Mal ist es ein wütendes Wegschubsen, mal eine Ohrfeige, mal eine Vergewaltigung. Experten vermuten, dass rund ein Viertel der Frauen in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt geworden ist. Sehr unterschiedlich fallen die Zahlen zur Stärke der Gewalt aus, je nachdem ob man sie in der Polizeilichen Kriminalstatistik oder in diversen Studien nachschaut. Dazu kommt: Es ist nicht klar, wie hoch die Dunkelziffer ist.
In Neuseeland wurde nun ein Gesetz beschlossen das vorsieht, Opfern von häuslicher Gewalt zehn Tagen bezahlten Urlaub zu geben. Am 1. April 2019 soll es in Kraft treten.
"Dieses Gesetz ist ein Gewinn für die Opfer, für die Arbeitswelt und für uns alle."
Jan Logie, Politikerin und Initatorin des GesetztesNZHerald
Welche Folgen hat häusliche Gewalt?
Über häusliche Gewalt wird kaum gesprochen – obwohl die Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit fatal sein können. Opfer schämen sich. Weil die Gewalt im privaten stattfindet, wird sie oft als Privatsache angesehen.
Das soll das Gesetz in Neuseeland bewirken:
Opfer häuslicher Gewalt sollen jährlich bis zu zehn Tage bezahlten Urlaub nehmen können. Dieser Urlaub soll unabhängig vom regulären Urlaub und anderen Krankheitsausfällen gewährt werden.
Opfern sollen flexible Arbeitszeitmodelle ermöglicht werden.
Häusliche Gewalt als Grund für Diskriminierung soll im "Human Rights Act" verboten werden. Das ist ein Gesetz des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, welches festlegt, dass alle Menschenrechte, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention stehen, ausdrücklich auch im Vereinigten Königreich – wozu auch Neuseeland gehört – gelten.
Für Arbeitgeber soll es eine Richtlinie geben, wie sie mit Personen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, am Arbeitsplatz umgehen sollen. (nzherald.co.nz)
Wir haben bei Anna Hartman vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe nachgefragt, wie der Stand in Deutschland ist und was sie von diesem Gesetz hält.
watson.de: Wie werden Opfer in Deutschland geschützt?
Anna Hartmann: Mit der Einführung des
Gewaltschutzgesetzes 2002 sollte sich die Situation von Betroffenen deutlich
verbessern. Das regelt, dass von häuslicher Gewalt
betroffene Frauen zum einen beantragen können, dass ihnen die Wohnung für einen
längeren Zeitraum zugewiesen wird und der Täter die Wohnung nicht mehr betreten
darf.
Zum anderen können sie auch eine sogenannte Gewaltschutzverfügung
erwirken, in der dem Täter zum Beispiel jede Kontaktaufnahme, sei es per Telefon, per
Mail, per Brief oder persönlich, verboten wird und ihm ebenfalls verboten wird, näher als
zum Beispiel 100 Meter an die Betroffene, an deren Wohnung, ihre Arbeitsstelle, die
Kita des Kindes, die Wohnung der Großeltern, etc. heranzukommen.
Wird das Gesetz Ihrer Erfahrung nach praktisch angewendet?
Nein, es wird nicht konsequent
umgesetzt und nicht immer werden Betroffene ernst genommen. Eines der größten
Probleme besteht, wenn Opfer und Täter gemeinsame Kinder haben. Oft kollidiert
dann der Schutz der Mutter mit dem Umgangsrecht des Vaters. Unklar ist die
Anwendung des Gewaltschutzgesetzes und der Möglichkeit zur Wegweisung außerdem
oft in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Geflüchtetenunterkünften.
Das neue Gesetz in Neuseeland soll da wesentlich weiter gehen. Für wie wahrscheinlich halten Sie eine derartige Regelung hier?
Mir ist nichts
dergleichen bekannt. In Deutschland gibt es faktisch keine direkte Betroffenenentschädigung für häusliche Gewalt. Zehn bezahlte
Urlaubstage halte ich demnach für eher unwahrscheinlich.
Aber häusliche Gewalt ist doch strafbar?
Häusliche Gewalt ist in Deutschland kein eigener Straftatbestand. Aber: Sie geht meistens mit einem anderen Straftatbestand, wie Beleidigung, Körperverletzung, sexuellem Missbrauch oder Sachbeschädigung einher. Das wiederum sind Straftatbestände, gegen die die Opfer Anzeige erstatten können. So kann ein Ermittlungsverfahren gegen den Täter eingeleitet werden und die Opfer können auf diesem Weg eine Entschädigung bewirken. (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Zusätzlich können Opfer häuslicher Gewalt eine Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz beantragen.
Außerdem sind mit
dieser Regelung auch noch viele Fragen verknüpft: Muss von der betroffenen Frau
nachgewiesen werden, dass häusliche Gewalt vorliegt? Ist hierfür eine Anzeige
notwendig? Viele Betroffene schämen sich, Gewalterfahrungen öffentlich zu
machen – wenn sie den unbezahlten Urlaubsanspruch erwirken wollen, wissen
zugleich die Kollegen Bescheid.
Können zehn Tage
den Opfern helfen?
Bezahlte Urlaubstage können eine kleine Anerkennung des erlittenen Unrechts sein, das ist wichtig für den Umgang mit den Gewalterfahrungen.
Betroffene benötigen oft etwas Zeit, um zu entscheiden, was
sie tun wollen und wie es weitergehen soll. Auch eine erste Beratung könnte in dieser Zeit in Anspruch genommen
werden.
Könnte es auch Probleme geben?
Problematisch ist, dass die Betroffenen sich hierfür im
Arbeitsumfeld als gewaltbetroffen 'outen' müssen. Oft kommen dann bestimmte
gesellschaftliche Erwartungen und Druck, sich zu trennen, hinzu.
Häusliche Gewalt findet zudem oft über einen längeren Zeitraum
statt und ist geprägt durch eine Dynamik körperlicher und psychischer Gewalt.
Urlaubstage könnten helfen, diese Dynamik zu durchbrechen, sie können aber
ebenso Teil der Dynamik werden.
Was kann ich tun, wenn ich selbst Opfer häuslicher Gewalt wurde?
Wichtig ist, dass gewaltbetroffene Frauen wissen, wo und bei wem sie Hilfe bekommen – das Umfeld und enge Bezugspersonen sind hierfür sehr wichtig.
Betroffene Frauen können sich zur Beratung und Unterstützung
immer an eine ambulante Fachberatungsstelle in ihrer Nähe wenden oder Zuflucht
in einem Frauenhaus suchen. Die Fachberatungsstellen unterstützen und beraten
gewaltbetroffene Frauen und Mädchen, aber auch Angehörige, Bezugspersonen oder
Fachkräfte.
Seit 2013 gibt es in Deutschland das Hilfetelefon Gewalt
gegen Frauen. Hier können Betroffene, aber auch Unterstützer, rund um die
Uhr und kostenfrei anrufen. Das Hilfetelefon bietet Erstberatung und
Vermittlung zu einer passenden Fachberatungsstelle.
Anonym mitmachen:
Jede vierte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben häusliche Gewalt. Darüber müssen wir sprechen. Wurdet auch du Opfer davon und möchtest mit uns - gerne anonym - darüber sprechen? Dann schreib uns an redaktion@watson.de.
Wie findet ihr die Regelung in Neuseeland? Schreibt es uns in die Kommentare!
Urlaub mit "White Lotus Effekt": Auf Thailand folgen diese Set-Jetting-Ziele in 2025
Serien und Filme beeinflussen zunehmend das Reiseverhalten: Der sogenannte "White-Lotus-Effekt" zeigt, wie stark Drehorte touristisch profitieren können, wenn sie prominent auf dem Bildschirm erscheinen.
Das mittlerweile als "White-Lotus-Effekt" bekannte Phänomen lässt sich im Kern einfach erklären – und hat dennoch weitreichende Folgen für den globalen Tourismus.