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Schule und Studium: Was soll ich nach dem Abitur machen?

ARCHIV - 28.09.2020, Baden-Württemberg, Leutenbach: Schülerinnen und Schüler nehmen im Klassenzimmer einer 9. Klasse der Gemeinschaftsschule Leutenbach am Geografieunterricht mit Hilfe von Laptops und ...
Was soll ich eigentlich nach der Schule machen?Bild: dpa / Marijan Murat
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Ich habe in meiner alten Schule meinen Lebenslauf erzählt – das habe ich gelernt

19.03.2025, 19:2519.03.2025, 19:25
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Am Ende des Flurs, gegenüber von meinem früheren Klassenzimmer, steht noch immer das als Mülleimer zweckentfremdete Waschbecken, in das ein Mitschüler während der Mottowoche erbrochen hat. Der Lack löst sich, hat er vermutlich aber auch schon vor sieben Jahren, als ich meine Schule verlassen habe. Eigentlich hat sich nichts verändert.

Die bleierne Schwere der beschmierten, grelltürkisen Toilette; die geplanten Beete auf dem Schulhof, die immer noch leer stehen, die Aufregung vor dem Schwarzen Brett, in der Hoffnung, dass Physik ausfällt. Alles ist noch da.

Das Schadow-Gymnasium in Berlin-Zehlendorf, meine ehemalige Schule, hat ihre Alumni zum Berufsberatungstag der elften Klassen eingeladen. Zwei Stunden lang sollen wir von unserem Lebenslauf erzählen, unserem Weg nach dem Abi, unseren Plänen, den verworfenen und tatsächlichen, von unserem beruflichen Werdegang. Ich habe zugesagt. Warum eigentlich?

Schule und Studium: Was soll ich eigentlich erzählen?

Ich kann mich noch gut an meinen Berufsberatungstag erinnern. Vor ungefähr acht Jahren war ich in der elften Klasse, sehr verkatert und dankbar dafür, zwei Stunden lang Bloons Tower Defense auf meinem Handy spielen zu können. Ich habe keine Ahnung, was die Person, die damals vorgetragen hat, erzählt hat. Und ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, was ich nach dem Abitur machen möchte, in dieser fernen, ungreifbaren Zukunft.

Was hätte ich mir damals gewünscht, zu hören? Hätte ich meinen Weg anders bestritten? Hätte es mich überhaupt interessiert? Ein anderer Ehemaliger, der bereits im vergangenen Jahr beim Berufsberatungstag gewesen ist, erzählt mir, dass sich kaum einer der Schüler:innen für ihn interessiert habe. Verteidigend sagt er, er studiere aber auch Mathe.

07 . 01 . 2021 , Berlin / Zehlendorf : Im Zehlendorfer Schadow - Gymnasium werden Luftreinigungsfilter eingebaut , die im Zusammenspiel mit den �blichen Hygieneregeln das Risko einer Corona - anstecku ...
Das Schadow-Gymnasium inmitten bürgerlicher Gediegenheit. Bild: imago images/ Bernd Friedel

Ist es vielleicht nicht sogar vermessen, dass ich denke, Ratschläge geben zu können? Eckart von Hirschhausen und Loriot waren auf meiner Schule, die hätten vielleicht was zu erzählen, aber ich? Bei dem Mindestmaß organisatorischer Eigenständigkeit denke ich, da sollte noch mal ein Erwachsener drüberschauen. Ich bin 24 Jahre alt und habe ChatGPT vor zwei Wochen gefragt, ob ich eine Mütze brauche, wenn ich bei sieben Grad joggen gehe (Nein).

Auf die Frage, was er gerne früher gewusst hätte, hat der Musiker und Komponist Jon Batiste einmal geantwortet: "Die anderen haben auch keine Ahnung." Lässt sich natürlich leicht sagen, wenn man fünf Grammys und einen Oscar gewonnen hat. Aber was soll ich bitte für Ratschläge geben? Der Gong ertönt.

Wie geht es nach dem Abitur weiter?

Vor mir sitzen zehn apathische Jugendliche in der Blüte ihrer Pubertät, daddeln an ihren Handys rum und ich frage mich, ob Bloons Tower Defense noch ein Thema ist. Eine Stunde später kommen sechs andere Schüler:innen, diesmal werden sich Notizen gemacht. Ich erfahre, dass es meinen Deutsch-Leistungskurslehrer immer noch gibt, und dass er immer noch dieselben Witze macht. Ich stelle mich mit Du vor und werde konsequent gesiezt.

Was ich nach dem Abi gemacht habe? Ich wusste lange nicht, was mich interessiert, habe erst ein Orientierungsstudium absolviert, dann Geschichte und Publizistik und Kommunikationswissenschaften studiert, bis mich irgendwann die Erleuchtung überkam, dass die kleine Schnittstelle zwischen Interesse und Kompetenz womöglich genau im Journalismus liegt.

Währenddessen: Werkstudentenjobs im Journalismus, Praktika, Praktika, Praktika und nun: Volontariat. Ein Schüler fragt, ob wir nicht einfach jetzt rausgehen können, Leute interviewen.

Viele erzählen, dass sie zwar ungefähr wissen, wo ihre Interessen liegen, aber nicht, was man damit anfangen kann. Sie machen sich Stress. "Es ist einfach sehr schwer, wenn man jetzt vor der Entscheidung steht: Was mache ich für den Rest meines Lebens", sagt ein Schüler. Eine andere Schülerin meint, sie habe Angst, so viel Zeit in ein Fach zu investieren, das sie am Ende gar nicht wirklich interessiert. Viele wollen ein Jahr Pause machen, ein FSJ, reisen oder arbeiten. Aber sie fühlen sich dabei alleingelassen.

"Wir werden in der Schule nicht auf das Leben nach der Schule vorbereitet", sagt eine Schülerin. Schon der Wechsel von Mittel- zu Oberstufe sei für einige schwer gewesen. Sie wünschten sich mehr praktischen Unterricht, "was später auch wichtig ist", Steuererklärung, Excel-Tabellen, mehr Gestaltungsmöglichkeit ab der Oberstufe.

"Ich finde es schade, dass es überhaupt nicht angepriesen wird, nach dem Abitur erst mal etwas anderes zu machen, als zu studieren", sagt eine andere Schülerin. "Alleine dass heute nur Studiengänge vorgestellt werden, zeigt ja auch den Fokus, der gelegt wird. Viele sagen, dass sie überlegen, eine Ausbildung zu machen, aber es gibt einfach keine Information. Oder es wird als minderwertiger abgestempelt."

Was ich nach dem Abitur gerne gewusst hätte

Ein Schüler fragt, ob ich mir manchmal wünsche, nochmal zur Schule zu gehen. Ich antworte, dass ich glaube, dass man vieles im Rückblick romantisch verklärt. Er lächelt und sagt: "Ist schon geil."

Alle, mit denen ich rede, gehen gerne zur Schule. So gerne, dass sie auch noch länger in die Schule gehen wollen würden. Eine Schülerin wünscht sich auch für Berlin die Umstellung auf G9, also 13 Schuljahre, wie es viele Bundesländer bereits beschlossen oder geplant haben. Aber sie wollen danach nicht direkt studieren, arbeiten oder eine Ausbildung machen. Weil sie eine Pause brauchen und sich überhaupt nicht vorbereitet fühlen. "Erstmal debriefen", sagt eine Schülerin.

Ich denke wieder an meine Schulzeit und erinnere mich an einen Lehrer, der hochachtungsvoll von einer ehemaligen Schülerin erzählt hat, die Chinesisch und Chemie studiert hat. Das habe sie zwar nicht interessiert, sie wollte sich dem Markt aber dienstbeflissen hingeben. Und nun erzählt ein Schüler, dass eine andere der Alumni, die Grundschullehramt studiert, empfohlen hat, keine Pause nach dem Abitur zu machen, weil man sonst aus dem Lernen rauskommt.

Vielleicht hätte ich gerne früher gewusst, dass Glückskeks- und Kalendersprüche häufiger stimmen als einem lieb ist. Und dass es einem schwerfällt, sich danach zu richten. Du musst nach dem Abi keinen Job finden, den du dein Leben lang machen möchtest. Wenn du merkst, dein Studium, die Ausbildung, die Arbeit gefällt dir nicht, hab den Mut, etwas anderes zu machen. Und wenn du nicht Medizin oder Jura studieren willst, ist der Abischnitt egal.

Finde etwas, das dir Spaß macht. Mach dir nicht so einen Druck. Die Zeit nach dem Abi ist wichtig, um herauszufinden, was man eigentlich machen möchte und worin man gut ist, wie man diese Zeit gestaltet ist nebensächlich. Es ist illusorisch zu wissen, was man nach der Schulzeit machen möchte.

Am Ende fragt mich ein Schüler, ob ich noch mitkommen möchte, Bierball spielen. Erstmal debriefen.

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