Friseurinnen in Westafrika bekommen therapeutische Weiterbildung
Yopougon, der größte Bezirk der ivorischen Wirtschaftsmetropole Abidjan. Zwischen Musik, Motorrädern und Marktständen schneidet Adjoua Catherine Tano Haare. Doch was in ihrem Salon geschieht, geht weit über das hinaus. Denn viele ihrer Kund:innen kommen nicht nur für eine neue Frisur – sie suchen ein offenes Ohr. Seit über 20 Jahren schneidet Tano Haare und hört zu.
Laut der Weltgesundheitsorganisation leiden über 116 Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent an psychischen Erkrankungen. Doch auf 100.000 Menschen kommen durchschnittlich nur 1,4 Fachkräfte im Bereich psychische Gesundheit. Eine Psychotherapie ist für viele somit schlicht unerreichbar.
Mentale Gesundheit: Friseurinnen als erste Anlaufstelle
Genau hier setzt das Projekt "Heal by Hair" an. Entwickelt wurde es von der Bluemind Foundation, einer gemeinnützigen Organisation, die sich der seelischen Gesundheit in Westafrika widmet. Die Initiator:innen merkten, dass Friseur:innen für viele Menschen bereits Vertrauenspersonen sind – warum nicht dieses bestehende Band stärken und nutzen?
"Wir haben das Vertrauen, das schon da ist, mit konkretem Wissen verbunden", erklärt Gründerin Marie-Alix de Putter, die das Projekt 2021 ins Leben rief, gegenüber dem "Guardian". Inzwischen wurden über 400 Friseur:innen in Kamerun, der Elfenbeinküste und Togo geschult.
Über 100.000 Frauen haben so bereits Hilfe erfahren – beim Haareschneiden, zwischen Lockenstab und Schere. Ziel ist es, bis 2030 in 20 afrikanischen Ländern mehr als 1000 Friseur:innen zu "Mental Health Ambassadors" auszubilden.
Therapeutische Weiterbildung für Friseurinnen
Die Schulung besteht aus einem drei Tage dauernden Intensivtraining, geleitet von Psycholog:innen, Psychiater:innen und Fachkräften aus der Region.
Zu den Inhalten zählen aktives Zuhören, die Erkennung von Anzeichen psychischer Erkrankungen wie Depression, Angstzuständen und Trauma, der Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und Basiswissen über psychologische Konzepte. Nach dem Training erhalten die Teilnehmenden ein Zertifikat.
Doch das Programm endet hier nicht: Über sechs Monate hinweg werden die neuen Botschafter:innen durch Peer-Gruppen, Supervision und ein Verweissystem begleitet. Wenn ein Fall komplexer ist – etwa bei Suizidgedanken, Gewalt oder schwerer Depression – vermitteln die Friseurinnen an spezialisierte Psycholog:innen oder, wenn nötig, an die Polizei.
"Früher habe ich Haare gemacht – jetzt helfe ich Menschen"
Für viele Friseur:innen verändert das Programm nicht nur den Umgang mit Kund:innen, sondern auch ihr Selbstbild. "Wenn jemand mir seine Probleme anvertraut, bin ich stolz. Ich bin ein Ohr für jemanden", sagt Thérèse Gueu aus dem Arbeiterviertel Abobo. In ihrem Salon liegt heute ein Psychologie-Lehrbuch neben den Haarprodukten.
Auch in Togo zeigt sich Wirkung: Eine Absolventin des Programms stellte eine Frau ein, die zuvor in einer psychiatrischen Klinik war – ein Tabubruch in einer Gesellschaft, in der psychisch Erkrankte oft als "verrückt" abgestempelt und ausgeschlossen werden.
Einige der Friseur:innen haben selbst Gewalt erfahren und sehen das Programm als Befreiung. Manche berichten, dass inzwischen auch Männer den Mut finden, im Salon über Sorgen zu sprechen. Laut de Putter sagen sie zum Programm: "Früher habe ich Haare gemacht – jetzt helfe ich Menschen."