Wenn jetsettende Influencer plötzlich ihre Liebe zur Umwelt entdecken
Bild: imago stock&people
12.08.2018, 15:1012.08.2018, 15:10
Greenwashing
Wir schreiben den 1. August 2018.
Es ist Welterschöpfungstag, auch Earth Overshoot Day genannt. Eine normschöne
Influencerin aus Deutschland posiert mit ihrem Backpack auf den Berggipfeln der
Cordillera de Mérida – dem nordöstlichen Ausläufer der Anden in Venezuela – und
schreibt dazu eine herzzerreißende Caption, auf die gut kalkulierter digitaler
Applaus folgen wird:
"Ich bin schockiert. Bis zum heutigen Tag haben wir bereits mehr von der Natur genutzt, als unser Planet in einem Jahr wiedererneuern kann. Vor zehn Jahren war der #WorldOvershootDay am 23. September, was den drastischen Anstieg der Ressourcen zeigt, die durch unseren rücksichtslosen Überkonsum verbraucht wurden."
"Ich bin überzeugt, dass wir den Klimawandel nur bekämpfen können, wenn wir unseren Konsum verändern. Sei der Wandel, den du in dieser Welt sehen willst!"
Es folgt neben hunderttausenden
Herzen und unterstützenden Kommentaren ("You go, girl. Ein echtes Vorbild!")
eine Aneinanderreihung von Dingen, die "wir" reduzieren müssen, um "unseren" Planeten zu retten: Fleischkonsum, Kleidungsverbrauch, Plastikverpackungen,
Flugreisen. Wir sollen nachhaltige Produkte kaufen und Altes reparieren lassen.
"So", schreiben die Influencerinnen
des Landes, die gerade das 1x1 des nachhaltigen Lebens auf YouTube nachholen
beinahe synchron auf ihrer Lieblings-Selbstbeweihräucherungsplattform, "könnten
wir einen großen Teil des Umweltproblems lösen", bevor sie ihre pinken
Plastik-Flamingos aus dem Koffer holen, um Selfies im Pool zu schießen.
Pathetic? Auf jeden Fall.
Einerseits plädieren gewisse Influencer-Größen für nachhaltigen Konsum,
andererseits denken sie, dass es mit einer fair in Polen produzierten Tote-Bag
(#ethical) beim Einkaufen am anderen Ende der Welt getan wäre, obwohl sie bis
zu ihrer Ankunft in besagtem Land 3,3 Tonnen CO2 (Economy, Two Way BER – VE)
verballert haben. Das entspricht dem wohnspezifischen CO2-Wert einer Person,
die ein ganzes Jahr in einem Mehrparteienhaus auf 70 Quadratmetern lebt, duscht
statt badet und Elektrogeräte verwendet, die jünger als 10 Jahre sind (Quelle: CO2-Rechner).
Anderer Vergleich gefällig?
Ein
Kilogramm Bio-Schwein schlägt klimabilanzmäßig
mit 1,5kg CO2-Äquivalenten zu Buche – das wären
aufs Jahr hochgerechnet bei einem durchschnittlichen Konsum von 500 Gramm
Schwein pro Woche 39 kg CO2.
Immer wieder tappen
weltverbessernde Models, Schauspieler oder ganz normale Kim
Kardashians von nebenan in die
Öko-Falle, ohne vorher nachzurechnen, was sie da von sich geben – unabhängig
davon, ob Fleischkonsum nun gut oder schlecht ist.
Es geht viel mehr darum aufzuzeigen, dass der Verzicht auf Fleisch
alleine nicht reicht, um eine Weltreise zu legitimieren. Zumindest, wenn wir
hier rational und nicht moralisch argumentieren.
"Die Malediven sind durch den
Klimawandel, der zur Steigung des Meeresspiegels führt, in Gefahr, irgendwann
überflutet zu werden und unterzugehen", schreibt die aktuelle Miss Schweiz
Jastina Riederer auf Instagram.
Sie fände das sehr traurig und schade, deshalb
rufe sie jeden dazu auf, etwas zum Klimaschutz beizutragen. Nach dieser
Ausnahmereise werde sie es wieder im Alltag tun. Sie hole ihr Gipfeli mit dem
Einrad statt dem Auto – und gehe mit Strom und Wasser sparsam um (watson.ch berichtete).
Würde
Riederer ihre Gipfeli statt mit dem Einrad mit dem Auto holen (Annahme: 5
Kilometer Fahrt, Benzin, Verbrauch: 10 Liter auf 100 Km) entstünde dadurch eine
CO2-Menge von 2 Kilogramm.
Die amtierende Miss Schweiz könnte anstelle ihres Fluges in die Malediven also exakt 1450 Mal mit dem Auto Gipfeli holen und sich den mühsamen Weg mit dem Einrad ersparen.
Die Kritik kommt gar nicht gut an. Denn: radikale Selbstbestimmung diktiert ihr Leben.
Reisen, das macht frei im Kopf und erweitert den Horizont. Reisen, das gehört
zu einem fancy Lifestyle eben dazu, den man verkaufen muss. Auf wessen Kosten
auch immer. Und außerdem tun sie ja schon so viel für ihre, pardon, unsere
Umwelt. Sie fahren – im besten Fall – kein Auto, sie ernähren sich vegan, sie
tragen kein Leder und sammeln Plastik am Strand von Bali ein.
Da wird bis ans andere Ende der Welt geflogen, um dort für 50 Minuten aufzuräumen "#
beachcleanup" und sein schlechtes Gewissen via Insta-Post zu beruhigen "#healing".
Was man selbst dazu beiträgt, dass
der Klimawandel voranschreitet? Geschenkt. Ja, immerhin hat man
doch etwas getan! "Besser als gar nichts", rufen jetzt die Beleidigten an den
Stränden von Phuket, Kuta, Armação dos Búzios oder Thinadhoo. "Besser, als so
weiterzumachen wie bisher."
Ich finde: Es wird größtenteils so
weitergemacht wie bisher, nur mit neuen, PR-gerechten Verschleierungstechniken,
die der Umwelt so gut helfen wie Vaseline gegen Sonnenbrand.
Nur, weil man einmal etwas "Gutes" getan hat, heißt das noch lange nicht, dass es einen signifikanten Impact hat. #sorrynotsorry
Sadfact: Das Pseudoöko-Dasein
alleine wird die Welt nicht retten, sofern wir alle nicht endlich
aufhören, um den Globus zu jetten und anfangen, das Glück dort zu finden, wo es
ist. Vor unserer Nase. Unsere Welt wird sich nicht von selbst regenerieren, nur
weil wir die Worte der nicen "Feel Good"-Influencerin nachplappern, die sich
nicht an ihre eigenen Regeln hält.
Was man stattdessen tun könnte:
Accounts entfolgen, die Öko-Cherrypicking für ihre eigene
Reichweite betreiben, und sich nur das herausnehmen, was gerade angenehm zum
Lifestyle passt. Auf Fleisch zu verzichten ist heutzutage leichter, als auf die
drei Reisen rund um den Globus pro Jahr, selbst wenn im Falle des Falles (!)
eher auf Letzteres als auf Ersteres verzichtet werden müsste, um eine okaye
CO2-Bilanz vorweisen zu können. In Deutschland liegt diese bei 9,8 Tonnen CO2
pro Jahr und Kopf – Tendenz steigend. (Spiegel Online)
Man könnte das nächste Mal einen
Urlaub in Europa buchen. An Politiker und Politikerinnen appellieren, statt aus
der Ferne an das zuhause gebliebene Individuum.
Denn plastikfreier Konsum kann
nicht die Aufgabe einiger weniger privilegierter Menschen sein, die dreimal pro
Woche Zeit haben mit ihrer süßen Bambus-Tupperware zum Biomarkt zu laufen. Es
muss gesetzlich geregelt zum Mainstream werden. Weltweit. Alles andere ist
Erbsenzählerei – und personifiziertes Greenwashing.
Aber so wichtig scheint die Umwelt
den meisten ja dann doch nicht zu sein.
Namaste!
Zu dem Thema hat Saskia auch eine klare Meinung: "Wie mich die Klimaignoranz ankotzt"
Video: watson/Saskia Gerhard, Lia Haubner
Und nur mal so: Mutter Natur schlägt zurück!
Video: watson/Knackeboul, Madeleine Sigrist, Lya Saxer
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