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Dragqueen spricht über ihren Job: Kleine Fehler können die Illusion zerstören

Dragqueen EMI hat einen langen Weg hinter sich.
Dragqueen EMI hat einen langen Weg hinter sich.Bild: privat / privat
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Dragqueen über ihren Job: "Würde in Berlin niemals alleine auf die Straße gehen"

27.07.2024, 12:05
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EMI war schnell verliebt. Ein Blick in die Welt der Dragqueens hat gereicht, um Begeisterung zu wecken. Anfangs noch amateurhaft, ist sie nun Teil einer der erfolgreichsten Berliner Gruppen, Duct Tape.

Sie spricht über die schillernde Bühnenwelt, aber auch über die Schattenseiten. Denn Drag bedeutet Perfektion und Perfektion bedeutet Druck. Viel Druck. Doch da hört es nicht auf. In Berlin würde sie in Aufmachung nicht alleine auf die Straße gehen. Pöbeleien gab es bereits, die Menschen seien "konfrontativer".

Passend zum Berliner CSD diesen Samstag, spricht die Dragqueen über ihren Weg zu der Kunstform, welche Privilegien sie hat und warum sie trotz mancher Probleme Menschen dazu bewegen möchte, mitzumachen.

Zeit meines Lebens zog es mich auf Bühnen. Ich sang im Chor, spielte im Theater, arbeitete fest in einem. Scheinwerfer, Bühnen, Publikum, alles wahnsinnig reizvoll. Dass es aber Auftritte als Dragqueen werden, um das alles nicht nur regelmäßig zu bekommen, sondern, dass ich darin auch meine Erfüllung finde, nun, das hätte ich nicht gedacht.

"Outfits, Make-up, Entertainment: Ich war sofort verliebt."

Zwei Anläufe waren nötig, bis ich mich in meiner Drag-Rolle EMI wiederfinden konnte, bis ich überhaupt darin aufblühte. Ironischerweise war ich aber von Anfang an begeistert, nur eben als Zuschauer. Bei meinem ersten Berührungspunkt mit dem Thema lebte ich noch in München. Ein Freund nahm mich vor ein paar Jahren zu mehreren Veranstaltungen in Berlin mit.

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Blick in die Welt der Dragqueens

Outfits, Make-up, Entertainment: Ich war sofort verliebt. Dann noch die Atmosphäre, ich fühlte mich sofort wohl, es war wie eine Welt, in der man so sein kann, wie man will. Ich zog nach Berlin, suchte eine Dragbar, in der ich arbeiten konnte. Mitmachen wollte ich nicht, mir ging es um eine gute Zuschauerposition hinter einem Tresen. So schön ich alles fand, in mir sträubte sich noch einiges.

Ich mochte bequeme Outfits, mit Schminken konnte ich nichts anfangen. Alles schien mir so aufwändig, vor allem der Hang zum Perfektionismus. Trotzdem machte ich in einer Bar regelmäßig beim Publikums-Lipsync mit, nur eben als ich, ungeschminkt. Irgendwann sprach mich Host Judy LaDivina an, in der Drag-Welt ein Star. Sie überredete mich zum Drag-Versuch.

In einer Kneipe in den Untiefen Berlins stieg ich auf die Bühne. Dezentes Make-up, keine Perücke, kein Outfit, es war unfassbar amateurhaft. Eine Überwindung war das nicht, trotzdem würde ich sagen, dass es in mir so etwas wie einen Widerstand gab. Woher er auch immer kam. Auf der Bühne selbst fühlte ich mich aber wohl. Ehe mehr draus werden konnte, kam der Cut. Corona. Lockdown. Das Thema verstaubte in einer Schublade.

Weg zur erfolgreichen Berliner Dragqueen-Gruppe

Tja, dann habe ich Symba kennengelernt. Sie hat gerade mit Drag angefangen und mich irgendwie mit hereingezogen. Plötzlich eröffnete sich noch einmal ein völlig anderer Zugang. Ein Neustart. Ich dachte immer, dass ich mich als Drag einschränken müsste, dass ich mich auf Tanzen und Lipsync konzentrieren soll.

Aber die Gigs, die Events, die ich mit Symba anschaute, überzeugten mich vom Gegenteil. Du kannst tanzen, singen, von mir aus auch Feuerspucken. Ich bin eine Anheizerin, ich liebe es zu moderieren, das Publikum zu unterhalten. Schminken, Outfits planen, am Auftreten feilen, ich war begeistert. Dann haben wir Duct Tape gegründet und zack: Drag ist meine Hauptbeschäftigung geworden, unsere Gruppe wiederum Berlins erfolgreichste. Doch mit der Leidenschaft kam der Stress.

"Wir spielen mit Geschlechterstereotypen, pushen sie weit über die Grenzen des Alltäglichen hinaus."

Plötzlich verglich ich mich mit anderen Drags, fühlte mich weniger wert, wenn ich nicht so gut tanzen konnte wie die eine oder nicht so gut singen wie eine andere. So nett alle auch sind, es ist stressig. Auch der Wettbewerbsdruck ist ein Problem. Es gibt eben nicht unbegrenzt Jobs für Dragqueens. Um Gigs wird gekämpft. Ständig quält einen der Gedanke, nicht gut genug zu sein, besser werden zu müssen. Leistungsdruck. Der Stress kam aber von innen.

Dragqueen sein, bedeutet perfekt sein

Drag ist ein Ideal, eine Illusion. Wir spielen mit Geschlechterstereotypen, pushen sie weit über die Grenzen des Alltäglichen hinaus. Sitzt die Perücke nicht, verläuft das Make-up, ist die Performance dürftig, bröckelt diese Illusion. Außenstehende sehen nicht, wie viel Druck mit den Auftritten einhergeht. Essen und Trinken, übermäßige Hitze auf der Bühne, alles potenzielle Gefahrenquellen. Bei Auftritten gilt totaler Verzicht. Egal wo, Druck ist immer da.

Dass ich mich trotzdem so gut als Drag austoben kann, habe ich auch meinem Umfeld zu verdanken. Freundeskreis und Familie, stets ist Unterstützung da. In der Hinsicht musste ich mir nie Sorgen um Ablehnung machen. Wobei ich dazu sagen muss: Drag ist kein Geschlechtsausdruck, sondern eine Kunstform. Ganz ehrlich, sollen Leute, die sich daran stören, doch langweilig sein. Mein Leben ist aufregend, ich liebe es.

"Wenn ich mit Symba im Drag-Outfit unterwegs bin, gibt es noch immer Menschen, die uns beschimpfen."

Doch trotz meiner Haltung zu dem Thema muss ich zugeben, dass ich in Berlin niemals allein in Drag auf die Straße gehen würde. Ich schminke mich ab, ziehe mir etwas anderes an und fahr nach Hause. Alles andere wäre zu riskant. Und selbst in einer Gruppe ist es manchmal schwierig.

Dragqueen: In München entspannt, in Berlin schwierig

Wenn ich zum Beispiel mit Symba in Drag unterwegs bin, gibt es noch immer Menschen, die uns beschimpfen. Wirklich gefährlich wurde es bisher zum Glück nicht, kann es aber. Doch selbst wenn ich nicht als Dragqueen unterwegs war, gab es Pöbeleien. Ich falle auch so auf, habe keine Augenbrauen, schminke mich, trete etwas femininer auf. Nach wie vor scheint das für viele ein Problem zu sein.

München mag vielleicht nicht perfekt sein, aber da muss ich mir deutlich weniger Sorgen machen, sogar als Dragqueen. Ich bin dort schon häufiger in Aufmachung losgezogen. Nichts passiert. Ja, es mag vielleicht vielerorts schwierig sein. Trotzdem möchte ich viele Menschen dazu empowern, sich Shows anzusehen, eventuell sogar mitzumachen.

Auch das könnte dazu führen, Vorurteile abzubauen, einen Bezug zur Kultur zu bekommen. Und sich vielleicht sogar von Vorstellungen zu lösen, was Maskulinität oder Femininität ausmacht. Und dafür stehe ich gerne auf der Bühne!

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