Neue ARD-Serie "Schattenseite" soll Gen Z ansprechen – aber gefällt sie ihr auch?
Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender gelten (mal mehr, mal weniger gerechtfertigt) als verstaubt, so wie der Ruf des linearen Fernsehens eben. Doch die Genießer:innen von guter filmischer Unterhaltung wissen, dass sich zwischen "Rote Rosen" und "Sturm der Liebe" auch echte Wunderwerke befinden.
Eines davon soll die Serie "Schattenseite" sein, die in der ARD-Mediathek bereits zum Streaming verfügbar ist und am 26. Oktober im linearen Fernsehen Premiere feiert. Aber was ist dran, an der von Kritiker:innen gefeierten Gen-Z-Serie?
Als meinungsstarker Vertreter einer ohnehin schon meinungsstarken Gen Z frage ich mich: Bedient sie sich wieder einmal der mottenzerfressenen Materialien aus der Klischee-Kiste der deutschen Film- und Fernsehindustrie über meine Generation? Oder ist sie tatsächlich eine realistische Inszenierung der Lebensrealitäten von jungen Menschen?
"Schattenseite": Darum geht es in der neuen ARD-Serie
Vorweg: Ich gebe mein Bestes, einzelne Handlungen nicht zu spoilern. Dadurch wird die Beschreibung der Serie etwas vage. Ob es sich lohnt, die Serie zu schauen und Licht ins Dunkle meiner uneindeutigen Beschreibung zu bringen, erkläre ich zum Schluss.
"Schattenseite" spielt an einer Schule, die nach dem Suizid eines Schülers von einer anonymen Plattform bedroht wird. Sie veröffentlicht intime Geheimnisse (Chats, Fotos und Videos) der Schüler:innen, sobald eine bestimmte Klickzahl erreicht wird. Um verschont zu bleiben, bleibt den Hauptcharakteren nur der Verrat an anderen.
Die Plattform erklärt kryptisch, sie wolle Gerechtigkeit. Automatisch fragt man sich: Was hat das mit dem Tod von Linus zu tun?
Doch darum geht es zumindest in den ersten Folgen der Serie kaum. Viel eher erinnert die Handlung an eine Mischung aus "Euphoria", "Gossip Girl" und der spanischen Serie "Elite".
"Schattenseite" thematisiert die vielen Probleme der Gen Z
Die Macher:innen der Serie haben versucht, möglichst viel von dem, was die Gen Z bewegt, in eine Serie zu packen. Was hier behandelt wird, ist ein ganzes Panorama jugendlicher Abgründe.
Eine (unvollständige) Auflistung der Themen: Drogenrausch und Partynächte als Flucht vor der eigenen Leere, Untreue als Symptom emotionaler Orientierungslosigkeit, Loyalität als brüchige Währung, Sexualität, Lust und Scham, Machtmissbrauch.
Hinzu kommen Suizidgedanken, Homophobie und Mobbing als Spiegel einer gnadenlosen Sozialordnung. Und irgendwo dazwischen befinden sich einzelne Charaktere auf der Suche nach Halt in der Trauer.
Natürlich dürfen in diesem Coming-of-Age-Thriller auch folgende Gefühle nicht fehlen: in einem Raum neu oder falsch zu sein, nicht dazuzugehören. Und auch der leise, kaum auszuhaltende Gedanke, den eigenen Eltern nie genug sein zu können.
Dabei wird Social Media zum zusätzlichen Sündenbock. Die grundsätzliche Handlung der Serie dient schon fast als Warnsignal vor den unzähligen Risiken der Plattformen.
Das ist das deutsche Publikum gewohnt, in gefühlt jedem dritten "Tatort" geht es um die schlimmen Folgen von Social Media und Technologie und – O M G – der künstlichen Intelligenz. Das war im 20. Jahrhundert vielleicht noch angebracht, aber in der heutigen Zeit wirkt es unnötig dystopisch inszeniert.
Das ist alles etwas viel auf einmal, zumal die Serie gerade einmal sechs Folgen enthält. So wirkt die Serie sehr überfrachtet und mir fällt es schwer, eine Bindung zu den einzelnen Charakteren aufzubauen. Denn das Kennenlernen geschieht ausschließlich parallel zu entscheidenden Plottwists und dramatischen Handlungssträngen. Dadurch wirken die Figuren zwar an Leid überfrachtet – was sicher ein akkurates Bild meiner geplagten Generation ist –, aber gleichzeitig fehlt ihnen der Tiefgang.
Gen Z ist mal wieder der Sündenbock – anders als gewollt
So droht die Serie zu einer Karikatur derer zu werden, die sie eigentlich erreichen will. Denn auch wenn das ein oder andere Klischee über die Gen Z wahr sein mag, zeichnen sie in ihrer Ganzheit ein negatives Bild über meine Generation.
Und dieses Bild wird vorangetrieben, von einer Gesellschaft, die sich liebend gerne über die jungen Generationen echauffiert, ganz im Sinne des guten alten Mottos: "früher war alles besser".
Schließlich ist das Programm immer noch im Auftrag der ARD entstanden. Diese versucht also (leider) beide Zielgruppen gleichzeitig anzusprechen, was bei mir dazu führt, dass ich das Gefühl habe, nur halbherzig angesprochen zu werden.
Schade, denn das Potenzial für echten Tiefgang wäre durchaus vorhanden gewesen – hätte man nur den Mut zur Priorisierung gehabt. Man vergisst, dass ein leiser Moment des Schmerzes oft mehr nachhallt als der knallendste Plottwist.
ARD setzte auf Cannes-Gewinner und Influencer zugleich
Inszeniert wurde Schattenseite von den gefeierten Regisseuren Özgür Yıldırım ("Nur Gott kann mich richten", "Boy 7") und Alison Kuhn ("Druck"). Sie setzen auf dunkle Bildwelten, schnelle Schnitte und ein nervöses Tempo, das dem Ganzen einen echten Thriller-Charakter verleiht.
Das Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen Roman von Jonas Ems ("Krass Klassenfahrt", "Villa der Liebe"), den er gemeinsam mit der Autorin Hanna Hribar ("Die Schule der magischen Tiere 3") adaptiert hat.
Auch in der Schauspielerei ist die Serie renommiert: Neben Samirah Breuer ("KRANK Berlin", "Almania"), Florian Geißelmann ("Seid einfach, wie ihr seid") und Ludger Bökelmann ("Die Discounter") überzeugt das Ensemble mit jungen Rising Stars. So hat Anton Weil 2025 mit "Schwesterherz" auf der Berlinale Premiere gefeiert, und Filip Schnack war zuletzt zu sehen im Cannes-Gewinner "In die Sonne schauen".
Das zeigt sich auch. Für mich ist es eine der besten schauspielerischen Leistungen einer deutschen Produktion der letzten Jahre. Aber selbst die besten Schauspieler:innen können nur mit dem Material arbeiten, das ihnen gegeben wird.
"Schattenseite" lohnt sich für Gen Z: ARD hat vieles richtig gemacht
Zum Schluss habe ich also noch viele Fragen. Aber – das mag Boomer jetzt schockieren – keine einzige davon ist, ob Social Media jetzt verboten werden sollte.
Warum schlägt beim ersten Leak niemand Alarm? Allein der erste Vorfall einer Veröffentlichung von privatem Material wäre verheerend genug, ganz ohne die inszenierte "Schattenseite". Wo sind die Lehrkräfte? Weshalb schauen alle weg, egal ob aus Absicht, Bequemlichkeit oder Hilflosigkeit?
Eltern kennen das bange Gefühl, wenn das Kind in einer Krise steckt. Doch wer trägt die Verantwortung für das Leid von Jugendlichen – Schule, Eltern, Gesellschaft – oder müssen sie das allein durchstehen?
Falls es bisher noch nicht offensichtlich geworden ist: Für mich wäre die Handlung ohne diese mysteriöse "Schattenseite" schon interessant genug gewesen. Mich interessiert vielmehr, wie ihre Figuren an den Punkt kamen, an dem sie stehen – was sie verletzt, verraten, verstummen ließ. Für diesen Coming-of-Age-Thriller hätte es die ewig alte Verteufelung von Social Media gar nicht gebraucht.
Daher hoffe ich, dass eine zweite Staffel genau das erfüllen könnte. Denn die Belange der Gen Z sind mehr als nur die Frage nach mehr oder weniger Social Media. Und meine Generation braucht definitiv keine dämonische App, um gezeigt zu bekommen, wie verletzlich wir sind.
