Dating-Trend "medium ugly": Das Märchen von den hässlichen und treuen Männern
Neulich sprach ich mit einer Freundin, die praktisch Familie ist. Gemeinsam haben wir so einige Herzschmerzgeschichten in unserem Leben erlebt – und überwunden.
Ebendiese Freundin hat selbst eher überdurchschnittlich viel Unglück mit den Männern. Kürzlich zählte sie, in einem von Selbstzweifeln gespickten Geständnis, unzählige Gründe dafür auf. Während ich ihr lauschte, überlegte ich schon fieberhaft, wie ich ihr einen meiner essenziellen Punkte klarmachen konnte, ohne gemein zu wirken.
Schließlich sagte ich: "Ich glaube, du musst endlich anfangen, jemanden aus deiner Liga zu daten, anstatt immer nur Männer darunter".
Tiktok: "Medium ugly" Männer sind anhaltender Dating-Trend
Was ich damit sagen wollte: Ihr bisheriges Datingschema ist (leider) vor allem daran erkennbar gewesen, dass sie hässliche Männer datet, die verglichen mit ihrem Aussehen und ihrer Persönlichkeit ein deutlich überdimensioniertes Ego hatten. Daher konnten sie ganz offenbar auch nicht ertragen, dass besagte Freundin die schönere Person in der Beziehung war.
In dieser Analyse bin ich vielleicht gemein, aber schließlich bin ich weder Diplomat noch Psychologe. Als homosexueller Mann, der seit dem Kindergarten kein heterosexuelles Dating mehr betrieben hat, frage ich mich aber immer wieder: Warum zur Hölle daten Frauen zunehmend "medium ugly" Männer?! Zumindest ist dieser Trend aktuell auch auf Social Media erkennbar.
Dabei sind explizit nicht die Männer gemeint, die zwar äußerlich keinen Waschbrettbauch à la Gladiator vorweisen können, aber dafür kreativ oder anderweitig begabt sind. Bei "medium ugly men" geht es ausschließlich um Männer, die eben genau das sind: mittelhässlich.
Liebe Gen Z, "Barbie" hat uns doch eigentlich eines Besseren gelehrt
Die Frage, die sich bei dieser Debatte aufdrängt: Wenn Frauen bewusst hässliche Männer daten – ist das wirklich noch edgy oder schlicht ein Zeichen massiver Selbstzweifel?
Denn Frauen wird in unserer Gesellschaft eine Unsicherheit quasi in die Wiege gelegt. Sie müssen, gesellschaftlich gesehen, immer perfekt sein. Ich zitiere aus dem "Barbie"-Film:
Ist das neue Dating-Muster der Gen Z dann nicht eigentlich sogar ein Unterwerfen eben dieser patriarchalen Systeme, wenn sich Frauen bewusst dazu entscheiden, unter ihrem Wert zu daten?
Männer machen's schließlich komplett umgekehrt, sie daten lieber nach oben. Wenn die eigene "Medium Ugliness" da nicht ansprechend genug ist, dient notfalls die eigene Überheblichkeit als Ausgleichswährung.
Social Media: Das steckt angeblich hinter dem Dating-Trend der Gen Z
Auf Social Media erklären Userinnen, hässliche Männer wären loyaler, weil sie ja wissen würden, dass sie den Jackpot geknackt haben. Ich glaube aber, das ist kompletter Schwachsinn. Untreue Männer verhalten sich wie untreue Männer, egal wie gut aussehend die Beziehungsperson ist.
Denn die Machtstruktur des Patriarchats inspiriert Männer dazu, ihren eigenen Bedürfnissen nachzugehen. Dabei ist es egal, was passiert, denn in der Welt der Männer geht es schließlich nur um den Mann. Um das zu ändern, müssten sie ihr eigenes Verhalten hinterfragen – und Reflexion ist beim Durchschnitt der männlichen Bevölkerung ein eher eingestaubter Begriff.
Allerdings löst die Angst vieler Frauen auf Tiktok, betrogen zu werden, sich nicht dadurch, dass sie einen hässlichen Partner wählen. Diese Angst kennt jede Person, die schon einmal betrogen wurde, auch ich. Als ein Ex mir sein Fremdgehen gestand, kamen natürlich Selbstzweifel auf – bin ich genug?
Aber noch tiefgehender war etwas anderes: die Angst, mich wieder zu öffnen. Die Angst vor Verletzlichkeit, davor, Kontrolle zu verlieren. Der tatsächliche Verlust war schlimm, aber dagegen zweitrangig.
Ich glaube deshalb: Die Angst, betrogen zu werden, lässt sich nicht durch eine strategische Partnerwahl besiegen. Viel eher geht es darum, Beziehungen einzugehen, in denen man sich öffnet und erlebt, dass Vertrauen halten kann. Dabei müssen diese nicht romantisch sein: Auch in Freundschaften kann man lernen, sich fallen zu lassen und sich dabei sicher zu fühlen.
Vielleicht ist die Moral von der Geschichte, dass die Bewertung des Aussehens nach gesellschaftlichen Standards nicht fürs Dating qualifizieren oder disqualifizieren sollte.
Und wenn man in einem "medium ugly" Boyfriend die Liebe des Lebens findet, dann hoffentlich nicht aufgrund seiner Medium-Ugliness. Viel wichtiger sind doch die persönlichen Vorlieben, die Gefühle und das Zwischenmenschliche. Um ein legendäres deutsches Meme zu zitieren: "Nur der Charakter zählt".