"Ein letztes Mal alles", schreibt das Rocco del Schlacko-Festival Anfang Juli auf Instagram. Damit verkündet es kurz vor seiner diesjährigen Ausgabe sein Aus.
Für viele Fans ist das ein Schock. 25 Jahre lang sei man unabhängig gewesen und nicht von Konzernen gekauft, erklärt der Veranstalter, "doch die Branche hat sich massiv verändert."
Das Rocco del Schlacko ist nicht das einzige Festival mit derartigen Hiobsbotschaften. Auch das Juicy Beats hat verkündet, dass es in dieser Form nicht mehr stattfinden wird. Im Harz sagt das Hexenwerk-Festival Adieu, im Ruhrgebiet löst sich das Olgasrock-Festival auf.
Die Veranstaltenden, die es hingegen nicht erwischt hat, blicken mit Trauer auf ihre Kolleg:innen, während sie selbst weiter ums Überleben kämpfen.
Einige, die von diesen Festivals noch nie gehört haben, mögen jetzt vielleicht denken: Das sind sicher nur kleine, lokale Events – so schlimm kann es um die Branche nicht stehen. Aber das ist falsch.
Das Rocco del Schlacko gilt als Kult-Festival, auf dem dieses Jahr etwa K.I.Z, Yungblud und Papa Roach gespielt haben. Fans des Juicy-Beats-Festivals haben dort in den letzten 24 Jahren zu Acts wie Cro, Deichkind, Alligatoah oder Kraftklub gefeiert.
Es ist diese Größenordnung, die in der Branche ums Überleben kämpft – und natürlich alles, was kleiner ist. Warum die Lage den Veranstaltenden geradezu die Luft zudrückt, hat watson von den Betroffenen erfahren.
"Kostenexplosionen sind das Hauptproblem, genauso wie die Nichtverfügbarkeit von gewissen Künstlerinnen und Künstlern", sagt Thilo Ziegler, Gründer des Rocco del Schlackos, gegenüber watson. Mit den Kosten meint er sowohl die allgemeinen, die er als Veranstalter tragen muss, als auch die immer höheren Gagen von Bands.
Aber warum sind die Acts nicht verfügbar? "Weil sie in einem Eventim- oder Live-Nation-Netzwerk hin- und hergeschoben werden, und man da wenig bis kein Interesse hat, dass sie auch bei einem freien Festival wie uns spielen."
Ziegler spricht dabei von "Monopol-artigen" Zuständen. Für dieses Jahr konnten er und sein Team noch ein starkes Line-up aufstellen. Aber das ging nur dank einer sehr guten Vernetzung. Zudem musste er dafür "tief in die Tasche greifen".
Aber was genau meint der Veranstalter mit den "Eventim- oder Live-Nation-Netzwerken"? Blicken wir einmal auf Eventim als den klaren Marktführer in Europa.
Das Unternehmen umfasst 34 Veranstalter, die sich über 15 Länder erstrecken. Einer dieser Veranstalter ist FKP Scorpio, der Festivals wie Rock am Ring, Rock im Park, Hurricane, Southside, Deichbrand oder das Highfield-Festival umfasst. Damit ist bereits ein erheblicher Teil der größten deutschen Festivals abgedeckt.
Parallel ist das Unternehmen deutlicher Markführer beim Ticketverkauf aller Rock- und Pop-Tourneen. Der genaue Anteil ist nicht bekannt, Schätzungen liegen jedoch bei weit über 60 Prozent. Einer der Vorwürfe innerhalb der Branche: Eventim könne eine immense Anzahl an Acts frei auf seine vielen Veranstalter verteilen.
Darunter etwa auch auf die Netzwerk-eigenen Festivals, um etwa die Pausen auf den Band-Tourneen clever zu füllen. Für unabhängige Events bleibe anschließend nicht mehr viel übrig. Fairer Wettbewerb sei das längst nicht mehr.
Gegenüber watson weist Eventim alle Vorwürfe zurück. "Die Veranstalter innerhalb der CTS Eventim-Gruppe agieren eigenverantwortlich", heißt es auf Anfrage. "Sie treten nicht als homogene Einheit auf und konkurrieren auch nicht systematisch mit kleineren Festivals."
Das Unternehmen geht noch einen Schritt weiter und verweist darauf, dass 90 Prozent der von Eventim verkauften Tickets von Drittveranstaltern stammen. Die Schlussfolgerung: "Wir stärken Vielfalt und Partnerschaft."
Doch zwischen diesen Aussagen und denen freier Veranstaltender liegen Welten.
"Die ganze Branche wird immer schwieriger", bestätigt auch Florian Zoll vom Taubertal-Festival gegenüber watson. Das Festival in Bayern gehört zwar nicht zu denen, die ihr Aus verkündet haben, ist aber doch in besonderer Weise von der Krise betroffen.
So haben sich das Rocco del Schlakko und das Taubertal-Festival beim Booking oft zusammengetan, um tourenden Bands ein stärkeres Angebot zu machen. Mit dem Open Flair haben sie gar ein Dreigespann gebildet.
Drei verschiedene Festivals an einem Wochenende sind für eingebundene Acts wirtschaftlich attraktiver als nur eines.
Dementsprechend hat jedes dieser Festivals, das sich auflöst, indirekten Einfluss auf die jeweils anderen. Auch wenn Florian Zoll erklärt, dass das Taubertal-Netzwerk nach 30 Jahren stabil genug ist, um trotzdem fortbestehen zu können, bestätigt er die Gründe seines Kollegen: "Alles, was das Rocco an Gründen anführt, kann man eins zu eins unterschreiben."
Zoll erklärt, dass die steigenden Gagen von Bands zwar ein Problem seien, man sich hierüber aber durchaus einig werden könnte. "Nur sind da halt die ganz großen Events, die sich die Exklusivitäten sichern. Also eine Band wird exklusiv gebucht und ist somit nicht mehr für uns verfügbar."
Zoll hat dieses Problem direkt vor Augen: Das Taubertal liegt nur 120 Kilometer entfernt vom Rock im Park. Dennoch, und trotz weiterer Herausforderungen wie den Witterungsverhältnissen, die der Klimawandel mit sich bringt, und den steigenden Produktionskosten, steht das Aus des Taubertals für ihn nicht zur Debatte.
Was schließt man nun aus alldem – und wie blickt man in die Zukunft? Vielleicht ist es ein erster Schritt, sich bewusst über die Situation zu werden. Sicher hilft es, offen gegenüber Festivals zu sein, die nicht in der absoluten Mainstream-Liga spielen und somit abgesichert sind.
Auch unabhängige Festivals haben starke Line-ups zu bieten. Zudem kommt die Tatsache, dass sie weniger überfüllt sind als manche Mega-Events, ihrer meist sehr angenehmen Atmosphäre zugute. Vielleicht hilft es, diese Details im Hinterkopf zu haben, wenn es auf den Ticketkauf für 2026 zugeht.