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Supermarkt-Videos gehen auf Tiktok viral – doch der Trend ist bedenklich

ARCHIV - 18.01.2023, Bayern, Neubiberg: Ein Kassierer scannt in einem Supermarkt an der Kasse die Produkte. Die Inflation in Deutschland hat sich im Juli auf hohem Niveau etwas abgeschw�cht. (zu dpa:  ...
An der Supermarkt-Kasse kommt es manchmal zum Streit zwischen Kunden und Mitarbeitenden.Bild: dpa / Sven Hoppe
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Zoff an der Supermarkt-Kasse: Tiktok-User fallen auf neuen KI-Trend rein

Dass es im Supermarkt zwischen Mitarbeitenden und Kund:innen mal laut werden kann, ist nicht neu. Die Gründe sind verschieden, manchmal landen die konfliktreichen Szenen auf Social Media. Auf Tiktok gehen momentan aber Clips von Supermarkt-Streitereien viral, die es so nie gab. Und das ist in einigen Fällen alles andere als lustig.
21.10.2025, 19:0421.10.2025, 19:04

Man kennt es: Nach einem langen Arbeitstag will man nur noch einmal schnell in den Supermarkt, um sich etwas fürs wohlverdiente Abendessen zu besorgen. Schnell rein, bezahlen und dann ab nach Hause. Doch genau das gelingt nicht immer, denn häufig haben nach Feierabend viele Menschen dieselbe Idee.

Dadurch bilden sich zum Teil lange Warteschlangen und die scheinen selbst dann nicht kürzer zu werden, wenn eine zweite oder dritte Kasse geöffnet wird. So manch eine:r verliert da die Geduld und schnauzt womöglich die Person an, die kassiert. Solche unangenehmen Szenen haben wohl schon viele Menschen miterlebt.

Tiktok: Täuschend echte Videos lösen hitzige Diskussionen aus

Vor diesem Hintergrund erscheint ein Video, das gerade auf Tiktok die Runde macht, auch nicht übermäßig ungewöhnlich. In dem 12-Sekunden-Clip ist eine Frau zu sehen, die offenbar an einer Supermarktkasse steht und den Mitarbeiter verbal angeht.

"Warum ist die Schlange so lang und warum wird keine weitere Kasse geöffnet?", fragt die Kundin in einem unfreundlichen Ton. Hinter ihr erkennt man mehrere Menschen, die sich anscheinend in eine Warteschlange eingereiht haben.

"Wir sind nur zu zweit im Dienst, meine Kollegin räumt gerade nach, sonst stehen die Regale leer", versucht der Kassierer zu erklären. Doch diese Antwort bringt die Frau aus der Fassung. "Das ist mir egal, ich stehe hier schon zehn Minuten, machen Sie doch einfach die andere Kasse auf", schreit sie durch den Supermarkt.

"Ich kann nicht gleichzeitig kassieren ...", setzt der Supermarkt-Mitarbeiter noch an, doch dann endet das Video. Es mag unangenehm sein, doch ganz unrealistisch ist die Szene nicht.

Bei genauem Hinsehen fallen allerdings einige Ungereimtheiten auf. Die Kasse ist nämlich falschherum angelegt: Statt die Waren auf die Ausgabefläche am Ende der Kasse zu legen, platziert der Kassierer den Einkauf der Frau auf dem Kassenband. Zudem ist die Schrift auf einigen Schildern, die im Hintergrund zu sehen und eindeutig an den Discounter Lidl angelehnt sind, deutlich verzerrt. Daran wird deutlich: Diese Szene hat sich so nie zugetragen.

Der Urheber des Videos hat das Video sogar als KI-generiert gekennzeichnet. Doch das scheint vielen nicht aufgefallen zu sein: In der Kommentarspalte wird hitzig diskutiert. "Warum gibt es so viele Kassen? Es sind sowieso fast alle geschlossen. Sie hat vollkommen Recht", schreibt jemand.

Eine andere kommentiert hingegen: "Die Schlange wird aber auch nicht kürzer, wenn die Kundin so lange diskutiert". Und ein Dritter wirft ein: "Wird wieder am Personal gespart und der arme Kassierer bekommt den Ärger ab!". Viele scheinen den komplett KI-generierten Clip also ernstzunehmen.

Tiktok-Creator profitiert von problematischen KI-Clips

Für den Urheber zahlt sich das allemal aus: Mittlerweile verzeichnet das Video mehr als 360.000 Aufrufe. Und ein anderer Clip, in dem eine Frau scheinbar eine Kassiererin verbal angeht, weil der Einkauf am Vortag günstiger gewesen sei, hat bereits mehr als 200.000 Aufrufe.

Gut möglich, dass einige der Views und Kommentare von Bots stammen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass auch "echte" Menschen auf solche Videos hereinfallen, ist nicht zu unterschätzen.

Der Tiktok-Creator stellt zwar in seinem Profil klar: "Alltag? Ich mach Comedy draus – mit KI-Hilfe!". Doch den Schritt auf das Profil zu klicken und sich die Beschreibung anzuschauen, werden viele Tiktok-User:innen gar nicht machen.

Er setzt wohl gezielt darauf, Menschen durch solche konfliktreichen KI-Szenen zu emotionalisieren und dadurch Klicks zu generieren. Und damit ist er nicht allein.

Manche setzen auf absurden Content und lassen beispielsweise von einer KI ein Video erstellen, in dem sich eine ältere Frau auf das Kassenband legt und sich vom Kassierer scannen lässt. Darüber kann man vielleicht noch schmunzeln, doch es werden längst auch Videos gepostet, die mehr als problematisch sind.

Tiktok-Creator bedienen antisemitische Klischees

In einem KI-Video, das sich ebenfalls an einer Supermarktkasse zuträgt, ist ein Mann zu sehen, der offenbar eine Kippa und lange, gedrehte Locken trägt, wie man sie von orthodoxen Juden kennt. Nachdem der Kassierer um 9,99 Euro bittet, erklärt der Kunde: "Hier ein Zehner".

In seiner Hand befindet sich aber kein Schein, sondern nur eine Münze – hier wird eindeutig ein Fehler der KI deutlich. Dann beginnt der Mann aber unvermittelt zu schreien: "Wo ist mein Cent?! Ohne meinen Cent stimmt die Welt nicht mehr". Hier wird eindeutig das antisemitische Stereotyp des geldgierigen Juden bedient; die Folgen, die dieser Rassismus für jüdische Menschen haben kann, sind schwer.

Ein Hinweis, dass das Video KI-generiert ist, findet sich in diesem Fall nicht. In der Kommentarspalte werden teils noch weitaus schockierendere Inhalte verbreitet, die klar antisemitisch einzuordnen sind; dazwischen sieht man lachende Smileys. Am Ende hat auch dieser Erfolg: Innerhalb weniger Tage hat er bereits die Marke von 100.000 Aufrufen geknackt.

Für einige User:innen mag der Tiktok-Trend mit den KI-Supermarkt-Streitereien absurd und unterhaltsam sein, doch in manchen Fällen wird er wohl gezielt genutzt, um Antisemitismus zu befördern und Hass zu verbreiten. Daher sollte man sich genau überlegen, welche Videos und Creator:innen man künftig mit seinen Likes unterstützt – und welche man lieber meidet oder direkt meldet.

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