Manchmal braucht es nur einen bestimmten Tonfall oder eine Geste, um einen wahren Sturm der Gefühle auszulösen, der uns wie ein Hurrikan mitreißt und jede Vernunft auf dem Weg niedermäht wie Ferienhäuser in Florida.
Vielleicht war es der Tonfall, den die Mutter früher schon anschlug, wenn sie enttäuscht war, oder das süffisante Grinsen, das uns einst kränkte. Kleine Traumata, echte Trigger, die die Kommunikation bis ins Erwachsenenalter erschweren. Kann man das loswerden?
Anouk Algermissen ist Psychologin und Paartherapeutin aus Bonn. Vor kurzem schrieb sie ein Buch zum Thema "Getriggert", welches im MVG Verlag erschien.
watson: Was genau ist ein Trigger?
Anouk Algermissen: Das Wort meint einen Auslösereiz und kommt aus dem Feld der posttraumatischen Belastungsstörung. Ein klassisches Beispiel wären Kriegs-Flashbacks, wenn ein Veteran beim Knall eines Feuerwerkskörpers sofort panisch zur Waffe greifen will, obwohl er schon lange wieder zu Hause ist. Ein extremes Beispiel; aber prägende Erfahrungen, die damals sehr starke Emotionen ausgelöst haben, können theoretisch auch später zu Triggern führen.
Aber nicht immer so dramatische.
Nein, was ich als Paartherapeutin sehe, ist normalerweise nicht im klinischen Bereich, aber das Prinzip ist ähnlich. Der Partner ist telefonisch nicht zu erreichen und man fühlt sich zurückversetzt in die Situation, als man herausgefunden hat, dass der Ex fremdging. Der Trigger löst heute starke Gefühle von gestern aus. Es ist oftmals schwierig, diesen Emotionen wieder Herr zu werden, sind sie erst einmal freigesetzt.
Getriggert läuft man also auf Autopilot?
Genau, dem Auslösereiz folgen schwer zu stoppende Reaktionen. Sagen wir, das Gefühl ist Eifersucht. Die Erfahrung ist Betrug. Der Auslöser dazu: Partner geht nicht ans Handy. Und das Bewältigungsverhalten wäre auf sich aufmerksam zu machen: ganz viele Nachrichten schreiben, hinterhertelefonieren, direkt an die Arbeitsstätte fahren – weil man irgendwann gelernt hat, wenn ich der anderen Person rechtzeitig zeige, dass ich da bin, wird sie nicht gehen. Das hat aber eher den gegenteiligen Effekt: dass wir Menschen von uns stoßen.
Auf das Gegenüber wirkt das völlig unverhältnismäßig.
Das ist das große Problem. Das Verständnis für solches Verhalten fehlt, das führt zur Ablehnung und die Ablehnung verstärkt oft die Trigger weiter, weil man nicht ernst genommen wird, obwohl man solche Angst hat.
Sind den meisten Menschen denn ihre Trigger bekannt oder wissen die gar nicht, was mit ihnen geschieht?
Das gemeine ist, dass einem Trigger nicht sagen, dass es Trigger sind. In dem Moment fühlt sich das Gefühl begründet und die Reaktion für die betroffene Person nur logisch an. Personen von außen erkennen die Dissonanz eher und denken: "Moment, das ist jetzt übertrieben!" Es erfordert viel Arbeit, eigene Trigger zu erkennen: In welchen Situationen fühle ich so stark, welche Komponenten triggern mich, welcher Moment aus der Vergangenheit kam hoch? Wenn man das für sich erkennt, kann man sich auch anderen besser erklären.
Ist das oft Thema in der Paartherapie?
Die Paare, die in meine Praxis kommen, sagen oft: Wir können schlecht miteinander kommunizieren. Die haben die immer gleichen Streitereien, ein Wort ergibt das andere. Wenn man beginnt, die Muster dahinter auseinanderzunehmen, ist man schnell bei alten Verletzungen, die diese Kommunikationsprobleme verursachen. Wenn die kleine Schwester immer alles bekam, sobald sie auf die Tränendrüse drückte, fühlt man sich heute vielleicht emotional erpresst, sobald die Partnerin weinen muss. Das muss man erst einmal verstehen. Will man die Streitereien auflösen, lohnt es sich, diese alten Geschichten an der Wurzel zu packen, anstatt Symptombekämpfung zu betreiben.
Du schreibst, um Trigger aufzulösen, muss man erst den richtigen Zeitpunkt ausmachen, um einzugreifen.
Genau, denn wir müssen einhaken, bevor der Automatismus gestartet wurde – danach sind wir schon im Film. Weil für die Reaktion oft so wenig Spielraum bleibt, rate ich oft zu kleinen Erste-Hilfe-Hacks, wie kurz einen Liedtext zu rezitieren oder eine Treppe hoch und runter zu laufen – so schaffe ich Distanz zwischen dem Trigger-Reiz und der darauffolgenden Reaktion.
Kann man den Trigger-Moment körperlich erkennen?
Definitiv. Ich habe als Therapeutin das Privileg, von außen auf die Situation schauen zu können und manche Menschen machen es einem echt leicht, den Trigger-Moment zu erkennen. Da verändert sich die Stimmlage, der Fuß wippt, Tränen kullern oder der Kiefer beginnt zu mahlen.
Sind die Stresssignale immer unruhig?
Im Gegenteil. Sehr viele Menschen holen die Anspannung nach innen, werden ruhiger. Da äußert sich der Stress wie eine Lähmung, der Körper wird starr in der Sitzhaltung, die Mimik ist wie zementiert. In der Wahrnehmung der Gesellschaft sind Emotionen mit Gefühlsausbrüchen verbunden, aber auch wer dichtmacht, befindet sich in einer emotionalen Notlage.
So wie der eine Mann, von dem du in deinem Buch erzählst. Er hielt sich für den "rationalen Part" im Streit, dabei tobten in ihm jede Menge Emotionen.
Das ist ganz typisch. Manchmal hat man einen Part, der schreit und weint und der andere sitzt nur still da. Aber es ist ein Irrglaube, dass erstere Person deshalb "emotionaler" sei. Hinter dem Schweigen, dem Rationalisieren, stehen oft ganz extreme Gefühle, wie Angst, Hilflosigkeit, Überforderung. Es kann für viele selbsternannt "sachliche" Typen sehr unangenehm sein, sich einzugestehen, dass sie in diesen Momenten genauso von ihren Gefühlen geleitet werden, wie ihr Gegenüber.
Sind Trigger auch ein Thema in Freundschaften?
Schon, aber da schaukelt sich das oft nicht hoch, weil man eher mal Abstand voneinander nimmt. Freundschaften können aber in sich Trigger bergen. Sagen wir mal, ich habe meinen Freundeskreis verloren, weil ich umgezogen bin. Das hat mich schwer enttäuscht, ich fiel damals in ein richtiges Loch. Wenn ich zehn Jahre später merke, eine gute Freundin von mir meldet sich nicht mehr, kann das gleiche Gefühl aktiviert werden, es entsteht Panik – obwohl sie vielleicht nur viel zu tun hatte.
Auf der Arbeit auch?
Klar, das kann auch im Beruf passieren. Ich nehme wieder ein Beispiel: Beim letzten Job wurde ich gefeuert und vorher war meine Chefin schon wochenlang so zurückhaltend und kalt mir gegenüber. Jetzt, in meinem neuen Job, merke ich, dass mein neuer Chef sich ähnlich verhält, vor Smalltalk flüchtet. Ich antizipiere: Ich werde bald gekündigt werden – und stehe jedes Mal direkt unter Stress, wenn ich eine schmallippige Antwort bekomme.
Klingt anstrengend. Gibt es Menschen, die gar keine Trigger haben?
Wenn man nicht nur die traumatischen erfasst, sondern Trigger auf dem Spektrum versteht – also als verletzende negative Erfahrungen, die Verhaltensweisen in der Zukunft prägen, dann denke ich, dass die meisten von uns den Effekt kennen. Die Ausprägung und der Leidensdruck, der damit einhergeht, ist aber unterschiedlich.
"Boah, das triggert mich hart" – verwenden wir solche Kommentare viel zu oft?
Trigger wird häufig verwendet als Synonym für eine starke Emotion. Das stört mich, weil es den Begriff verwässert. "Das triggert mich" heißt nicht "Das macht mich wütend". Ein Trigger speist sich aus einer oder mehreren konkreten Erfahrungen aus der Vergangenheit, nicht mehr und nicht weniger. Also beim nächsten Video-Comment lieber einmal fragen: Bin ich gerade wirklich "getriggert"? Oder nervt mich der Content einfach?