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Rassismus

#MeTwo: So versagt Deutschlands Schulsystem

TAfel
Bild: imago montage
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"Gymnasium ist zu schwierig für dich." Wie #MeTwo Rassismus unter Lehrern anklagt

30.07.2018, 19:1731.07.2018, 09:36
peter riesbeck
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Von Mesut Özil heißt es, er habe sich in der Schule vor allem für die Fächer Sport und Kunst interessiert. Hat ja geklappt, mit der Karriere. Nun hat der Fußball-Profi seine Karriere in der deutschen Nationalelf beendet und eine Debatte über Benachteiligungen von Migrantenkindern ausgelöst.  

Die #MeTwo-Debatte klagt auch Deutschlands Schulen an. 3 Fakten zum Versagen des deutschen Bildungssystems (und der Lehrerinnen und Lehrer). 

Die Klagen 

Die Liste der Versäumnisse ist lang. Stets geht es um Benachteiligung wegen der Herkunft. 

Das beginnt schon in der Grundschule

Setzt sich später fort bei der Schulempfehlung.

#MeTwo zeigt den Alltagsrassismus in Deutschland

Video: watson/Lia Haubner

Zieht sich durch bei den Zensuren.

Und schließlich an der Uni.

Klingt nicht gut für das Bildungssystem im Land der Dichter und Denker. Ist aber leider auch nicht neu. Schon der ehemalige Grünen-Ko-Vorsitzende Cem Özdemir sagte der Zeitung "Die Welt" im Interview.

Ab zur Hauptschule und schämen:

"Bei der Hauptschule und der Realschule hab ich meine Hand nicht gestreckt. Ich wollte auch aufs Gymnasium, wie viele meiner Freunde. Darüber hat mein Lehrer schallend gelacht – und die ganze Klasse dann mit ihm. Zum Ende der vierten Klasse wurde ich von meinem Freundeskreis in der Straße, in der wir gewohnt haben, von einem Tag auf den anderen komplett getrennt. Ich musste zur Hauptschule. Dafür habe ich mich richtig geschämt."
Cem Özdemir, ehemaliger Grünen-Chefdie welt

Chancengleichheit? Das Versagen hat System

Chancengleichheit, das war mal eine Forderung an das deutsche Bildungssystem. Doch das Versagen hat längst System. Die Wirtschaftsorganisation OECD kam schon im Jahr 2000 zu dem Schluss. 

"In keinem OECD-Land hängt der Bildungserfolg so stark von der sozialen Herkunft ab wie in Deutschland."
OECD-Bildungsbericht 2000

Getan hat sich wenig. Das Bundesbildungsministerium und die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) merkten in ihrem Bildungsbericht 2016 in nüchterner Sprache Folgendes an:

  • Kinder mit Migrationshintergrund haben es schwerer:
"Kinder aus Haushalten mit hohem Bildungsstand besuchen häufiger allgemeinbildende Schulen (76 %), die zu einer Hochschulreife führen, als Kinder aus Haushalten mit niedrigerem Bildungsstand (54 %) . Auch besuchen 16­ bis unter 30-Jährige mit Migrationshintergrund seltener eine Hochschule (15 %) als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund (18 %) .
Bildungsbericht 2016
  • Auch die soziale Herkunft benachteiligt
    die Chancen der Heranwachsenden:
"Hinsichtlich sozialstruktureller und leistungsbezogener Merkmale zeigt sich zwischen den Schularten sowie zwischen den Einzelschulen eine sehr unterschiedliche Schülerzusammensetzung . Während ein Großteil der Hauptschulen mit einer Schülerschaft mit niedrigem Sozialstatus, hohem Migrationsanteil und geringem Leistungsniveau konfrontiert ist, zeigt sich an Gymnasien ein entgegengesetztes Muster."
Bildungsbericht 2016
Bild
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  • Auch Städte, Länder und Bund übergehen Migrantenkinder:
"Stark unterrepräsentiert sind Hochschulabsolventinnen und -absolventen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst . Die Personalpolitik staatlicher Institutionen spielt daher in vielen Fachrichtungen eine zentrale arbeitsmarktpolitische Rolle."
Bildungsbericht 2016
  • Erfolge gibt's aber laut Ministerium im Handwerk:
"In der Berufsausbildung hat sich die Situation von Ausländerinnen und Ausländern zwischen 2005 und 2014 verbessert. So erhöhte sich die Quote derer, die ins duale System einmünden, von 27% auf 36%"
Bildungsbericht 2016

Applaus, Applaus

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Bevor jetzt aber alle laut jubeln. Und bei allem Respekt vor der beruflichen Bildung. Das letzte Ergebnis lässt sich auch so lesen: Liebe Kinder mit Migrationshintergrund, geht mal lieber an die Werkbank statt auf die Hochschule.

Und welchen Anteil tun die Lehrer haben?

Hefte raus, der Lehrertest!

Die Berliner Humboldt-Universität hat im vergangenen Jahr eine Studie zur "Einstellungen von Lehrkräften gegenüber Vielfalt in der Migrationsgesellschaft". Die Ergebnisse in Kurzform:

  • Lehrer sind Migration gegenüber toleranter eingestellt als die Mehrheit der Gesellschaft. Mit einer Ausnahme: muslimische Kinder. Professorin Naika Foroutan:
"Nur 61 Prozent aller befragten Lehrkräfte meinen, Muslime seien genauso bildungsorientiert; dabei wurden hohe Bildungsaspirationen z. B. in türkeistämmigen Familien mehrfach wissenschaftlich belegt."
Naika Foroutan, Bildungsforscherin
  • Lehrerinnen und Lehrer haben auch verzerrte Erwartungen an Kinder mit Migrationshintergrund:
"Außerdem sind Leistungserwartungen von Lehrkräften für Kinder aus türkeistämmigen Familien geringer als für Kinder ohne Migrationshintergrund, selbst wenn sich deren Leistungen faktisch nicht unterscheiden."
Studie "Einstellungen von Lehrkräften gegenüber Vielfalt in der Migrationsgesellschaft"
Mesut Özil (29) 89 Spiele / 22 Tore
Bild: imago sportfotodienst
  • Häufig fehlt es auch an Vorbildern aus der eigenen Community.
"Eine weitere Quelle für Leistungsunterschiede ist, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund negative Stereotype, die sie in ihrem Umfeld vermuten oder beobachten, selbst verinnerlichen und deswegen schlechtere Leistungen erbringen."
Studie "Einstellungen von Lehrkräften gegenüber Vielfalt in der Migrationsgesellschaft"

"Lehrkräfte können einer Benachteiligung einzelner Kinder durch ungewollte Stereotype und verzerrte Erwartungen gezielt und mit einer vergleichsweise einfachen Intervention entgegenwirken", so Bildungsforscherin Cornelia Schu.

Hat eben nur einen Haken: Es braucht Vorbilder. Mesut Özil wird bei der Integration in Deutschland nicht mehr helfen können. Er ist vor einer Woche  aus der deutschen Nationalmannschaft nach massiver Kritik zurückgetreten.

"Viel zu oft begeben sich Ostdeutsche in eine Opferrolle, in die sie nicht gehören"
Als Ostbeauftragter der Bundesregierung nimmt Staatsminister Carsten Schneider (SPD) auch eine Vermittlerrolle ein.

watson: Verzweifeln Sie manchmal an Ostdeutschland, Herr Schneider?

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