Nach fast sieben Monaten Krieg in der Ukraine wurden ukrainische Gebiete zurückerobert. Nach wie vor ist die Ukraine auf die Unterstützung des Westens angewiesen. Militärische und diplomatische Lösungsansätze sowie weitere Themen diskutiert Markus Lanz heute mit vier Gästen.
Heute im Studio anwesend:
Jüngst hat die Ukraine besetzte Teile im Norden zurückerobern können und somit ein wichtiges Zeichen gesetzt. Im Norden haben sie die russische Armee überrascht und einen punktuellen Sieg für die Ukraine eingeholt. "Sie haben nicht damit gerechnet, dass die russischen Soldaten ihr Equipment einfach fallen lassen und weglaufen", berichtet die Politologin Liana Fix.
Dieses Ereignis mache die Schwäche der russischen Armee und die kontinuierliche Verbesserung der ukrainischen Armee deutlich. Bei dieser Zurückeroberung habe der von Deutschland gelieferte Gepard eine wichtige Rolle gespielt. Im Süden werde man jedoch mehr Panzer und Schutz benötigen, so Fix. Dort sei die russische Armee mittlerweile stark verankert und schwerer zu besiegen:
Der anwesende SPD-Politiker Ralf Stegner hat im Bundestag für die humanitäre und militärische Unterstützung für die Ukraine gestimmt. Dennoch zeigt er sich sehr gespalten zum Thema Waffenlieferungen. Er würde zwar verstehen, wie wichtig die weitere Unterstützung jetzt ist, tue sich aber in seiner Grundeinstellung schwer, an einen militärischen Sieg zu glauben.
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Er spricht es in diesem Sinne nicht mal aus. Deutschland und die internationalen Partner hätten sich dazu verpflichtet, der Ukraine zu helfen, diesen Krieg nicht zu verlieren. Bekannte politische Floskeln, die vor ein paar Monaten noch von einem Parteikollegen kamen: Bundeskanzler Olaf Scholz.
Stegner ist der festen Überzeugung, dass Panzer keine Leben retten, sondern Leben nehmen würden. Sein Sitznachbar Alexander Graf Lambsdorff von der FDP sieht das anders: "Wenn man angegriffen wird, retten die Panzer Leben."
Im Hinblick auf weitere Waffenlieferungen sei besonders das Einvernehmen mit internationalen Partnern wichtig, so Stegner. Auch hier lässt sich eine SPD-Grundeinstellung erkennen. Er findet es zynisch, wenn man davon ausgeht, dass dieser Krieg militärisch beendet werden könnte. Die Waffen hätten zwar etwas verändert, würden aber kein Kriegsende bezwecken, meint Ralf Stegner.
Dieser Einschätzung widerspricht Liana Fix. Sie findet die westlichen Waffenlieferungen effektiv: "Es ist sehr realistisch, dass dieser Krieg so endet." Moderator Markus Lanz nutzt die Aussage des SPD-Politikers, um im Studio für Streitstoff zu sorgen. Er provoziert Stegner mehrmals, indem er ihm indirekt eine Haltung zum Stopp der Waffenlieferung vorwirft. Stegner kontert damit, dass er ja selber für die militärische Unterstützung gestimmt habe und wendet sich dabei von der ihm vorgeworfenen Haltung, welche die Linkspartei vertritt, schnellstmöglich ab:
Man dürfe Russland jetzt nicht unterschätzen, weil die Ukraine einen wichtigen Teil zurückerobern konnte, warnt Stegner. "Das ist immer noch eine Atommacht." Die Politologin Liana Fix wirft an dieser Stelle eine interessante Perspektive ein. Jetzige Erkenntnisse über die russische Armee würden ein verbreitetes Narrativ, die Macht und Unbesiegbarkeit der russischen Armee, zerschlagen.
Russland habe anhand interner Berichte und Haltungen dafür gesorgt, dass der Rest der Welt annahm, die Russen seien unbesiegbar und hochgefährlich. Ein geläufiges Schema für einen Präsidenten mit Großmachtfantasien. Man müsse diesen Mythos dekonstruieren, erklärt Fix. Die jüngsten Erfolge der Ukraine würden verdeutlichen, dass die russische Armee schwach sei und ein Problem mit der Mobilisierung von Soldaten habe. Die Ukraine hingegen, wandele sich zu einer modernen Armee, ganz nah an westlicher Militärtradition. Fix ist sich sicher: "Die ukrainische Armee wird die russische Armee aus strukturellen Gründen überholen."
Darüber hinaus verliere die russische Armee immer mehr an präzisionsgesteuerter Munition, die sich aufgrund der Sanktionen gegen Russland sehr schwer nachproduzieren ließen. Zustimmung erhält Fix von FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff: "Putin hat die Moderne seiner Armee jahrelang vorgespielt."
Mittlerweile wird selbst in russischen Polit-Talks offen darüber gesprochen, wie verheerend die Folgen dieses Krieges für die russische Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist. Diejenigen, die extrem nationalistisch und für den Krieg waren (in Russland "Spezialoperation" genannt), seien jetzt extrem enttäuscht und würden sich sich eine Mobilisierung wünschen, berichtet Fix.
Die Frage ist jetzt: Welche Optionen bleiben Putin und welche Option nutzt er? Er habe die Option einer völligen Mobilisierung, was ein großes Risiko für die Bevölkerung darstellen würde. Ansonsten könnte er den Krieg, wie bisher, weiterführen. Dabei müsste er jedoch das Risiko eingehen, den Krieg zu verlieren. Option drei wäre eine verdeckte Mobilisierung und der Aufbau von Repressionen nach innen. "Seine Legitimation der Herrschaft ist von dem Verlauf dieses Krieges abhängig", erklärt Fix. Es ist ein langanhaltender Krieg ohne Aussicht auf russischen Sieg.
Lanz fragt in die Runde: "Was passiert, wenn sich jemand wie Putin in die Enge getrieben fühlt? Was ist die Hemmschwelle für Russland, um eine nukleare Gefahr zu werden?" Eine richtige Antwort darauf gibt es nicht. Liana Fix schließt dieses Szenario zwar nicht ganz aus, ist aber der Auffassung, dass ein Atomkrieg aufgrund der hohen Kosten für Russland seitens politischer und wirtschaftlicher Aspekte eher auszuschließen ist.