In Hollywood wird Streit in Beziehungen oft sexy dargestellt. Leidenschaftlich führt ein Wort zum nächsten und die wallenden Gefühle direkt in die Laken (Shoutout an der Stelle an Rachel McAdams und Ryan Gosling). Im echten Leben ist Zoff in der Partnerschaft allerdings selten romantisch.
Im Idealfall kann ein reinigendes, emotionales Gewitter zwar wichtige Themen auf den Tisch spülen und so zu mehr Nähe und Verständnis untereinander führen. In vielen Fällen endet Streit aber eher so: Einer heult, einer mauert, beide fühlen sich missverstanden – und keiner will sich entschuldigen.
Wenn sich dieser Kreislauf zu oft wiederholt, kommen erste Zweifel auf: Sollten wir uns lieber trennen, als uns permanent anzuschreien? Passen wir einfach nicht zusammen? Aber: Wie viel Streiten ist eigentlich normal in Beziehungen?
Christian Hemschemeier ist Psychologe und Paartherapeut, coacht auch in Online-Kursen und sagt: "Man kann tatsächlich 'zu viel' Streit in einer Beziehung haben. Aber auch zu wenig."
Streiten an sich sei normal und wenn es keinen gäbe, solle einem das ebenfalls zu denken geben, denn: "Jedes Paar, das miteinander und zu sich selbst ehrlich ist, wird irgendwann auf Meinungsverschiedenheiten treffen", sagt der Psychologe. Friede-Freude-Eierkuchen ist als permanenter Zustand unmöglich, sofern man länger zusammen ist. Damit müsse man sich auseinandersetzen.
Gesunde Beziehungen hätten allerdings eines gemein: Sie gehen die Konflikte an, die zwischen den Partner:innen auftauchen und – das ist der Knackpunkt – lösen sie. Auf respektvolle Art. Hemschemeier führt aus:
Mit diesem Grundgefühl einander gegenüber kann ein Streit nützlich sein. Dann gehen die Partner:innen aufeinander zu, sind bereit, sich zu entschuldigen und bringen einander Verständnis und Kompromissbereitschaft entgegen. Ein gelöster Streit lässt Paare eher gestärkt zurück.
Zu viel Streit besteht hingegen dann, wenn es nicht mehr darum geht, Dinge auszudiskutieren und eine Lösung zu finden, sondern ein Satz den nächst Schlimmeren bereits nach sich zieht. Nicht die Quantität, sondern die Qualität entscheidet also in erster Linie, wie sehr ein Streit der Beziehung schadet.
"'Du spinnst.' 'Du bist doch bescheuert' – Schimpfwörter, Beleidigungen, ständige Sticheleien – das ist Streit, der nicht zu einer Lösung beiträgt, sondern die Beziehung nachhaltig kaputt macht", sagt der Experte deutlich und ergänzt:
Die meisten Menschen würden den Unterschied zwischen einem heilsamen Streit und einem toxischen durchaus selbst bemerken. Ein klarer Hinweis für eine ungesunde Streitkultur ist laut Hemschemeier: "Wenn jemand im Streit denkt: Ich habe gar keine Kraft mehr zu antworten. Mir fehlt die Energie, darauf überhaupt noch zu reagieren."
Meist liegt diese Erschöpfung an zwei Tatsachen. Erstens: Das Paar streitet immer wieder über das Gleiche. Zweitens: Eine oder beide Seiten werden dabei verletzend. "Wenn man über einen längeren Zeitraum streitet und zunehmend unter der Gürtellinie argumentiert, wird es brenzlig", fasst Hemschemeier zusammen.
Streit an sich gefährdet keine Beziehung. Aber er muss enden und darf nicht zum Dauerzustand werden. "Das Grundrauschen in der Beziehung sollte ein Friedliches sein", schließt der Dating-Coach ab. "Wenn in der Beziehung mehr Streit entsteht, als man noch gemeinsam lösen kann, ist das ein schlechtes Zeichen." Dann kann der Stress nicht nur in Tränen enden, sondern in einer tatsächlichen Trennung.