Maurice Dziwak wird wohl als formvollendetes Häufchen Elend in die Dschungelcamp-Archive eingehen. Zitternd, weinend, zaudernd, stets tastend nach Zuspruch und Aufrichtung durch andere. Der Dschungel war zu viel für ihn. Er hatte nicht das Zeug dazu, er war nicht Manns genug.
Das kann man langweilig und erbärmlich finden – Maurice Dziwak als Personifizierung des "Luschen-Camps". Aber, keine Ahnung, ist Maurice Dziwaks freimütiges Versagen nicht eher ein Fortschritt für uns (Männer)?
Ich gucke das Dschungelcamp, seit es existiert, also seit jetzt 21 Jahren. Während eines Großteils dieser Zeit nutzten Alpha-Männer die RTL-Show als archaische Performance-Bühne. Ein Verhalten, das sich nicht nur im Dschungelcamp, sondern auch in Survival-Shows wie "7 vs. Wild" beobachten lässt.
Woher kommt das? Ich glaube, es liegt am Kern des Dscungelcamps, dem Zivilisationsentzug. Bei Kandidaten wie Thorsten Legat löste das scheinbar eine Testosteronflut aus, die Steinzeit-Instinkte reaktivierte. Die Versuchsanordnung der Show wurde als Vorwand genutzt, sich als Mann in den besten Jahren ganz selbstverständlich über vermeintlich Schwächere (zum Beispiel Frauen) zu stellen.
Die Alpha-Männer wurden wieder zu Versorgern und Beschützern und verlangten dafür Gegenleistungen, meistens soziale Unterordnung. Der erkämpfte Platz in der Hierarchie wurde mit dem einen oder anderen sorgsam eingestreuten Wutausbruch verteidigt.
Von den Prüfungen kehrten die Thorsten Legats, Bastian Yottas und Aurelio Savinas dieser Ära zurück wie verwundete Krieger, und waren doch nur paniert mit Melasse und Hühnerfedern – und nicht gesprenkelt mit dem Blut ihrer Feinde oder Beutetiere. Jede Abwertung einer Prüfungsperformance bedeutete die Abwertung ihrer Männlichkeit.
Diese Männer betrachteten den Dschungel als Naturstahlbad, als Abhärtungskampf, als maskuline Bewährungsprobe. Es war eine Ära des Gepolters, Geprustes und Unterbutterns. Es muss unerträglich gewesen sein, mit diesen Menschen die 17 Tage im Dschungel zu verbringen.
Maurice Dziwak ging mit einem ähnlichen Mindset in den Dschungel. Wer den Mann nicht kennt: Er stammt aus der traditionell hypermaskulin eingenordeten Dating-Show-Pipeline von RTL. Sein Trademark ist ein animalisches Mantra. Er nennt sich "Löwe, der von Kriegern erzogen wurde". Das erinnert ein bisschen an Bastian Yottas legendäre Selbstsuggestion "I'm strong, healthy and full of Energy!"
Der Unterschied: Von Maurice Dziwaks Löwen-Kostüm waren schon nach Tag eins nur noch Fetzen übrig. Er versuchte gar nicht erst, seine Phobien zu verdecken. Er stand zu sich und seinen Schwächen.
Ein paar Beispiele.
Tag 1: Maurice Dziwak zögert vor seinem Bungee-Sprung wie ein Zehnjähriger, der sich die Sache mit dem Fünfmeterbrett im Freibad ein bisschen einfacher vorgestellt hatte. Er springt am Ende dann doch. Entgegen seines Instinkts, nur, weil die Regeln der Show es vorgeben.
Tag 2: Maurice Dziwak bricht in Panik aus, als er im sogenannten Dschungeltelefon, das eigentlich ein enger Holzverschlag ist, eine Spinne entdeckt.
Tag 5: Er muss seinen Luxusgegenstand, einen Kuschelhasen namens Schnuffel, abgeben. Das Stofftier riecht nach Maurice Dziwaks Kind, der Vater ist am Boden zerstört.
Tag 6: Maurice Dziwak weint, weil Jürgen Hingsen ihn in einer (ziemlich fiesen) Szene mit Allgemeinwissensfragen erniedrigt. Er ist tief getroffen: "Das ist nicht schön. Mich vor allen anderen so bloßzustellen, ist nicht in Ordnung", schnieft er. Aber er sucht das Gespräch mit dem Peiniger. Jürgen Hingsen entschuldigt sich aufrichtig.
Tag 14: Der offizielle RTL-Account postet bei Instagram einen Mitschnitt der kommenden Prüfung von Maurice Dziwak und Lilly Becker. Sie befinden sich in einem vertikalen Becken, das allmählich geflutet wird. Maurice Dziwak unterdrückt einen Fluchtinstinkt, fürchtet sich offensichtlich zu Tode.
Unter dem Video schreibt eine Frau verächtlich: "Oh man, und das sind die Männer von heute?" (202 Likes). Oke, Kommentarspalten halt. Aber Lilly Beckers "Motivationsansprache" an ihren Prüfungspartner in der Szene ist noch etwas interessanter: "Deine Frau guckt zu, okay?!" Als würde die ihren Mann beim Anblick dieser Vorstellung umgehend verlassen. Weil ein Mann ja abliefern muss. RTL nannte ihn danach übrigens "MIMIMI-Maurice".
Das Ding ist: Maurice Dziwak machte sich darüber mal so gar keine Sorgen: "Ja, meine Frau, die weiß genau, wie ich mich fühle." Das klingt irgendwie ... wie eine ziemlich gesunde Beziehung zwischen Maurice Dziwak und Maurice Dziwak (und seiner Ehefrau).
Ja, vielleicht ist das alles ein bisschen weinerlich und dramatisch. Und sich hin und wieder mal selbst zu überwinden, schadet auch nicht. Aber betrachtet man die Dschungelprüfungen mal von Aspekten wie Nahrungsbeschaffung und Gruppenzwang losgelöst, ist es ziemlich nachvollziehbar, nicht an ein Seil geschnürt kopfüber in den Abgrund springen zu wollen, wenn einem allein beim Gedanken daran die Beine zittern.
Maurice Dziwak spricht offen über den Druck und sein Angstbauchweh:
Das muss ja alles nicht sein. Mann muss sich nicht so quälen. Wofür denn?
Worauf ich hinaus will: Maurice Dziwak kennt seine Grenzen. Er ist, glaube ich, bis zu einem gewissen Grad mit sich im Reinen. Er steht in Kontakt mit seinen Gefühlen (Kränkung, Scham, Angst, Sehnsucht). Er ist in der Lage, sie zu kommunizieren und ihnen auszuweichen, bevor sie ihn krank machen. Und es kümmert ihn offenbar nicht, wenn deshalb seine Maskulinität infrage gestellt wird.
Das ist nicht überall der Standard. Bei vielen Männern lösen männlichkeitsbedrohende Situationen Aggressivität aus. Die New York University hat 2024 eine Studie zur Verhinderung fragiler Männlichkeit durchgeführt. "Unsere Ergebnisse rufen dazu auf, die restriktiven Normen und den sozialen Druck, dem Jungen ausgesetzt sind, um stereotyp männlich zu sein, aktiv in Frage zu stellen", heißt es.
Als fragile Maskulinität definiert die Studie "Männlichkeiten, die sich immer wieder neu beweisen und durchsetzen müssen". Es geht um einen gewissen Selbstzwang, den man im Dschungelcamp auch sieht.
Reine Spekulation, aber niemand genießt es, wenn ein Kakerlakenvolk jeden Quadratzentimeter des eigenen Körpers erobert. Die Thorsten Legats der Dschungelgeschichte ertrugen diese Herausforderungen stoisch, weil sie es selbst so von sich erwarteten. Weil es ihnen so eingeflößt wurde.
Ich habe noch nie in irgendeiner Situation zu mir gesagt, ich müsse jetzt ein Löwe sein, so wie ich überhaupt nicht in Tiervergleichen über mich oder mein Auftreten nachdenke. Aber letztes Jahr an Silvester bin ich auf dem Heimweg einer hemmungslos böllernden Jugendlichengruppe bewusst nicht ausgewichen, obwohl ich auch einen gar nicht so ausschweifenden Umweg hätte nehmen können.
Keine Ahnung, was ich mir damit beweisen wollte, aber darüber musste ich gerade ein paar Mal nachdenken.
Irgendwas ist in Maurice Dziwak passiert, wahrscheinlich schon vor dem Dschungel. Vielleicht hat der 26-Jährige eine Zeit lang zu viele Andrew-Tate-Videos geschaut und sich dann diese seltsame Sache mit dem Löwen überlegt.
Vielleicht hat er all das nun satt, diese ständige, anstrengende Angst, dieses mühsame Aufrechterhalten einer hypermaskulinen Fassade.