
In Wien wird feministische Stadtplanung vorgelebt. Bild: imago images / Wolfgang Simlinger
Analyse
Frauen fühlen sich im öffentlichen Raum oft unsicher, weil Städte jahrzehntelang an ihren Bedürfnissen vorbeigeplant wurden. Eine Petition für FLINTA*-Abteile in Berliner U-Bahnen ist der jüngste Ausdruck eines alten Problems. Feministische Stadtplanung zeigt, wie es anders geht.
01.08.2025, 19:1101.08.2025, 19:11
Alex Born war 14 Jahre alt, als sich ein Mann am Potsdamer Platz vor ihr und ihren Freundinnen entblößte. Zehn Jahre später, im Jahr 2015, beobachtete sie ein Mann in der U-Bahn, folgte ihr auf dem Heimweg und vergewaltigte sie.
"Ich bin damit nicht allein", schreibt sie im April 2025 auf der Plattform change.org. Seit ihrer Kindheit werde sie regelmäßig von fremden Männern belästigt, die sie "anstarren, bedrängen, grapschen wollen" oder ihr zu nahe kommen. Ihre Forderung: FLINTA*-Abteile in öffentlichen Verkehrsmitteln. Mehr als 22.000 Menschen haben bislang unterschrieben.
Städte sind für Männer gebaut
Die Berlinerin Alex Born hat mit ihrer Petition auf ein strukturelles Problem aufmerksam gemacht, das sich in Städten auf der ganzen Welt Tag für Tag manifestiert: auf schlecht ausgeleuchteten Wegen, in leergefegten Unterführungen, auf stillgelegten Bahnsteigen. Orte, die für Männer Durchgangszonen sind, werden für Frauen zu Angsträumen. Die Städte sind nicht für alle gemacht. Sie sind für Männer gebaut.
Laut einer Untersuchung des Bundeskriminalamtes meiden mehr als die Hälfte aller Frauen nachts Bus und Bahn – aus Angst vor sexuellen Übergriffen. Die Zahl gemeldeter Delikte steigt: Allein 2024 verzeichnete die Bundespolizei 2262 Fälle, fast 20 Prozent mehr als im Vorjahr. In 99 Prozent der Fälle war der Täter ein Mann. Und das sind nur die gemeldeten Delikte.
In einer Studie der Stadt Heidelberg gaben 83 Prozent der befragten Frauen an, nachts Umwege in Kauf zu nehmen, um sogenannte "Angsträume" zu vermeiden – dunkle, enge Orte ohne Menschen oder Fluchtmöglichkeiten. Viele verzichten ganz auf das Ausgehen, wenn sie nicht sicher sind, ob sie unbeschadet nach Hause kommen.
Es beginnt ja bereits auf der symbolischen Ebene: Straßen, Alleen, Plätze – alle tragen den Namen von Männern. In Salzburg sind mehr Straßen nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern benannt als nach Frauen. Knapp 300 Kilometer östlich, in Wien, zeigt sich, wie es stattdessen aussehen könnte.
Wien als Vorzeigebeispiel für feministische Stadtplanung
Die Wiener Stadtplanerin Eva Kail prägte in 30 Jahren den Begriff des "Gender Mainstreaming" wie kaum eine andere. Damit ist nicht mehr gemeint als die Gleichstellung von Frauen und Männern, indem bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenslagen und Interessen beider Geschlechter von Anfang an berücksichtigt werden.
Ihre Vision: "Die Stadt fair teilen" – mit breiteren Gehwegen, besser beleuchteten Parks, kurzen Wegen für jene, die Care-Arbeit leisten. In Aspern Seestadt, einem Stadtteil Wiens, sind alle Straßen nach Frauen benannt. Dort gibt es Raum für Kinder, für Fahrräder, für Sichtachsen und Aufenthaltsqualität. "Genderplanung ist nichts Abgehobenes", sagt Kail der "New York Times", "sie ist Qualitätssicherung mit einer anderen Brille".
In Aspern Seestadt zeigt sich, was möglich ist, wenn man die männliche Planungslogik verlässt: verkehrsberuhigte Zonen, getakteter Nahverkehr, medizinische Versorgung, Supermarkt, Kindergarten – alles fußläufig erreichbar. Das spart Zeit, entlastet Sorgearbeitende, ermöglicht Teilhabe. Und es wirkt: Studien zeigen höhere Zufriedenheit, mehr Sicherheit für Frauen, bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit.
Was hat das mit Nahverkehr zu tun?
"Das Auto", sagt der Männerberater Boris von Heesen dem "Spiegel", "ist ein Werkzeug, um das Patriarchat am Leben zu halten". In seinem Buch "Mann am Steuer" belegt er: Männer verursachen mehr Unfälle, fahren risikoreicher, bewegen größere Fahrzeuge mit höherem CO₂-Ausstoß und dominieren die Führungsebenen der Verkehrspolitik.
Die Konsequenz: Ein öffentlicher Raum, der auf ihre Mobilitätsmuster zugeschnitten ist. Während Männer pendeln, bewältigen Frauen zersplitterte Wege zwischen Haushalt, Kita, Einkauf und Pflege. Für diese Wege fehlt es an Infrastruktur – an Beleuchtung, Sicherheit, kurzen Distanzen. Die feministische Geografin Leslie Kern spricht von einem "Patriarchat, das in Stein gemeißelt ist".
Die Petition von Alex Born will das ändern: Ein abgetrennter, gekennzeichneter Bereich in Berliner U-Bahnen soll Schutz bieten – sichtbar, sicher, symbolisch. Frauenabteile gibt es in Tokio, Mexiko-Stadt oder Rio de Janeiro. In Deutschland sind sie umstritten.
Die Mobilitätsforscherin Ines Kawgan-Kagan warnte im Deutschlandfunk, sie könnten "das Gefühl der Unsicherheit nur verschieben", die Berliner Verkehrsbetriebe verweisen auf bestehende Sicherheitsvorkehrungen: Notrufsäulen auf den Bahnhöfen, Alarmknöpfe in den Waggons, direkte Verbindung zum Fahrpersonal.
Die Abteile, sagte Born im "Spiegel" selbst, seien bestenfalls eine "Pille für ein krankes System". Aber eben auch ein dringend benötigter Schutzraum, solange sich strukturell nichts ändert.
Nun ließe sich aber auch argumentieren, dass breitere Gehwege lediglich bestehende Ungleichheiten in Beton gießen. Wer ohnehin die Care-Arbeit übernimmt, bekommt nun etwas mehr Raum dafür, aber keine echte Entlastung. Sichtbar wird dann vor allem die geschlechtsspezifische Ungleichverteilung von Aufgaben, nicht ihre Auflösung.
Feministische Städte: Funktionsgemisch statt Fahrspur
Auch deutsche Architektinnen wie Claudia Schreiber fordern: mehr generationenübergreifende Spielplätze, mehr Abstellmöglichkeiten für Kinderwägen und Lastenräder, mehr Aufenthaltsqualität, mehr Sicherheit.
Die Urbanistin Mary Dellenbaugh-Losse nennt das "funktionsgemischte Quartiere". Kieze, in denen Wohnen, Arbeit und Alltag auf kurzen Wegen organisiert sind. Frauen würden in solchen Räumen nicht nur sicherer, sondern gleichberechtigter leben.
Ein zentraler Bestandteil feministischer Stadtplanung ist die Partizipation: Wer wird gefragt, wer plant mit? Dellenbaugh-Losse weist darauf hin, dass Planungsprozesse oft an den Lebensrealitäten von Frauen vorbeigehen. Wenn männlich dominierte Verwaltungen ohne Beteiligung planen, entstehen erneut Räume für einige – aber nicht für alle.
Ein zweiter zentraler Aspekt ist die Intersektionalität: feministische Planung denkt nicht nur Geschlecht mit, sondern auch Alter, Behinderung, Armut, Hautfarbe. Der Anspruch lautet: gerechte Stadt für alle.
Der Vorwurf, feministische Stadtplanung sei ein Luxusproblem, greift daher auch zu kurz. Die Planung für die einen war lange der Ausschluss der anderen. Wer Angsträume ignoriert, wer Fahrpläne nicht an die Realität von Care-Arbeit anpasst, wer nur den männlichen Pendelverkehr denkt, produziert strukturelle Ungleichheit.
Frauen wollen keine Sonderrechte. Sie wollen eine Stadt, die ihnen genauso gehört. Eine, in der Sicherheit kein Privileg ist. In der Kinderwagen, Rollstühle und Sorgearbeit keine Hindernisse, sondern Planungsgrundlagen sind. In der niemand 20 Minuten Umweg gehen muss, um nicht bedrängt zu werden. In der niemand nachts lieber einem Bären als einem Mann begegnen möchte.
Feministische Stadtplanung bedeutet nicht, Männern etwas wegzunehmen. Sie bedeutet, allen etwas zu geben.
Wer gebrauchte, aber noch vollwertige Artikel für einen fairen Preis im Internet verkaufen möchte, hat es doch eigentlich nicht verdient, dafür abgezockt zu werden. Doch das ist leider gar nicht mal so selten.
Ob doppelte Anschaffungen, ungeliebte Weihnachtsgeschenke oder aufgegebene Hobbys: Wenn Dinge bei dir Zuhause nur Staub fangen, ist es an der Zeit, sie im Internet anzubieten, um damit die Haushaltskasse zu füllen.