Leben
Meinung

Tiktok-Trend soll Dummheit der Gen Z beweisen – jetzt reicht's!

Shopping in New York Shoppers with their cupcakes outside the Magnolia Bakery on trendy Bleecker Street in the Greenwich Village neighborhood in New York on Saturday, August 30, 2025. PUBLICATIONxNOTx ...
God forbid Gen Z likes to treat themselves.Bild: IMAGO images / Levine-Roberts
Meinung

Gen Z: Uuuund noch ein "Trend", der meine Generation als dumm verkauft ... es reicht!

Wenn ein Iced Latte als dekadenter Luxus herhalten muss, stimmt nicht etwa was mit der Gen Z nicht. Sondern mit der Welt, in der Sicherheit unerschwinglich und ein Kaffee der letzte kleine Trost ist. Ein "Crash-Out" zu dem ständigen Diskurs um die angeblich dumme Gen Z.
03.09.2025, 17:0503.09.2025, 17:05
Mehr «Leben»

Ich gebe es zu, ab und zu gönne ich mir eine dieser komplett überteuerten Starbucks-Kreationen. In meinem Freundeskreis gibt es unzählige Gags darüber, dass ich mir die süßspeiseähnlichen Koffein-Konstruktionen am liebsten intravenös einverleiben würde. Wenn dann nur nicht das explosive Geschmackserlebnis verloren gehen würde!

Deshalb knirsche ich zwar jedes Mal mit den Zähnen, wenn mein geliebter Iced Latte mit Hafermilch, extra Shot Espresso, absurdem Sirup und veganer Sahne mal wieder einen Euro teurer geworden ist.

Aber eins werde ich mir garantiert nicht anhören: Dass mein regelmäßiger Starbucks-Run nicht nur Teil eines größeren Trends, sondern ein Beweis für das angeblich "dumme" Finanzverhalten meiner Generation sein soll.

Tiktok-Trend "Treat Culture" in der Kritik: Gen Z soll dumm sein

Aufzuwachsen zwischen mehreren Finanzkrisen hat bei der Gen Z nicht gerade dazu geführt, dass wir uns den Luxus erlauben können, unbeschwert auf eine wirtschaftlich sichere Zukunft zu blicken.

Also wird jedes noch so kleine Stück Gönnung automatisch zum Trotz gegenüber diesem verunsichernden System. Und diese "Treat Culture" wird von der Gen Z regelrecht zelebriert: Wie die "New York Times" berichtete, gönnen sich mehr als die Hälfte der Mitglieder meiner Generation mindestens einmal pro Woche ein kleines Extra.

Der Treat kann dabei vieles sein: mal eine Belohnung für das Durchhalten trotz widriger Umstände, mal ein Akt der Self-Care. So oder so ein Moment des Innehaltens und achtsamen Genießens.

Dank Tiktok ist der Treat, die Gönnung, die kleine Belohnung, längst mehr als nur ein spontaner Kauf. Er wird zum Anlass, sich inspirieren zu lassen, neue Self-Care-Hacks zu entdecken (klar, wir leben in einem System, in dem selbst Erholung optimiert gehört) und diese gleich auszuprobieren. Kein Wunder also, dass es inzwischen Abermillionen Tiktok-Videos gibt, die zeigen, wie vielfältig diese kleinen Momente des Treats sein können.

Dass das finanziell nicht immer die weiseste Option ist, ist uns bewusst. Aber was an der Kritik der "Treat Culture" wirklich mitschwingt, ist weniger die Sorge um meinen Kontostand, als die ewig-alte Leier: Die Gen Z sei faul, verwöhnt und hätte ohnehin keine Ahnung von Geld. Aber ganz ehrlich? Diese Platte hängt seit Jahrzehnten, wir kennen die Sprüche in- und auswendig. Dabei verfehlen sie das Ziel komplett.

Nein, die Gen Z muss sich nicht noch mehr anstrengen

Ich habe kein Problem damit, über die finanzielle Lage meiner Generation zu sprechen – so geht es übrigens dem Großteil ihrer Vertreter:innen. Warum auch?

Lasst uns also darüber sprechen, dass Geld einer der größten Stressfaktoren für junge Erwachsene ist. Knapp zwei Drittel der 18- bis 35-Jährigen leben in heftiger Angst um ihre finanzielle Situation, berichtete "Forbes". Wenig überraschend, steigen doch die Kosten für Lebenshaltung und Wohnen unaufhaltsam, während Arbeitsumstände immer prekärer und unsicherer werden.

Die finanzielle Situation der Gen Z liegt jedoch nicht am schlechten Haushalten, sondern ist ein strukturelles Problem, für das wir nicht einmal etwas können. Analysen älterer Generationen zufolge muss meine Generation aber einfach noch mehr arbeiten – klar.

Dabei kann ich, ohne lange überlegen zu müssen, acht Menschen aus meinem direkten Umfeld aufzählen – alle etwa in meinem Alter –, die bereits einen Burn-out hinter sich haben. Denn junge Menschen stecken oft ohne Sicherheitsnetz fest in einem System, das Selbstaufopferung glorifiziert und das permanente Rennen im Hamsterrad als Tugend verkauft.

Ist das diese "Hustle Culture", die angeblich erstrebenswert sein soll? Und dann soll ein regelmäßig gekauftes Starbucks-Getränk ein Indiz dafür sein, wie dumm meine Generation ist?! Ernsthaft?

Natürlich ist der Treat auch ein Symbol einer entfremdeten Lebensrealität: Eigentlich sollte doch das Leben an sich ständig euphorische Momente hervorbringen, unsere Arbeit erfüllend und die Ausbildung auch spaßig sein. Weil sie das in den meisten Fällen eben nicht sind, dient der kleine Treat als Puffer für den stetigen emotionalen Verschleiß, den wir in diesem System erleben müssen.

Die Frage sollte also nicht sein: "Warum kauft die Gen Z das, anstatt es zu sparen?", sondern viel eher: "Warum ist ihre Lebensrealität so niederschmetternd, dass ein 7-Euro-Drink zum Highlight des Tages wird?".

Gen Z soll ihre finanzielle Stabilität verzocken – welche genau?!

Die bewiesene Wahrheit ist, dass keine Generation so konsequent spart, wie die Gen Z. Das ist das Ergebnis einer Studie, die unter 1000 Amerikaner:innen durchgeführt wurde, berichtet unter anderem "Newsweek". In der Großstadt gönnt man sich vielleicht gelegentlich einen kleinen Luxus. Doch währenddessen wird selbstverständlich der ÖPNV genutzt, statt sich an die Kosten eines eigenen Autos zu binden.

Shopping findet im lokalen Vintage-Shop um die Ecke statt, getragen wird, was schon einmal geliebt wurde. Ganz selbstverständlich haben viele junge Menschen kein großes Vermögen, trotzdem investieren einige kleine Beträge über Neo-Broker in nachhaltige ETFs.

Auch wir versuchen, an unserer langfristigen finanziellen Stabilität zu arbeiten. Nur eben anders als die Generationen vor uns, denn die Vorzeichen haben sich fundamental verändert. Denn dieses System wurde von eben jenen gezüchtet, die jahrzehntelang Verantwortung vertagt, Investitionen verkalkuliert und unsere Zukunft verspielt haben. Heute hält es uns im Würgegriff, schier unmöglich ihm zu entkommen. Ganz gleich, wie diszipliniert wir sparen oder wie viele Nebenjobs wir stemmen.

Tiktok-Trend Treat Culture ruiniert uns nicht, sondern das System

Dabei kapitalisiert das System echte Bedürfnisse und Sehnsüchte. Wir brauchen einen lebenswerten Wohnraum, die Kosten dessen sind jedoch so exorbitant hoch, dass Vertreter:innen meiner Generation zum Ende des Monats ganze Mahlzeiten auslassen müssen, um ihre Miete zahlen zu können. Eine amerikanische Studie von Redfin ergab, dass 22 Prozent der Gen Z das bereits gemacht haben. Gleich viele haben bereits Hab und Gut verkauft, um die hohe Miete aufbringen zu können.

Gleichzeitig ist die Hoffnung darauf, irgendwann ein Eigenheim zu besitzen, beinahe so aussichtslos wie an den Weihnachtsmann zu glauben. Eine amerikanische Studie hat ergeben, dass Hauskäufer:innen 80 Prozent mehr verdienen müssen, als im Jahr 2020, während das Einkommen gerade einmal um 23 Prozent gestiegen ist.

Auch ohne den regelmäßigen Kaffee-To-Go werden wir uns ohne plötzlichen Finanzsegen kein Eigenheim leisten können. Statt mittelmäßig sinnvoller Tipps wäre also ein politischer und gesellschaftlicher Wandel angebracht.

Die Erzählung "Gen Z ist dumm und verschwendet" verschiebt jedoch die Schuld für das Prekariat der jungen Generation weg von Politik und Kapital hin zu individuellen Kaufentscheidungen. "Treat Culture" wird zur Projektionsfläche für Generationenfeindlichkeit und angeblicher Besserwisserei älterer Gruppen.

Dabei ist sie kein Generationenproblem, sondern ein Symptom des Spätkapitalismus. Und der ist veränderbar. Aber nicht, wenn wir uns ständig gegenseitig diffamieren.

Malediven: 500 Jahre altes Korallenriff gefährdet – wegen neuem Urlaubsresort
Die Malediven sind für ihre paradiesischen Strände bekannt. Über eine Million Urlauber:innen zieht es jedes Jahr auf die Inselgruppe. Doch der Massentourismus hat schwere Folgen für die Umwelt.
Weiße Sandstrände, saftig grüne Palmen und türkisblaues Wasser – wenn man sich Bilder von den Malediven anschaut, könnte man fast meinen, dass alles nur KI-generiert sei. Doch die Inselgruppe im Indischen Ozean existiert tatsächlich und zieht jedes Jahr weit mehr als eine Million Besucher:innen an.
Zur Story