Achtung, der folgende Artikel enthält Spoiler zur "House of the Dragon"-Episode "King of the Narrow Sea". Wer die Episode noch nicht gesehen hat, sollte also vorsichtig sein.
In seinen insgesamt acht Staffeln sorgte "Game of Thrones" immer wieder für TV-Skandale, vor allem durch Sex- und Gewaltszenen – oder auch beides in Kombination. Die Nachfolge-Serie "House of the Dragon" hatte sich mit derartigen Wagnissen bis zur vierten Folge vergleichsweise zurückgehalten, nun hat aber auch das Prequel seinen ersten richtigen Aufreger: einen Inzest-Eklat. Einen Gefallen haben sich die Verantwortlichen damit aber nicht unbedingt getan.
König Viserys I. Targaryen wird in "House of the Dragon" immer ungeduldiger: Seine Tochter Rhaenyra, der (zumindest momentan noch) der Thron versprochen ist, soll verheiratet werden. Zwar versicherte er ihr noch in Folge drei, sie habe immerhin freie Wahl, doch (aus seiner Sicht) idealerweise soll über die Hochzeit ein enges Band zu einem anderen einflussreichen Haus geknüpft werden. Das Problem: Die Bewerber sind entweder zu jung oder zu alt.
In der Episode kommt es auch zu einer Wiederzusammenführung, denn nach seinem ruhmreichen Sieg über den Krabbenspeiser in Folge drei zieht es Daemon Targaryen zurück nach Königsmund – das Verhältnis zu Bruder Viserys ist allerdings nach wie vor angespannt.
Richtig pikant wird es allerdings erst, als Daemon und seine Nichte Rhaenyra über einen Tunnel in einem Bordell landen, sich das frohe Treiben anschauen und einander körperlich näherkommen. Erst spät macht Daemon einen Rückzieher, der Geschlechtsakt wird nicht vollzogen – zum Ausgleich verführt die Thron-Anwärterin später ihren Leibwächter Ser Criston Cole, zu dem sie in den vergangenen Folgen bereits eine emotionale Bindung aufgebaut hatte.
Obwohl Rhaenyra und Daemon keinen Sex haben, endet die Episode folgenschwer, denn der kleine Ausflug der beiden wurde von einem Späher beobachtet. Als eine körperliche Untersuchung ergibt, dass Rhaenyra tatsächlich keine Jungfrau mehr ist, liegen die Fakten für Viserys auf der Hand: Sein eigener Bruder hat Rhaenyra entehrt. Zur Strafe wird der vermeintliche Übeltäter ins Exil verbannt, das familiäre Tischtuch ist endgültig zerschnitten.
Inzest und "Game of Thrones", das ist eine innige Verbindung mit langer Vergangenheit. Unvergessen sind Cersei und Jamie Lennister, deren Liaison mehrere Kinder hervorbrachte, und auch im Haus Targaryen ist Inzest kein Fremdwort.
Die "House of the Dragon"-Autoren müssen langsam aufpassen, dass ihre Show nicht zu einem billigen Abklatsch verkommt, denn die Szene mit Daemon und Rhaenyra ist vergleichsweise wirklich... harmlos, und macht erst einmal den Eindruck, auf recht plumpe Weise den Plot vorantreiben zu wollen. Dabei hat die Serie bislang vor allem erzählerisch überzeugt, wusste sich ohne billige Kniffe oder Wendungen zu helfen.
Die Annäherung zwischen Onkel und Nichte hingegen kommt aus dem Nichts und ist allein damit zu erklären, dass sich Rhaenyra inmitten der vielen Traditionen, die ihr ein selbstbestimmtes Leben verbieten, einfach nimmt, was sie will – beziehungsweise bereit ist, dafür auch gewaltige Risiken einzugehen. Das Problem ist jedoch: Es gibt andere und weitaus bessere Möglichkeiten, ihr als feministischer Figur ein Denkmal zu setzen.
Durch die Ereignisse in "King of the Narrow Sea" nämlich wird eine Frau am Ende doch nur wieder über ihre sexuellen Reize definiert und das Publikum billig geködert. Zugegeben: Das war auch schon ein valider Kritikpunkt an "Game of Thrones", aber gerade darum sollten die Showrunner langsam davon abrücken. Zwar wurde vor dem Start von "House of the Dragon" angekündigt, es werde on screen keine sexuelle Gewalt gegen Frauen geben, doch wirklich verstanden haben die Macher das Thema Emanzipation offenbar nicht.
Dabei versagt "House of the Dragon" gerade im Vergleich zum Vorgänger, was den Schock-Faktor betrifft. Hier gab es eine Szene, in der Cersei von Bruder Jaime (!) direkt neben dem Sarg des gemeinsames Sohnes Joffrey (!) vergewaltigt (!) wird. Mehr Kontroverse geht praktisch nicht. Die Blutsverwandschaft dieser Figuren ist noch einmal enger, der Ort des Geschehens viel geschmackloser.
Es ist für die neue Serie praktisch in jeder Hinsicht unmöglich, hier noch einmal eins draufsetzen, also: Was zur Hölle soll das mit Rhaenyra und Daemon? Die "Game of Thrones"-Fans haben doch schon alles gesehen. "House of the Dragon" wird zum Softporno, der mit Momenten wie diesem kaum jemanden zufriedenstellen dürfte – und auch nicht wirklich zum Aufreger taugt.