Johnny Depp spricht sehr langsam. Zwischen jedem einzelnen Wort legt er eine Kunstpause ein, er versucht ein Grinsen zu unterdrücken. "Auf meiner Seite des Bettes waren menschliche Fäkalien. Es ist so bizarr und grotesk, dass ein menschliches Wesen einen Haufen in mein Bett gemacht hatte, dass ich nur lachen konnte", erzählt der Schauspielerwährend seiner Aussage vor einem Gericht in Fairfax County, Virginia.
Immer wieder wird das versteinerte Gesicht von Amber Heard gezeigt, der Depp vorwirft, ein großes Geschäft in seinem Bett verrichtet zu haben. Heard behauptet daraufhin, dass Depps Teacup Yorkshire Terrier Boo für den Haufen verantwortlich sei, was wiederum Depp aufgrund der geringen Größe des Hundes ausschließt. Parallel dazu zeigt die Netflix-Dokumentation "Johnny Depp gegen Amber Heard" die Live-Reaktionen von männlichen Youtubern und Influencern, die sich angesichts der Aussage des Jack-Sparrow-Darstellers vor Lachen auf dem Sofa biegen.
Wenig später wirkt Depp peinlich berührt, als im Gerichtssaal ein Video gezeigt wird, dass eine 23 Jahre jüngere Ex-Frau heimlich mit ihrem Telefon aufgenommen hat. Der mittlerweile 60-Jährige rastet in der gemeinsamen Wohnung aus und flucht, er tritt mit Anlauf gegen die Mikrowelle und schlägt die Türen der Küchenschränke auf und zu. Dann schüttet er sich am frühen Morgen ein großes Glas Rotwein ein. Als Depp bemerkt, dass er gefilmt wird, kommt es zu einem Handgemenge, die Kamera wackelt, die Aufnahme reißt ab.
Der Prozess zwischen Amber Heard und ihrem Ex-Mann Johnny Depp hielt zwischen dem 11. April und 1. Juni des vergangenen Jahres die Medienwelt in Atem. Beide warfen sich nach dem Ende ihrer toxischen Ehe Verleumdung vor, Depp forderte 50 Millionen Dollar Schadensersatz, Heard im Gegenzug 100 Millionen Dollar.
Auslöser war ein Kommentar Heards in der US-Zeitung "Washington Post", in dem die "Aquaman"-Schauspielerin über ihre Erfahrung mit häuslicher Gewalt schrieb, ohne allerdings Depp namentlich zu nennen. Dieser sah dennoch seinen Ruf geschädigt und klagte. Da die "Washington Post" teilweise in Fairfax County gedruckt wird und es in Virginia einfacher ist, eine Klage wegen Verleumdung einzureichen, wurde der Prozess fernab von Hollywood an der Ostküste geführt.
Richterin Penney Azcarate entschied, dass die Verhandlungen live im TV ausgestrahlt und gestreamt werden durften und machte damit den Weg frei für das unwürdige Schauspiel, das beinahe einer Reality-TV-Sendung glich. Auf Tonbandaufnahmen war zu hören, wie sich die beiden wüst beschimpften, allerhand schmutzige Wäsche wurde gewaschen. Immer wieder wurde Depps Drogenkonsum thematisiert.
Zeitungen, TV-Sender, Online-Medien und Klatschportale protokollierten die Peinlichkeiten des Prozesses, vor allem in den sozialen Medien wurde die Verhandlung zu einem voyeuristischen Spektakel der Schadenfreude. Influencer:innen, Podcaster:innen undYoutuber:innen kommentierten das Geschehen und schlugen sich größtenteils auf die Seite von Depp.
Als Heard unter Tränen und mit brechender Stimme häusliche Gewalt schilderte und erklärte, wie Depp sie mit einer Glasflasche sexuell missbraucht haben soll, fielen die Fans von Johnny Depp über sie her. Heards tränenverzerrtes Gesicht wurde zum Meme, die Hashtags #JusticeForJohnnyDepp und #AmberHeardIsALiar trendeten. Der Youtuber Darthnews, der in seinen Videos eine Deadpool-Maske trägt, nutzte seine Reichweite, um Stimmung gegen Amber Heard zu machen und sie als Lügnerin darzustellen. Gleichzeitig generierte er für sich selbst Klicks.
Darthnews ist in "Johnny Depp gegen Amber Heard" genauso zu sehen wie Ruth Glenn, die einer US-Organisation angehört, welche wiederum sich gegen häusliche Gewalt einsetzt. Einige Teile des Prozesses hätten niemals öffentlich gezeigt werden dürfen, hielt sie mit Blick auf die Vorverurteilung Heards fest. Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden und werden, dürften sich durch den Hass, der Heard entgegenschlug, jedenfalls nicht ermutigt fühlen, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Der Prozess wurde somit auch zum Sinnbild einer gespaltenen Gesellschaft, in der jede:r immer meint, eine klare Meinung haben zu müssen. Zu einem Kampf zwischen dem konservativen Lager, das einen Angriff auf die Männlichkeit im Allgemeinen und Cancel Culture witterte, während die andere Seite von Victim Blaming sprach. Diese Diskussionen sind gerade auch in Deutschland sehr aktuell, da bei den Vorwürfen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann ähnlich argumentiert wird.
Die Miniserie von Regisseurin Emma Cooper gleicht einer Collage. Die Aussagen von Heard und Depp wurden direkt gegeneinander geschnitten, obwohl beide eigentlich mit mehreren Tagen Abstand getrennt voneinander aussagten. Dazu verwendet Cooper Bilder aus Nachrichtensendungen und Videomaterial aus den sozialen Medien. Vor allem der Hass auf Youtube, Tiktok und X (ehemals Twitter) ist erschreckend und zeigt einmal mehr, wie Menschen durch Online-Hass zerstört werden können.
"Johnny Depp gegen Amber Heard" macht nachdenklich und wirft Fragen auf, die über die Schuldfrage im Verleumdungsprozess Depp vs. Heard hinausgehen. Wie beeinflussen die sozialen Medien die öffentliche Meinung und vielleicht sogar Gerichtsurteile? Und wie gefährlich ist das für unsere Demokratien? Ist es in Ordnung, dass die Peinlichkeiten und extrem unangenehmen Momente des Prozesses nun zu Unterhaltungszwecken auf Netflix zweitverwertet werden? Die Doku liefert darauf bewusst keine Antworten, diese muss jede:r für sich selbst finden.
"Johnny Depp gegen Amber Heard" ist seit dem 16. August bei Netflix verfügbar.