Paketzusteller – egal, ob sie bei GLS, Hermes oder DHL arbeiten – haben einen stressigen Job. Konkret heißt das: In einer Schicht müssen sie bis zu 220 Pakete ausliefern. Das ist viel. Manchmal zu viel.
Wir haben mit einem Paketzusteller, der anonym bleiben möchte, gesprochen. Er stellt seit mehr als zwei Jahren zwei- bis dreimal in der Woche für DHL Pakete zu. Selbst kennt er Bilder wie diese nur aus dem Internet, auf der Arbeit mitbekommen hat er so etwas noch nicht. Eine Erklärung hat er dennoch dafür.
watson: Wie kann es sein, dass Pakete im Müll und nicht beim Empfänger landen?
DHL-Paketzusteller: Es ist ein grundsätzliches, strukturelles Problem, das zu solchen extremen Auswüchsen führt. Es liegt an der Unternehmenspolitik. Damit meine ich nicht die direkten Vorgesetzten, sondern den Aufbau des Unternehmens. Das Problem ist, dass es eine Post AG und eine Delivery GmbH gibt.
Die GmbH ist eine Tochterfirma, die vor einigen Jahren gegründet wurde. Ich glaube, das Fernziel der GmbH ist, dass nur noch die administrativen Stellen – also Verwaltung und Führungsebene – in der Post AG bleiben und alles andere, also alles, was vom Sortierer bis zum Zusteller geht, in die Delivery GmbH übergeht. Nach dem Motto: 'Hauptsache, die Dividende stimmt'. Darüber wird zwar von Unternehmensseite nicht offen gesprochen, aber das ist mein Eindruck und auch das, was viele Kollegen vermuten.
Wie wirkt sich das auf die Arbeitsabläufe aus?
Erst einmal gar nicht. Beide Firmen haben zwar unterschiedliche Büros, die liegen aber direkt nebeneinander. Alle fahren mit den gleichen Autos, tragen die gleichen Klamotten etc..
Inwiefern gibt es dann Unterschiede?
Delivery bezahlt wesentlich schlechter. Das Problem ist, dass niemand mehr bei der Post AG angestellt wird, sondern alle neuen Mitarbeiter bei Delivery eingestellt werden. Dadurch ist der Job an sich unattraktiver als bei der Post AG, und es ist schwieriger, gute Leute zu finden. Das wiederum führt dazu, dass auch viel mit Zeitarbeitsfirmen kooperiert wird. Die schicken dann Leiharbeiter zur Delivery GmbH.
Was ist das Problem mit Leiharbeitern?
Sie haben keine Festanstellung. Denn: Sie sind ja nicht bei Delivery angestellt, sondern bei den Leiharbeitsfirmen. Und das wiederum sind oft Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchtbiografie.
Das ist ja an sich nichts Schlechtes …
Nein. Die Leiharbeitsfirmen bieten einen niedrigschwelligeren Eintritt in den Arbeitsmarkt. Das ist ja gut. Auf der anderen Seite – und auch das ist klar, weil die Menschen oft erst seit kurzem in Deutschland leben – kennen sie sich nicht so gut mit den Straßennetzen aus oder sind sprachlich noch nicht auf dem Stand, um jede Situation im Detail verstehen zu können.
Wenn die dann noch zu viele Pakete haben, um sie mit den Voraussetzungen, die sie haben, schaffen zu können, kann das natürlich solche Blüten treiben. Das soll nicht heißen, dass nur Leiharbeiter Pakete auf die Mülltonne stellen. Aber es sind schon Strukturen, die solche Verzweiflungsaktionen durchaus fördern.
Gibt es noch andere Probleme, die dadurch entstehen?
Hinzu kommt: Der Leiharbeiter hat seinen eigentlichen Vorgesetzten in der Leiharbeitsfirma, aber auch einen Chef bei Delivery.
Ein Beispiel: Wir dürfen maximal zehn Stunden arbeiten und maximal eine Dreiviertelstunde Pause machen. Wenn wir länger arbeiten, dann sind wir nicht mehr versichert. Das heißt, wenn ich um 7 Uhr anfange und mein Auto belade, dann muss ich spätestens um 17.45 Uhr mit allem fertig sein. Sprich: Pakete ausliefern, das Auto zurückbringen und Pakete, die ich nicht ausliefern konnte, wieder ins Lager bringen.
Passiert es häufig, dass Paketboten länger arbeiten?
Wenn ich mal so lange arbeite, sehe ich immer Menschen, die erst um 17.45 Uhr in die Basis zurückfahren. Oder noch extremer: DHL-Transporter, die nach 18 Uhr noch in der Stadt unterwegs sind, was überhaupt nicht sein dürfte.
Wie könnten solche Verzweiflungstaten Ihrer Meinung nach verhindert werden?
Das hat nichts mit dem Fachkräftemangel, den es ja überall in Deutschland und in vielen Berufen gibt, zu tun. Man muss nicht zwingend Fachkraft sein, um einen Job gut zu machen. Das heißt, wenn die Post mal ihre Einstellung ändern würde und das Unternehmen anders strukturieren würde, dann wäre der Beruf attraktiver.
Die Post müsste besser bezahlen, dann würden die Menschen auch motivierter arbeiten. Dadurch hätten die Menschen, die neu über Leiharbeitsfirmen dazu kommen, auch nicht so große Mengen zu bewältigen. Viele nehmen diese Überstunden dann nicht. Weil sie das gar nicht wissen, sich nicht trauen, etwas zu sagen oder nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen.