35 Dollar – so viel zahlte Nike der Design-Studentin Carolyn Davidson im Jahr 1971 für ihren Entwurf des "Swoosh". Dass sich der simple Haken zu einem der bekanntesten Markenzeichen weltweit entwickeln würde, ahnte damals wohl weder das Unternehmen noch die Studentin selbst.
Später soll Davidson als Dank von Nike noch einige Aktien geschenkt bekommen haben. Die Arbeitszeit für ihren Entwurf dürfte sich mittlerweile also mehr als ausgezahlt haben. Nike gilt heute nämlich als der größte Sportartikelhersteller der Welt.
Im Geschäftsjahr 2023 erzielte das Unternehmen einen Gesamtumsatz von rund 51,2 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Der größte Konkurrent Adidas machte im Jahr 2023 einen Umsatz von gerade mal 21,4 Milliarden, also noch nicht mal die Hälfte. Nike scheint unangefochtener Spitzenreiter zu sein.
Neueste Zahlen zeigen allerdings: Der Sportartikelgigant wackelt. Für das erste Quartal des neuen Geschäftsjahres verzeichnete Nike einen Umsatz von 11,59 Milliarden. Das waren zehn Prozent weniger als im Vorjahresquartal. Der Nettogewinn brach um 28 Prozent auf 1,1 Milliarden Dollar ein.
"Die Ergebnisse von Nike im ersten Quartal entsprachen weitgehend unseren Erwartungen", sagte Finanzchef Matt Friend Anfang Oktober. Ein Comeback in dieser Größenordnung brauche Zeit, aber man sehe erste Erfolge. Trotz seines Optimismus musste er die Prognose für das Gesamtjahr 2024/25 zurückziehen. Bislang hatte man mit einem Umsatzminus von fünf Prozent gerechnet.
Und das alles, obwohl im Sommer 2024 mit den Olympischen Spielen und der Fußball-Europameisterschaft der Männer zwei sportliche Großereignisse stattfanden, die das breite Interesse an Sportartikeln wohl ordentlich angekurbelt hat. Warum kriselt es also bei der Kultmarke?
Mit einer generellen Konsumflaute lässt sich der Abschwung nicht zwingend begründen. Laut Statista machte die Sportschuh-Branche 2023 einen Umsatz von schätzungsweise 48,68 Milliarden Euro. Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es noch 46,21 Milliarden gewesen. Aber es gibt andere Gründe.
"Solche Marken wie Adidas und Nike agieren eigentlich in einem ständigen Balance-Akt", sagt der Markenexperte Henning Meyer gegenüber watson. "Einerseits sind sie cool, begehrenswert und exklusiv, andererseits sind sie komplett Teil des Massenmarkts." Nike mache seine 50 Milliarden Umsatz zum erheblichen Teil mit Schuhen für 69, 79 oder vielleicht 129 Euro. Das sei deren Business.
"Gleichzeitig braucht es Leuchttürme, die auf diese Massenprodukte abstrahlen", erklärt Meyer. Das können technische Innovationen sein, ein spezielles Design oder ergreifendes Storytelling. "Ein Beispiel sind auch Spitzenleistungen im Sport. Wenn Athleten oder Mannschaften in Nike-Ausrüstung Wettkämpfe gewinnen oder Rekorde brechen, hat das eine Wirkung", betont Meyer.
Solch ein Bündel an Markenhighlights entwickelt eine so große Strahlkraft, dass auch von Massenprodukten ein Coolness-Faktor ausgeht. So entsteht gleichzeitig auch Markentreue, im Wirtschaftssprech: "Brand Loyalty".
"Brand Loyalty kann man als Unternehmen aber nur dann aufbauen, wenn du auch eine Community hast, die zeigt, warum diese Marke gerade cool ist", sagt Amadeus Thüner im Gespräch mit watson. Er ist Experte für Sneaker-Kultur und Host des "Oh Schuhen!"-Podcasts. Aus seiner Sicht hat der Weltmarktführer zuletzt der Kultur hinter den Sneakers zu wenig Beachtung geschenkt.
Dadurch ist zumindest in Teilen auch die Bindung zur Sneaker-Community verloren gegangen. Um zu erklären, woran das liegt, muss man zunächst Nikes Geschäftsmodell verstehen.
Der Sportartikelgigant vertreibt seine Produkte über drei Wege: über die Online-Shops, hauseigene Filialen und Einzelhandelspartner wie zum Beispiel Foot Locker oder Snipes. Letztere behalten einen Teil der Einnahmen durch Nike-Produkte ein. Die besten Margen, also Differenz zwischen Selbstkosten und Verkaufspreis, erzielt das Unternehmen durch Online-Verkäufe.
Im Jahr 2020 setzte der neue CEO John Donahoe deshalb auf die Direct-to-Customer-Strategie. Er wollte die Kund:innen also vermehrt direkt erreichen. Deshalb trennte er sich von diversen Einzelhandelspartnern und stärkte den Online-Handel. Langfristig wollte er den Anteil der Verkäufe übers Internet auf 50 Prozent hochschrauben.
Für kurze Zeit schien Donahoes Strategie aufzugehen. Während der Corona-Pandemie bestellten die meisten Menschen ohnehin ihre Klamotten und Schuhe online. Nike brachte mehrere Apps an den Start, nicht nur für Shopping, sondern auch zum Austausch in der Sneaker-Community. Außerdem organisierte das Unternehmen Verlosungen, durch die Kund:innen limitierte Sneaker-Modelle gewinnen konnten.
Das alles konnte aber nicht das Einkaufserlebnis vor Ort ersetzen. Spätestens 2023, als alle Corona-Beschränkungen aufgehoben wurden, war Live-Shopping wieder angesagt. Sneaker-Experte Thüner erklärt:
Eine weitere Folge von Donahoes Direct-to-Customer-Strategie: Die Plätze im Einzelhandel, die durch Nike freigeworden waren, sicherten sich aufstrebende Marken wie On und Hoka. Letztere verzeichnete im Geschäftsjahr 2022 einen Umsatz von 1,1 Milliarden, was einem Anstieg um 58 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entsprach.
"Man kann sich als Marke nicht mehr darauf verlassen, dass Menschen 60 Jahre lang zum Beispiel Adidas-Schuhe tragen. Natürlich gibt es so etwas wie Markentreue, gleichzeitig sind viele Menschen aber auch immer wieder auf der Suche nach etwas Neuem", erklärt Markenexperte Meyer dazu. Letztlich könnten kleinere Marken davon profitieren, dass Konsument:innen immer etwas Besonderes entdecken und sich von der Masse abheben wollten.
Ein weiterer Punkt, warum Nike momentan wohl schwächelt: Es hat in den vergangenen Jahren kaum neue Trends angestoßen oder mit größeren Innovationen von sich reden gemacht. Stattdessen setzte das Unternehmen vermehrt auf Retro-Modelle.
Gerade vom Klassiker Low Dunk gibt es mittlerweile unzählige Farbvarianten. "Das hat dazu geführt, dass die immer wiederkehrenden Veröffentlichungen den Markt übersättigt haben und die Fans irgendwann gelangweilt waren", erklärt Thüner.
Doch wo ein Angebot ist, muss es auch eine Nachfrage geben. Woran liegt es also, dass Retro-Modelle so im Trend liegen?
Sneaker-Experte Thüner erklärt es so:
Jüngere Menschen hätten Michael Jordan vielleicht nicht mehr Basketball spielen sehen, aber sie würden trotzdem die Geschichte und Emotionen zum entsprechenden Schuh kennen. Und das Unternehmen lade die Marke durch neue Kollaborationen auf, meint Thüner. Werbegesichter wie zum Beispiel US-Rapper Travis Scott würden dann gezielt jüngere Kund:innen ansprechen.
Bei Nike ruckelt es also durchaus, aber altbewährte Konzepte können laut Experten weiterhin aufgehen. Und Fakt ist: Nike ist trotz Umsatzminus weiter mit großem Abstand Marktführer. Für CEO John Donahoe haben die jüngsten Entwicklungen trotzdem Folgen: Er muss seinen Posten am 14. Oktober abgeben.