"The White Lotus" gelingt bisher der Drahtseilakt, extrem gegenwärtig zu sein, ohne sich an aktuellen Ereignissen abzuarbeiten. Eine Szene in der neuen Folge der dritten Staffel stellt dahingehend eine Zäsur dar. Donald Trump betritt die "The White Lotus"-Bühne.
Die dritte Staffel der HBO-Serie spielt in Thailand, jede Season der Satire lädt sich neue Untersuchungssubjekte in ein Luxus-Ressort ein. Diesmal sind unter anderem mit dabei: die drei Freundinnen Kate (Leslie Bibb), Jaclyn (Michelle Monaghan) und Laurie (Carrie Coon), deren Zuneigung ein wenig erkaltet ist. Sofern sie überhaupt jemals warm war.
Man hat jedenfalls nicht das Gefühl, dass die Frauen besonders viel gemeinsam haben, von einer Leidenschaft fürs Lästern mal abgesehen. Diese Erkenntnis sickert nur langsam in die Clique ein. Es braucht ein Gespräch über Politik, um die breiten Gräben auszuleuchten, die sich in den Jahren seit dem Studium zwischen den Lebenswelten von Kate, Jaclyn und Laurie aufgetan haben.
Die Szene spielt sich beim Abendessen ab. Das Gespräch kriecht sich an das thematische Sperrgebiet "amerikanische Politik" heran. Kate ist im Vergleich zu ihren liberalen, demokratisch wählenden Freundinnen eher eine traditionelle Ehefrau und Mutter. Sie lebt im republikanisch geprägten Texas. Die Unterhaltung kommt bei ihrem gesteigerten Religion-Interesse an. Das müsse ja seltsam sein, finden ihre Freundinnen, in der Kirche ständig von texanischen Trump-Wählern umgeben zu sein, oder?
Kates erste von vielen ausweichenden Antworten: "Das sind nette Leute, wirklich gute Familien." Aber die Gespräche über Politik seien doch bestimmt unangenehm. Kates angriffslustige Gegenfrage: "Warum sollten sie das sein?" Hier schlägt der Ton um. "Moment mal, bist du Republikanerin?", hakt die verstörte Laurie nach. "Du hast doch nicht etwa Trump gewählt, oder?"
Kate antwortet mit einem extrem süßlichen Lächeln und wickelt das Gespräch daraufhin ab. "Wollen wir heute Abend wirklich über Trump reden?" Das Thema wird gewechselt, alle Beteiligten sind spürbar erleichtert.
Beim "The White Lotus"-Publikum, vermutlich vorwiegend dem US-amerikanischen, traf die Szene einen Nerv.
"Dies ist der realistischste Dialog, den 'White Lotus' bisher zustande gebracht hat."
"Die ganze Enthüllung über das Wählen von Trump. Ich kann nicht aufhören, hinzuschauen."
"Dieses Bild muss in den Schauspielschulen der Welt gezeigt werden."
Vielleicht hat "The White Lotus"-Autor Mike White hier tatsächlich einen bleibenden Moment in der popkulturellen Aufarbeitung der Trump-Ära erschaffen. Geplant als ein solcher war die Szene aber nicht vollumfänglich.
Im Interview mit "Entertainment Weekly" verrät Kate-Darstellerin Leslie Bibb, dass die Szene vor etwa einem Jahr gedreht wurde, also lange vor der zweiten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, quasi in einer anderen Welt.
Die Schauspielerinnen heben zudem den Stil von Mike White hervor. Der Autor und Regisseur sämtlicher "White Lotus"-Folgen ermahne seinen Cast stets zu einer quälenden Langsamkeit. Er arbeitet mit vielen Pausen. Er analysiert Reaktionen auf Gesagtes.
Leslie Bibb erklärt das so: "Er interessiert sich so sehr für die Pausen und das, was nicht gesagt wird, zwischen den Zeilen."
Auch in der Trump-Szene wird der offensichtliche Konflikt nicht ausagiert. Die Beteiligten denken sich ihren Teil und das Publikum soll in die Köpfe der Charaktere schauen.
Perfekt für eine Analyse moralischer Bruchstellen in sozialen Beziehungen. Wie geht man mit einem hypothetischen Trump-Wähler im Freundeskreis um? (Oder auch einem AfD-Wähler.)