Die Natur kann unfassbar brutal sein. Von gefräßigen Haien und Raubkatzen über Störche, die das schwächste Junge aus dem Nest werfen, bis zu Spinnenweibchen, die ihre Paarungspartner nach dem Sex fressen, ist alles dabei. Insekten geht es aber oftmals besonders spektakulär an den Kragen.
Schmetterlingspuppen sind Opfer eines ganz außergewöhnlichen Todes. Auf sie hat es ein Pilz abgesehen, der sich im Organismus einnistet, das Gehirn des Wirts manipuliert und ihn schließlich von ihnen heraus auffrisst. Der Pilz mit dem Namen Puppenkernkeule ist Urheber dieser Horrorvorstellung.
Doch was des einen Leid, ist des anderen Freud. Und so könnte die Puppenkernkeule in Zukunft Millionen Menschen vom Krebs heilen. Das fanden nun Forscher:innen aus Großbritannien heraus.
Bereits der martialische Fachbegriff Cordyceps militaris vermittelt eine Ahnung davon, wie unangenehm für Schmetterlinge, Raupen, Ameisen und Fliegen die Begegnung sein kann. Der Parasit, der auch in Deutschland zu Hause ist, bleibt bei seinem Wirtstier in der Regel bis dieses tot ist. Oft befällt er vor dem Verenden aber das Gehirn und löst Verhaltensveränderungen aus. Eine gruselige Vorstellung.
Dass der Pilz aber nicht nur Fluch, sondern auch Segen sein kann, weiß man in Ostasien vermutlich seit Jahrhunderten. Denn in der traditionellen Medizin findet er weitverbreitet Gebrauch als Heilmittel gegen Husten, Erkältung und Atemwegserkrankungen generell, wie das Wissenschaftsmagazin "Scinexx" schreibt.
Die Erkenntnis dürfte sich mit einigen Jahrhunderten Verspätung auch in der westlichen Schulmedizin breitmachen. Wissenschaftler:innen der University of Nottingham konnten in einer Studie erstmals die Nützlichkeit im Kampf gegen den Krebs nachweisen. Beim Test an Labormäusen erwies sich der Wirkstoff Cordycepin als wirksamer Wachstumshemmer.
Dabei unterdrückte der isolierte Wirkstoff erfolgreich RNA-Botenstoffe, die bei der Ausbreitung und Streuung bösartiger Geschwüre eine Schlüsselrolle einnehmen. Der ermutigende Test steht erst am Anfang der Entwicklung eines Medikaments. Studienautor Steven Lawrence erklärt: "Bisher ist jedoch unklar, wie genau das Cordycepin seine therapeutischen Effekte erzielt."
Erste wichtige Schritte sind aber bereits geschafft. So konnte die Wirksamkeit des Pilzextrakts nicht nur in Mäusen nachgewiesen werden, sondern auch in isolierten Krebszelllinien aus dem menschlichen Organismus.
Dazu wurden den Labormäusen Zellen verpflanzt, die mit menschlichem Brustkrebs befallen waren. Bei den behandelten Mäusen wuchsen die Tumore unter Injektion des Wirkstoffs deutlich langsamer als in der Kontrollgruppe. Laut Lawrence beweist das Experiment, "dass Cordycepin ein guter Ausgangspunkt für neuartige Krebstherapeutika ist".
Weil der Wirkstoff bisher kaum erprobt ist und auf zellulärer Ebene zahlreiche Signalwirkungen unterdrückt, stehen aber noch umfangreiche Tests an. Ob sich daraus nachteilige Nebenwirkungen ergeben können, ist dem Forschungsteam aus Nottingham zufolge allerdings noch vollkommen offen.