
Für viele mehr als ein Club: das SchwuZ in Berlin-Neukölln. Bild: schwuz
Interview
Immer wieder ist vom Clubsterben in Deutschland die Rede – in Berlin scheint es längst Realität geworden zu sein. Das Watergate ist dicht, der Wilden Renate droht das Aus. Und nun könnten in einer weiteren Institution bald die Lichter ausgehen.
12.08.2025, 19:4412.08.2025, 19:44
Wer in Berlin nach queeren Party-Locations sucht, der kommt am SchwuZ nicht vorbei. Im Jahr 1977 als selbstverwalteter Treffpunkt der LGBTQIA+-Community gegründet, gilt es heute immer noch als wichtiger Safer Space für queere Menschen. Aber ob der Club 2027 seinen 50. Geburtstag feiern wird, ist aktuell alles andere als sicher.
"Das SchwuZ musste Insolvenz anmelden" verkündeten die Betreiber:innen kürzlich auf Instagram. Die Lage sei "wirklich ernst"; dabei hat der Club erst im Mai Sparmaßnahmen angekündigt und mehr als 30 Mitarbeitende entlassen. Das traf viele unerwartet, entsprechend laut war die Kritik.
Nun ist klar: Die wirtschaftliche Schieflage, in die das SchwuZ gerutscht ist, lässt sich so schnell nicht wieder gerade rücken. Damit ist der queere Club längst nicht allein. In Berlin und anderen deutschen Städten stecken viele Clubs in einer Krise.
Kosten für Personal und Energie steigen, während gleichzeitig die Zahl der Party-Gäste vielerorts zurückgeht. Gerade die Gen Z scheint während der Corona-Pandemie keine Beziehung zu Clubs aufgebaut zu haben. Stattdessen zieht es viele junge Menschen eher auf Haus-Partys oder Open-Air-Raves.
Im Gespräch mit watson erklärt SchwuZ-Geschäftsführerin Katja Jäger, ob sich die Ära der Clubs dem Ende neigt, wie sich die Bedeutung von Safer Spaces verändert hat und warum der Verlust des SchwuZ nicht nur für Berlin ein fatales Signal wäre.
Watson: Wie schlecht stehen die Chancen, dass das SchwuZ zum Jahresende schließen muss?
Katja Jäger: Wir verstehen die Insolvenzanmeldung nicht als Ende vom SchwuZ, sondern als Neuanfang. Das ist ohne Frage ein großer Einschnitt, aber es ist auch nicht der Erste. Wir mussten schon im Mai 30 Mitarbeitenden kündigen. Gleichzeitig haben wir versucht Gäst:innen zurückzuholen, das ist nur bedingt gelungen. Wir sind nicht für ein Jahr durchfinanziert, die Insolvenzanmeldung ist also eine kaufmenschliche Notwendigkeit – und ein Weckruf an die Community.

Ende Juli wendete sich das SchwuZ an seine Community auf Instagram.Bild: screenshot instagram / schwuz
Wie geht es jetzt weiter?
Der Betrieb läuft weiter. Wir sind nicht zahlungsunfähig, aber genau dieses Szenario könnte bald eintreten. Das Problem ist so groß, dass wir es nicht ignorieren konnten, sondern tätig werden mussten. In Kürze wird dann ein:e Insolvenzverwalter:in übernehmen, die prüfen wird, wie man den Betrieb weiterführen kann. Wichtig ist, dass wir in den kommenden Wochen zeigen, dass dieser Ort gebraucht wird. Da zählt jeder Gast und jede Gästin.
Euch fehlen monatlich 30.000 bis 60.000 Euro. Wie konnte es so weit kommen?
Es gibt strukturelle Probleme, die man nicht innerhalb weniger Wochen wieder ausräumen kann. Über Jahre wurde das Personal aufgestockt – teils mit Minijobs, die viel Verwaltungsaufwand bedeuteten. Es gab teilweise Mitarbeitende mit 1,5 Wochenstunden Arbeitszeit. Gleichzeitig ging die Zahl der Gäst:innen zurück, weil das Image des SchwuZ gelitten hat.
Online gab es viel Kritik, dass ihr immer die gleiche Musik spielt.
Die Kritik hat zum Teil ihre Berechtigung, aber sie scheint oft von Leuten zu kommen, die das letzte Mal vor ein oder zwei Jahren bei uns waren. Mittlerweile hat sich viel verändert und wir haben neue Formate wie die Latin-Party Furiosa, Techno-Abende, Gothic-Partys an den Start gebracht. Aber es dauert, bis sich das rumspricht und etabliert.
Wie viele Besucher:innen fehlen euch?
An einem guten Freitagabend wären 800 Gäst:innen ideal – da sind wir oft drunter. Teilweise kommen nur 400 Leute. Einige Formate wie die Popkicker laufen gut, aber es braucht mehr Publikum an allen Tagen.

So voll ist es im SchwuZ längst nicht mehr jedes Wochenende.Bild: schwuz
Ein weiterer Kritikpunkt: 20 Euro Eintritt für eine Party am Samstag sind ganz schön happig.
Das ist der Preis an der Abendkasse. Wer sich seine Tickets im Vorverkauf besorgt, zahlt ein paar Euro weniger. Ich verstehe, dass manche Leute spontan feiern gehen wollen, aber aktuell können wir uns keine Preis-Experimente erlauben. Und ich glaube, die 20 Euro liegen nicht weit vom Berliner Durchschnitt entfernt. Außerdem kommt man bis 22 Uhr kostenlos in den Club. Wir wollen, dass so viele Menschen wie möglich an der queeren Clubkultur teilnehmen können.
Gerade die Gen Z feiert lieber auf Hauspartys oder Festivals. Neigt sich die Ära der Clubs dem Ende?
Das würde ich so nicht unterschreiben. Es stimmt zwar, dass viele junge Menschen nicht mehr jedes Wochenende feiern gehen, wie das vielleicht früher der Fall war. Aber unsere Vroom Vroom Party, die sich vor allem an die Gen Z richtet, wird beispielsweise sehr gut angenommen. Generell kommen im SchwuZ aber mehrere Generationen zusammen, wir sind kein reiner Gen-Z-Club. Deswegen kann uns auch diese Generation allein nicht retten.

Das SchwuZ gilt seit Jahren als queerer Safer Space im Berliner Nachtleben.Bild: dpa / Christophe Gateau
Auch die queere Community hat sich verändert: Ist ein Safe Space vielleicht gar nicht mehr so bedeutsam wie noch 1977 zur SchwuZ-Gründung?
Einerseits ist es natürlich schön zu sehen, dass viele junge Queers das Gefühl haben, dass sie überall feiern gehen können. Ich glaube trotzdem, dass queere Safer Spaces weiter absolut notwendig sind. Als Gesellschaft sind wir noch nicht so weit, dass sich die Community überall sicher fühlt. Das sieht man allein an dem Anstieg LGBTQIA-feindlicher Straftaten in Deutschland.
Im Jahr 2023 erfasste die Polizei über 1700 Fälle.
Deshalb braucht es weiterhin Clubs von queeren Menschen für queere Menschen. Wer täglich Homo- oder Transphobie erlebt, braucht auch Orte der Erholung. Viele schließen hier Freundschaften, für manche Menschen ist es ein zweites Zuhause. Dieses Gefühl hast du nicht in jedem Club, erst recht nicht in Berlin!
Wünscht ihr euch von politischer Seite mehr Unterstützung?
Grundsätzlich sind wir bestens mit der Berliner Politik vernetzt und bekommen auch den Rücken gestärkt. Aber es gibt von politischer Seite nur begrenzte Möglichkeiten, ein Unternehmen zu unterstützen, das in einer Krise steckt. Am Ende müssen wir selbst tragfähig bleiben. Trotzdem wünschen wir uns weiter politische Rückendeckung – gerade angesichts der Bedeutung von Clubkultur für Berlin als Standort.
Den Kulturaspekt wollen manche immer noch nicht anerkennen. Sie sehen Clubs als reine Vergnügungsorte.
Ich sehe darin auf jeden Fall ein Kulturgut, gerade die Berliner Clubkultur ist weltweit bekannt. Es kommen Tourist:innen gezielt hierher, um zu feiern. Das hat im Übrigen auch eine Bedeutung als Wirtschaftsfaktor. Da würden wir uns schon mehr Anerkennung wünschen und dass am Ende auch entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, bevor es keine Clubs mehr in Berlin gibt.
Das Überleben der Clubs hängt aber nicht nur von der Politik ab, sondern auch von den Gästen.
Das stimmt. Seit wir die Insolvenzanmeldung öffentlich gemacht haben, sind viele Solidaritätsbekundungen aus der queeren Community bei uns eingegangen. In den letzten Tagen ist vielen nochmal bewusst geworden, wie wichtig so ein Ort eigentlich ist. Aber am Ende wird mit den Füßen abgestimmt – wer sagt, dass ihm dieser Ort etwas bedeutet, sollte dann auch wirklich kommen und das zeigen.
Was würde den der Verlust des SchwuZ für Deutschland bedeuten?
Das SchwuZ ist die größte und älteste queere Kulturinstitution Deutschlands. Wenn wir dichtmachen müssten, würde nicht nur ein Teil Berliner Geschichte, sondern auch ein Stück queere Geschichte verloren gehen. Das SchwuZ ist vor fast 50 Jahren gegründet worden, als Queersein gesellschaftlich überhaupt nicht anerkannt war. Seitdem war es als Schutzraum extrem wichtig für die Community deutschlandweit. Und ich glaube, dass es – auch wenn es sich manche vielleicht anders wünschen – auch in den nächsten 50 Jahren noch gebraucht wird.
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