anderer.
Es bleibt zu hoffen, dass zumindest intern ein anderer Umgang gewählt wurde. Weniger fatal macht es das öffentliche Zeichen trotzdem nicht.
Nagelsmann geht auch hinten rechts ein Risiko ein
Fragen wirft darüber hinaus auch die Besetzung auf der anderen Abwehrseite wieder auf. Nnamdi Collins ist nach seinem schwachen Debüt direkt wieder aus dem Kader geflogen, dafür holt Nagelsmann Ridle Baku nach fast vierjähriger Abstinenz zurück.
Der läuft mittlerweile für Leipzig auf, zuletzt sogar wirklich regelmäßig als Rechtsverteidiger, nicht mehr als Schienenspieler oder gar Rechtsaußen. Seine Leistungen in dieser Saison sind okay, was ob der außergewöhnlichen Dürre, die seit Philipp Lahms Rücktritt aus dem DFB-Team hinten rechts herrscht, wohl schon genügt.
Aber reicht das auch, um direkt in die Startelf zu springen? Die Nominierung lässt es vermuten, denn für die Position hat Nagelsmann keinen anderen Spezialisten berufen. Oder plant er Jamie Leweling, der schon gegen Nordirland auf der rechten Schiene ausgeholfen hat, erneut für hinten rechts ein?
Dagegen spricht, dass der VfB-Profi anders als Baku nicht im Bereich Abwehr geführt wird; in seinem Klub bekleidet er zudem eine ganz andere Rolle. Und daran will sich der Bundestrainer eigentlich stärker orientieren, nicht zuletzt deshalb läuft Joshua Kimmich mittlerweile wieder im Zentrum auf. Obwohl ihn die Nationalmannschaft hinten rechts so dringend benötigen würde.
Einen zweiten Spezialisten mitzunehmen, mutet da wie die sinnvollere Lösung an. Zumal es für Collins auch hart ist, nach einem schwachen Spiel beim DFB-Team direkt aus dem Kader gestrichen zu werden. Dann hätte Nagelsmann gerade auch in der Defensive andere Namen ebenfalls streichen müssen.
So geht der Bundestrainer auf beiden Außenverteidigerpositionen ein enormes Risiko ein. Eines, das in Anbetracht der Lage in der WM-Qualifikationsgruppe nicht nach hinten losgehen darf. Knapp acht Monate vor dem WM-Start ist Deutschland hinter der Slowakei schließlich nur Zweiter und damit gegen Luxemburg und Nordirland zum Siegen verdammt.