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Ghosting und die Ursachen: Warum machen Menschen sowas?

Ghosting
Es ist nicht schön, von jemandem einfach keine Antwort mehr zu bekommen. Bild: unsplash / emmanuel ikwuegbu
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Ghosting passiert auch mir regelmäßig – heute weiß ich, wie ich reagieren will

Auch unser Kolumnist ist schon geghostet worden. Es ist ein Phänomen, das während der Corona-Pandemie massiv an Fahrt aufgenommen hat und unsere Gesellschaft belastet.
07.09.2024, 10:41
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Die Heavy-Tinder-User unter meinen Freund:innen und Bekannten haben mir schon vor Jahren davon erzählt. Damals war Ghosting ein ganz neues Ding. Es passierte vor allem im Zusammenhang mit Dates, dass Frauen und Männer einfach abtauchten. Oft war es schneller Sex – und danach nichts mehr. Kein Anruf, keine Antwort, auf keinem Kanal. Als ob es die Person nie gegeben hätte.

Mich faszinierte das Phänomen. Auch weil ich mich fragte: Wenn wir uns ehrlich machen, steckt dann nicht in jedem von uns ein Geist? Finden wir es gedanklich nicht total reizvoll, einfach abzutauchen? Die digitale Welt macht diesen Gedanken wirklich verführerisch, weil möglich. Allein die Erziehung verbietet es einem eventuell, ein Ghost zu werden und so etwas wie Anstand und Respekt. Lange dachte ich wirklich, dass Ghosting ein reines Tinder-Ding ist.

Über "Mental Health to go"
Deutschland ist erschöpft, sagen Expert:innen. Ob jung oder alt, ob Gen Z oder Boomer, viele kommen einfach nicht klar. Alles too much, alles nicht so, dass sich das Leben gut anfühlt. Was also tun? Das wird, da ist sich Mike Kleiß so sicher wie viele Expert:innen, das zentrale Thema unserer Gesellschaft werden. Je klarer wir mit uns und der Welt sind, je mehr wir gut auf uns achten, desto besser kann die Welt für uns werden. Wir müssen es eben nur tun! In "Mental Health to go" bekommt Ihr jede Woche ein kleines Stückchen Energie. Tipps und Anregungen, nahbare Geschichten, die euch inspirieren sollen

Corona machte Ghosting normal

Doch nach dem ersten Tinder-Hype kam Corona. Und gefühlt tauchte jeder irgendwie ab. Niemand war mehr erreichbar, die Menschen waren ihr eigener Geist in den eigenen vier Wänden. Plötzlich wurde Ghosting möglich, für jeden. Abtauchen war kein Problem. Denn es war okay, nicht erreichbar oder sichtbar zu sein. Man musste sich schließlich schützen. Corona war wie ein Deckmantel für alle, die gerne einmal das Ghosting ausleben wollten. Es bestand lange genug ein Kontaktverbot. Wenn nicht in der Pandemie, wann sonst konnten wir ohne schlechtes Gewissen Geister sein?

Und immer hatte ich die Befürchtung: Wenn viele das jetzt ausprobieren, schaffen sie es dann auch wieder zurück? Können sie nach Corona wieder ihr Leben als Nicht-Geist leben? Oder bleiben Teile der Tarnkappe an ihnen kleben? Man konnte ja nicht davon ausgehen, dass es nur Geister auf Zeit geben würde. Was, wenn viele Freunde, Kunden, Manager, hochgeschätzte Leute zu weiten Teilen Geister bleiben würden?

Ghosting
Nein, mit diesen Geistern hat das soziale Phänomen Ghosting nicht viel zu tun.Bild: Unsplash / Drew Tilk

Der Gedanke machte mir Angst. Und je länger ich darüber nachdachte, desto mehr befürchtete ich, dass unsere Gesellschaft ganz schönen eins mitkriegen würde. Dass selbst die geschätzten Menschen Rückstände des Ghostings mit in die Welt nach der Pandemie nehmen würden.

Ich machte mir ernsthaft Sorgen, dabei wurde ich nur geghostet

Meine Befürchtungen sind am Ende wahr geworden. Auch im geschäftlichen Bereich leben immer mehr Menschen Ghosting aus. Und wie es bei Geistern so ist, sie schleichen sich unbemerkt und leise ein. Mein erster knallharter Geist hieß Nicole. Ich weiß nicht, ob sie noch Marketingchefin in dem Unternehmen ist, das wir damals als Kunden hatten. Aber sie ghostete mich für eine lange Zeit. Sie lebt, das weiß ich sicher und das beruhigt mich. Denn zwischenzeitlich machte ich mir ernsthaft Sorgen.

Nicole beauftragte uns als Agentur mit einer recht großen Kampagne. Wir hatten quasi täglich Kontakt und sie brannte für das Projekt. Ja, ein bisschen auch für die Agentur, denn immer wieder sagte sie, dass sie sich bestimmt eines Tages einmal bei uns bewerben wolle. Das schmeichelte uns, denn es schien, als meinte sie es ernst. Es passte alles zusammen und wir trafen uns sogar ab und an halb geschäftlich, halb privat zum Essen oder schickten uns Whatsapps.

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Es kam der Tag, an dem das Projekt in die entscheidende Phase ging. Und wir brauchten Zwischenabnahmen, um weiterschreiten zu können. Ich mache es kurz: Nicht eine einzige Zwischenabnahme fand statt. Die Mails gingen in den Orbit, Anrufe rannten ins Leere, Whatsapps wurden gesehen, aber nicht beantwortet.

Wir kamen bald an den Punkt, an dem wir überlegten, ihren Geschäftsführer zu kontaktieren. Dieser war sehr klar: alles in Ordnung. Nicole sei ganz normal zu erreichen. So versuchten wir, den Geist zu fangen, ohne Erfolg. Es blieb uns nichts übrig als zu verschriftlichen, dass alle Timings nicht zu halten waren und das Projekt gescheitert war. Auch dann: keine Reaktion.

Nachdem wir eine Schlussrechnung gestellt hatten, die zügig bezahlt wurde, kam ein Anruf. Aus dem Nichts. Es war Nicole. "Lebst Du noch?", fragte ich. Nicole sagte kurz und knapp: "Ich habe alles gelesen. Können wir nochmal von vorn anfangen?" Sie tat, als ob nichts gewesen sei und erwartete gar nicht, dass wir am Projekt direkt anknüpfen sollten. Eine neue Idee war nun auf der Agenda, die allerdings eine Kollegin steuerte. Nicole war nicht mehr unsere Ansprechpartnerin. Sie verabschiedete sich nicht.

Was Ghosting mit einem macht

Seit Nicole gehörten die Geister immer wieder zu meinem Berufsleben. Über die letzten vier Jahre entstanden Geistergeschichten, aus denen ich locker vier bis fünf Bücher schreiben könnte. Zunächst wunderte ich mich, dann war ich besorgt, dann wieder ein bisschen amüsiert, am Ende einfach nur noch verärgert. Ich spürte, wie mich die Geister energetisch aussaugten. Denn: Jede Geistergeschichte frisst Zeit, Energie und Gedanken. Sie bindet einen, man kommt ins Stocken und meist haben Ghost-Storys kein gutes Ende.

Lange habe ich mich an den Geistern abgearbeitet, um festzustellen: Es ergibt keinen Sinn, sie verstehen zu wollen. Es ist dumm, ihnen Raum zu geben, es ist die Energie und die Lebenszeit nicht wert. Deshalb der klare Rat des Ghostbusters: Laufe nie einem Geist hinterher, füttere ihn nicht mit Aufmerksamkeit, schenk ihm keine Energie, lass ihn Geist sein, mach dein eigenes Ding.

Und wenn er aus dem Nichts wieder auftaucht, werde selbst zum Geist und ignorier ihn. Diese Sprache verstehen sie. In dem Moment, in dem man sich mit ihnen abgibt, führt man ihnen Energie zu. Und wieder wird man ausgesaugt, langsam, ohne dass man es merkt.

Meist sind Geister sehr charmant und nett. Deshalb lässt man sie immer wieder herein. Lasst die Türe zu. Auch wenn es doll an der Türe klopft.

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