Ich erinnere mich an frühere Weihnachten, als ich die Feiertage ausschließlich im Pyjama verbracht habe. Faul auf dem Sofa meiner Eltern liegen, geschenkte Bücher anlesen, stundenlang sinnloses Serien glotzen, keine Termine, keine Verpflichtungen, einfach genießen.
Den Dezember verbrachte ich mit Glühweintreffen auf dem Weihnachtsmarkt, mit der Suche nach dem perfekten Kleid für Weihnachtsfeiern, mit der Bestellung persönlicher Geschenke und Papeterie, mit Karten schreiben und aufwändigem Päckchen packen.
Seit drei Jahren ist Weihnachten nicht mehr das, was es mal war. Meistens pendele ich jetzt an Heiligabend zwischen dem Wohnzimmer meiner Eltern und dem Gästezimmer, weil ich mein Kind stillen, beruhigen oder in den Schlaf tragen muss. Und manchmal schlafe ich gleich mit ein. Alkohol war anfangs tabu und über Bücher, die ich geschenkt bekam, kann ich inzwischen nur noch milde lächeln. Ab auf den Stapel, den ich in der Rente dann hoffentlich abarbeiten werde.
Dieses Jahr waren die weihnachtlichen Aussichten pandemiebedingt sowieso trist. Aber zum ersten Mal freute ich mich auf die Adventszeit mit Kind, weil ich das Gefühl hatte, dieses Mal würde er mit seinen drei Jahren endlich alles bewusst wahrnehmen.
Ich erziehe ihn nicht religiös, aber mir ist es trotzdem wichtig, dass er die Ursprünge des Weihnachtsfests versteht. Also kaufte ich ihm ein altersgerechtes Buch mit wenig Text und vielen Bildern, das die Geburt Jesu erzählt. Leider scheinen die Protagonisten Maria und Josef nicht spannend genug zu sein, ein Flop. Selbst das Jesuskind im Stroh, neben Ochse und Esel, konnte es nicht herausreißen. Für ein Waldkindergartenkind wahrscheinlich unspektakulär.
Um einiges spektakulärer fand er dagegen das Thema Adventskalender. Ich hatte mir wirklich viel Mühe gegeben, hatte mir wochenlang Dinge gemerkt, für die er sich aktuell besonders interessierte. Und füllte so 24 Säckchen mit individuell auf ihn abgestimmten Kleinigkeiten. Doch dann kam mein Mann mit einem klassischen Schokoladen-Adventskalender nach Hause, den die Sekretärin unserem Sohn geschenkt hatte. Ab da an waren meine Säckchen Nebensache und das Drama programmiert: Jeden Morgen stürzte er sich zuerst auf die Schokolade und wir verhandelten hart, dass diese nicht schon vor dem Frühstück in seinem Mund landete.
An guten Tagen packte er sie in eine kleine Dose, um sie für nach dem Mittagessen aufzuheben. An schlechten Tagen ging die Heulerei direkt morgens los, weil er doch lieber jetzt reinbeißen wollte – und es manchmal auch tat. Worauf ich wieder angemessen reagieren musste. An schlimmen Tagen weigerte er sich, überhaupt zu essen. Er sei bereits satt und wolle jetzt bitte die Schokolade.
Ich verfluchte den Adventskalender und gleichzeitig liebte ich ihn. Weil er mir den gesamten Dezember das beste Druckmittel war. Die häufig von mir gebrauchten fünf Worte "sonst ist der Adventskalender weg" machten unseren Alltag leichter und mein Leben schöner.
Einen weiteren Stressfaktor haben wir noch in der Weihnachtszeit reduziert: unseren Adventskranz. Ich war ja so naiv. Dachte an muckelige Stunden bei Plätzchen und Kerzenlicht, im Hintergrund meine Weihnachts-Playlist. Auf die maximal nervenaufreibende "Weihnachtsbäckerei" in Dauerschleife, von der sich mein Sohn die Liedstelle "Sind die Finger rein? Du Schwein" auserkoren hat, um jetzt alles und jeden als Schwein zu bezeichnen? Geschenkt.
Aber dass ein Adventskranz erst zu Geschrei führt, weil nicht akzeptiert werden kann, dass ab Tag eins nicht alle vier Kerzen gleichzeitig brennen und dann fast unser Zuhause auslöscht? Nicht lustig. Er hatte tatsächlich eines der XL-Streichhölzer in die Hände bekommen, es angezündet und dann vor Schreck neben den Kranz auf den Tisch geworfen. Ab diesem Moment stand unser Adventskranz mit äußerst hübschen Farbverlaufkerzen hinten auf dem Klavier. Wir zündeten keine einzige Kerze mehr an.
Ein weiteres Weihnachtszeit-Highlight? Unser Weihnachtsbaum. Mein Mann findet es grundsätzlich irrsinnig, Bäume für die kurze Zeit zu schlagen. Als wir uns dann auf einen winzigen Baum mit Wurzeln einigten, den wir im Garten einpflanzen würden, kommentierte unser Sohn den Kauf emotionslos mit "will ich nicht". Ich schmückte ihn trotzdem, mit bruchsicheren Sternen aus weißer Spitze. Meine geliebten englischen Porzellananhänger, die ich jahrelang gesammelt habe, hebe ich lieber auf, bis Fußbälle, Kissenschlachten und waghalsige Sprünge der Vergangenheit angehören.
Damit wir den Baum vom Esstisch aus sehen, haben wir ihn neben dem Sofa platziert, der persönlichen Spielwiese des Kindes. Der Baum lebt gefährlich, aber mit seinen lediglich 70 Zentimetern gehe ich das Risiko ein. Was mir ein Rätsel ist: Ob all die Blogger und Insta-Mums, die meinen Feed mit deckenhohen, perfekt geschmückten Tannenbäumen fluten, vor die sie gerne das Krabbelkind halten oder das Kleinkind platzieren (im Weihnachts-Outfit, ist klar), das jetzt ernst meinen? Entweder ist der Baum mit Drahtseilen gesichert, komplett aus Plastik oder nach dem Foto wird wieder das Absperrgitter aufgestellt.
Bleibt nur noch der Weihnachtsabend selbst, den wir dieses Mal mit einem kleinen Teil der Familie verbrachten. Von vornherein war klar, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir fertigen das Kind schnell ab und bringen es ins Bett, um dann hoffentlich pünktlich zum Festessen wieder am Tisch zu sitzen. Oder er isst mit, beendet wie immer nach fünf Minuten seine Mahlzeit und versaut den restlichen Gästen das Menü.
Wir entschieden uns für Variante drei: Alle essen in Ruhe weiter und unser Sohn darf im Wohnzimmer "Peppa Wutz" glotzen. Und so genießen wir, während eine nervige Schweinchenfamilie im Hintergrund fröhlich vor sich hin plappert. Mit dem richtigen Schaumwein lässt sich das jedoch ganz gut ertragen. Noch ein weiteres Glas und ich komme fast schon in Weihnachtsstimmung.