Es sollte eine absolute Premiere sein: Die Olympischen Spiele in Paris wurden geplant als die größten in der Geschichte der Spiele. Für alle offen sollte die Eröffnung sein, eine Zeremonie auf dem Wasser.
Fast 7000 Athlet:innen auf 85 Booten, die entlang der Seine von der Austerlitz-Brücke bis zum Trocadero, einem Ausstellungs-Palast in der Nähe des Eiffelturms, gebracht werden. Vier Stunden Programm für sechs Kilometer, vorbei an zahlreichen berühmten Wahrzeichen der Stadt. Notre-Dame, Louvre, Place de la Concorde, Champs-Élysées, Eiffelturm.
In das Programm sind am Freitag, 26. Juli, mehrere Weltstars eingebunden: Céline Dion singt, Snoop Dog ist Fackelträger bei den Olympischen Spielen und kommentiert die Wettkämpfe für den US-Sender NBC. Auch Staats- und Regierungschefs aus aller Welt sind in der französischen Hauptstadt.
Doch die Stimmung bei Pariser:innen und Besucher:innen schwankt – zwischen Euphorie und Ärger. Und wie geplant, läuft in Paris an diesem Freitag dann doch nicht alles.
Aufgrund der Sicherheitslage sind es am Ende deutlich weniger Zuschauer:innen als ursprünglich geplant bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in Paris, erklärte Innenminister Gérald Darmanin im Vorfeld der Spiele dem Sender France 2.
326.000 Zuschauer:innen sind es schließlich am Pariser Flussufer (statt 600.000), die sich auf die unteren Ufer (104.000 Personen mit einer bezahlten Eintrittskarte) und die oberen Ufer (222.000 eingeladene Personen) verteilen. Wer kein Ticket hat, hat auch keine Chance, in die Nähe der Seine zu gelangen. Noch am Vormittag wurden Tickets für 1600 Euro verkauft.
Statt offen für alle, sind die Spiele für viele ein Ärgernis. Denn das tägliche Leben ist komplett blockiert oder lahmgelegt: Die Metro war am Freitag kurzfristig bis auf wenige Linien stillgelegt. Die Autobahn schon ab dem Mittag dicht. Die Brücken im Pariser Zentrum: gesperrt. Für Autos und manche sogar für Fußgänger:innen. "Le Parisien" schreibt von einem schwarzen Freitag auf den Straßen der Hauptstadt.
Dazu kommt: Ein Anschlag auf das Bahnnetz legte viele Schnellzüge zwischen Paris und dem Osten, Westen und Süden Frankreichs lahm. 800.000 Fahrgäste sind betroffen.
Guillaume Pauli ist gebürtiger Pariser. Doch er hält Olympia in der französischen Hauptstadt für keine gute Idee. Er sieht vor allem 11 Milliarden Euro für ein Event, die sich kein:e Pariser:in gewünscht hat: "Pariser zu sein und sich in meiner eigenen Stadt nicht bewegen zu können, weil die Straßen blockiert und die Metro- und RER-Stationen geschlossen sind – das nervt mich."
Außerdem kritisiert er: "Gezwungen zu sein, einen QR-Code zu zeigen, um an bestimmten Orten laufen zu dürfen. All das, um nicht einmal die Spiele ansehen zu können, obwohl sie bei uns stattfinden."
Viele Pariser:innen haben deshalb bereits vor den Spielen die Stadt verlassen.
Doch es gibt auch die, die sich auf die Spiele freuen. Hunderte Besucher:innen waren bereits am Nachmittag in Saint-Denis, wo das olympische Dorf ist, um die französische Schauspielerin Laetitia Casta und Pharrell Williams mit dem olympischen Feuer auf dem Weg ins Zentrum von Paris zu sehen.
Um 16 Uhr werden die ersten Besucher:innen auf ihre Plätze am Seine-Ufer gelassen. Noch kurz vor dem offiziellen Beginn der Eröffnungsfeier stehen viele Besucher:innen Schlange. Alle müssen ihre Eintrittskarten oder QR-Codes vorzeigen, die von Polizist:innen kontrolliert werden. Mehr als 55.000 Einsatz- und Spezialkräfte aus ganz Frankreich sind im Einsatz.
Wer drin ist, versucht, einen Platz am Kai möglichst nah am Wasser zu ergattern. Bei wem es nicht klappt, der sitzt auf der Straße, vor großen Bildschirmen und schaut zu.
Der Vorteil: Hier sind die Getränkestände näher. Ein großes Bier im Plastikbecher kostet 9 Euro, was selbst für Pariser:innen ein bisschen mehr ist als normal. Für ein Pale Ale zahlt man sogar 10 Euro, für Softdrinks (0,33 Liter) 5,50 Euro. Es läuft Musik von dem französischen Chanson-Sänger Serge Gainsbourg. Dann geht es los.
Immerhin: Pünktlich um 19.30 Uhr. Das griechische Olympia-Team fährt auf dem ersten Boot ein, danach das Refugee Olympic Team, Afghanistan und alle anderen Nationen in alphabetischer Reihenfolge (auf Französisch). Deutschland, auf Französisch Allemagne, ist dadurch schon verhältnismäßig früh, an siebter Stelle, dran. Frankreich selbst zieht als Gastgeberland als Letztes ein.
Philippe Bouvard, der auch einer der freiwilligen Helfer bei Olympia ist, ist geradezu euphorisch: "Natürlich bin ich gekommen. Ich bin kein Stück genervt von den Einschränkungen der letzten Tage in Paris. So ist das nun mal bei einem Großevent wie Olympia. Da muss man für Sicherheit sorgen, das verstehe ich."
Er sagt weiter: "Dabei zu sein, das ist eine tolle Gelegenheit, die nur einmal im Leben kommt! Ich wollte das unbedingt sehen. Das ist nicht dasselbe wie die Show im Fernsehen anzusehen. Die Athleten, das Programm, all die Menschen, sogar Lady Gaga ist da."
Und die kommt dann auch als eine der ersten prominenten Olympia-Gäste. Umgeben von Tänzerinnen mit riesigen rosa Federn singt sie "Mon truc en plumes" (auf Deutsch: Meine Sache aus Federn). Guillaume Pauli kann dem Wirbel um die internationalen Stars bei der Eröffnung der Spiele in Paris nichts abgewinnen.
"Für mich sind die Olympischen Spiele eine Gelegenheit, das Land und die Stadt, die sie ausrichten, in den Vordergrund zu stellen. In diesem Fall also Frankreich, seine Werte und seine Geschichte, um Menschen anzuziehen und ihnen unser Land näherzubringen. Das haben die vorherigen Organisatoren getan (Australien mit den Aborigines, Athen mit der griechischen Mythologie, Peking mit den 2008 Trommeln zum Beispiel)."
Weiter sagt er: "Aber wir mit unserer jahrhundertealten Geschichte können am besten Snoop Dog und Lady Gaga präsentieren, die nicht einmal Franzosen sind? Ich finde es sinnlos, sehr bekannte internationale Künstler anzulocken. Besser sollte man Künstler, die die französischen Werte repräsentieren, in den Vordergrund stellen."
Die meisten Besucher:innen sehen das anders, sie applaudieren für den Auftritt der US-Sängerin. An einer der Seine-Brücken steigt Nebel in den französischen Nationalfarben auf. Es gibt Tänzer:innen entlang der Seine und Flugzeuge, die rote Streifen in den Himmel zeichnen.
Als es anfängt zu regnen, ist das den meisten Zuschauer:innen egal. Sie kramen Regenjacken oder Schirme aus ihren Rucksäcken und feiern weiter. Menschen, die in Bistros in der Nähe des Seine-Ufers einen Platz gefunden haben, stehen auf Stühlen, weil sie hoffen, auch aus der Distanz noch einen Blick auf eines der Boote mit den Athlet:innen zu erhaschen. Mit Regenschirmen versperren sie sich gegenseitig die Sicht. Aber auch das ist nicht schlimm. Sie waren dabei.
In der ganzen Stadt sitzen Pariser:innen und Tourist:innen in Cafés und Restaurants. Nicht anders als zur EM in Deutschland sind auch hier große Bildschirme aufgebaut, auf denen man das Ereignis mitverfolgen kann. Viele Passant:innen bleiben stehen, um zu sehen, was passiert. Als Höhepunkt singt um 23.35 Uhr Céline Dion „L’Hymne à l’amour“ (auf Deutsch: Hymne an die Liebe). Sie ist immerhin Kanadierin, also fast Französin. Kann also niemand was sagen.
Die Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele 2024 findet am 11. August 2024 im Stade de France in Paris statt.