Mutti ist die Beste. Papa ist der Größte. Wenn Kinder ihren Eltern so richtig nahe stehen, teilen sie oft noch im Erwachsenenalter ihren Alltag, telefonieren täglich, wohnen in der Nähe und halten sich auch sonst gerne an die Tipps der Eltern.
Die wussten schließlich auch schon früher, was bei welchem Problem zu tun war. Sollten sie dann nicht auch jetzt noch über Wandfarbe, Arzneimittel und Karriereentscheidungen bestimmen dürfen? Eltern sind der wohl parteiischste, sicherste Hafen im Leben eines Menschen, wenn das Verhältnis gut war.
Aber ist es gesund, sich permanent in diesen zu flüchten, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat? Wie attraktiv ist das beim Dating? Schadet die Nähe zu den Eltern der Liebesbeziehung? Hat der oder die Partner:in überhaupt noch Platz, wenn die erste Anlaufstelle immer Mama oder Papa ist?
"Eine gute Frage", sagt Therapeutin Andrea Bräu auf watson-Anfrage. Sie ist Paar- und Sexualtherapeutin in München und arbeitet als Beraterin des Portals "Ashley Madison".
Ein gutes Verhältnis zu den Eltern, auch ein inniges, ist erst einmal eine schöne Nachricht in puncto Dating. Wer bereits als Kind im Elternhaus gelernt hat, geliebt zu werden, einander nahe zu sein und ehrlich zu kommunizieren, hat es auch in zukünftigen Liebesbeziehungen meist leichter.
Doch manch ein Vater ist noch Jahrzehnte später übertrieben stolz auf seine "Kleine", wenn er sie im Büro besucht. Und Mama legt erstaunliche Sorge an den Tag, wenn ihr längst ausgezogener Sohn an einem lapidaren Schnupfen leidet. Das kann vielleicht noch als süß durchgehen.
Doch wenn der Papa sich in jeden beruflichen Schritt einmischt oder die Mutti sich ungefragt Zugang zur Wohnung verschafft, um sich mal zu kümmern – wo ist die Grenze zwischen charmant und creepy?
Eine extrem enge Bindung zu einem der Elternteile würde wahrscheinlich dann zum Problem in der Liebe, "wenn jemand Leidensdruck entwickelt", sagt Bräu. Was bedeutet das in der Praxis?
Dazu fallen der Therapeutin ein paar Beispiele ein: "Die Wohnungseinrichtung wird mit Mutti besprochen, weil die ja 'so guten Geschmack hat' und die Automarke sucht Papi aus." Das sind dann elterliche Entscheidungen, die bis ins Innenleben der Beziehung Auswirkungen haben. Bräu führt aus:
Das ist nicht nur ein möglicher Streitpunkt (zum Beispiel dann, wenn einem Schwiegermama's Einrichtungstipps gar nicht gut gefallen...), sondern wirft auch schnell die Frage auf: Ist meine Meinung unwichtiger als die seiner oder ihrer Eltern?
"Das macht natürlich etwas mit einem", bestätigt Bräu. Selbst wenn diese Gefühle manchmal "unausgesprochen" blieben. Die Frage ist allerdings, ob sich das Problem ändern ließe, wenn man laut mehr Distanz einfordern würde.
Vermutlich schon, aber nicht ohne Stress, gibt die Therapeutin zu bedenken. Sich von den Eltern zu emanzipieren, ist ein Schritt, der normalerweise in der Jugend erfolgt. Als Erwachsener plötzlich Grenzen zu setzen, wird sich mindestens ungewohnt anfühlen. Es ist eine Aufgabe, die kein:e Partner:in, sondern nur das Kind selbst übernehmen könne.
Eigentlich beginne die Phase der 'Abnabelung' schon viel früher, wie Andrea Bräu erläutert. "Wenn die aber nicht günstig erfolgt ist, zum Beispiel aufgrund von Helikopter-Eltern, dann fliegt es einem in der Beziehung auf jeden Fall um die Ohren", mahnt sie. Wer allerdings erwachsene Romantik im Leben wolle, für den oder die sei die Emanzipation unausweichlich.
Sich von Mama oder Papa zu lösen, ist nicht leicht. Das gilt mit 40 genauso wie mit 14 Jahren. Doch im besten Fall ergänzen sich Familie und Partnerschaft als Netzwerk. Wohnort? Kinderfrage? Reiseziele? Das sind Entscheidungen einer Beziehung. Die Nudeln à la Andreas aber? Die macht keiner so lecker wie Papa. Basta.