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Italien-Urlaub: Zoff um Strandliegen und Sonnenschirme droht zu eskalieren

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Milliardengeschäft: Italienische Familien machen Kasse mit dem Zugang zu Strand und Meer.Bild: dpa / Matthias Schrader
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Italiens Strandkrieg: Zwist um Milliarden könnte "im Sommer 2024 eskalieren"

05.08.2024, 10:14
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In Italien tobt ein Kampf um den Strand. Bürger:innen, Politiker:innen, Unternehmer, Aktivist:innen und die Mafia tragen einen Streit aus, der seit 15 Jahren schwelt. Dabei geht es um Zugang zum Mittelmeer, Strandliegen und Sonnenschirme, Macht und viele Milliarden Euro. Auch Tourist:innen spüren im Italien-Urlaub regelmäßig die Auswirkungen des Streits. Den könnte eine "Revolution" bald zum Eskalieren bringen.

Zankapfel der Auseinandersetzung sind Strandliegen und Sonnenschirme. Die finden Urlauber:innen in der Regel bereits vor, wenn sie im Italien-Urlaub den Strand betreten. Privatunternehmer sorgen dafür, dass das Strandequipment morgens bereitsteht, wenn die Touristenströme die Küste erreichen. Zumeist hängen Strandabschnitte in Italien mit dazugehörigen Cafés, Restaurants, Bars oder Hotelanlagen zusammen.

Italien-Urlaub: Balneari verdienen Milliarden mit dem Zugang zum Strand

Die Betreiber dieser Badestellen nennt man Balneari. Und die verdienen mit der Praxis nicht schlecht. Für eine Garnitur aus zwei Liegestühlen plus Sonnenschirm zahlen Badegäste Preise ab 20 Euro pro Tag, Balneari besonders attraktiver Strandabschnitte können sogar bis zu 75 Euro berechnen.

Laut Recherchen der "Welt" setzen die Balneari so in einer Saison durchschnittlich rund 260.000 Euro um. Wie hoch der Reingewinn ist, definieren dabei hauptsächlich die individuellen Betriebskosten. Denn für die Betreiberlizenz fallen kaum Kosten an. Mit nur 7600 Euro Gebühren pro Abschnitt kalkulieren Experten.

Insofern müssen nicht nur Tourist:innen happige Preise für einen Platz an der Sonne zahlen. Der Fiskus verliert ebenfalls viel Geld. Für das Jahr 2021 ermittelte der nationale Rechnungshof in Rom Steuereinnahmen in Höhe von lediglich 97 Millionen Euro.

Dem gegenüber stehen auf Seiten der Balneari gewaltige Erlöse. Auf geschätzte zehn Milliarden Euro belaufen sich die jährlichen Einnahmen für Vertreter der Branche. Nicht einmal ein Prozent der erwirtschafteten Einnahmen wandern also ins Staatssäckel.

Verkrustete Strukturen: EU fordert freien Wettbewerb

Mehr als 99 Prozent der Erträge wandern damit in die Taschen der Lizenznehmern. Und die betreiben das Geschäft großteils im dynastischen Stil. Bereits seit dem 19. Jahrhundert regelt das Geschäftsmodell den Zugang zu Adria und Tyrrhenischem Meer. Entsprechend verkrustet sind die Strukturen.

Der Großteil der 12.100 Lizenzen zwischen Triest, Sizilien und der Riviera wandert innerhalb von Familien von Generation zu Generation. Wer Vorfahren hat, die vor dem Aufstieg des Massentourismus einen Fischerschuppen am Strand besaß, hat gute Chancen, heute am Milliardengeschäft beteiligt zu sein. Auch Kriegsversehrte und deren Nachkommen gehören zu den großen Profiteuren.

11/04/2024 Balneari in the square in Rome for the demonstration called by the acronyms Sib-Confcommercio and Fiba-Confesercenti to urge the executive to approve a law that puts an end to the ongoing c ...
In Rom demonstrieren Italiener gegen das Konzessions-Chaos.Bild: IMAGO/Stefano Ronchini

Sie scheffeln, ohne wirtschaftliches Risiko oder große Mühen, Tausende Euros jedes Jahr. Und das, obwohl die Gemeinden Lizenzen zumeist nur für ein Jahr vergeben. Statt diese öffentlich auszuschreiben, verlängern die Gemeinden die Konzessionen zumeist automatisch.

Mafia, Aktivisten und Politiker streiten: Revolution im Sommer 2024?

Damit verstößt Geschäftstradition allerdings gegen geltendes EU-Recht. Schon vor 15 Jahren rügte die Europäische Kommission Italien erstmals für die Praxis und drängt immer wieder auf die Zerschlagung der dynastischen Lizenzverteilung. Seitdem haben mehrere italienische Regierungen abgedankt, ohne den geringsten Reformwillen an den Tag gelegt zu haben.

Im Gegenteil, das Problem wird immer gravierender, die Balneari immer dreister. In den letzten zehn Jahren stieg der Anteil an der italienischen Küste, die sich unter Kontrolle der Familienunternehmen befindet, sprunghaft um ein Viertel an. In einigen beliebten Urlaubsregionen haben sich Balneari mittlerweile mehr als die Hälfte der Küstenlinie einverleibt. Dabei halten sich viele Betreiber:innen nicht an geltende Gesetze.

Denn oft kassieren die Balneari Tourist:innen am Eingang zum Strand ab. Ein eklatanter Gesetztesverstoß, entzieht sich der Zugang zum Meer doch ausdrücklich der Autorität der Balneari. Gebühren dürfen diese eigentlich nur für die Nutzung von Liegen und Schirmen erheben. Doch immer wieder fallen uninformierte Touristen auf die Betrugsmasche hinein.

Italien: Strandbetreiber fordern oft unrechtmäßig Eintrittsgelder

Das Geschäft mit dem Strand ist in Zeiten des Massentourismus so lukrativ, dass auch die Mafia ihre Finger im Spiel hat. Für das organisierte Verbrechen präsentiert das Geschäftsmodell den idealen Rahmen, um "Geld aus kriminellen Aktivitäten zu waschen", wie Eleonora Poli, vom Centro Politiche Europee (CPE) in Rom der "Welt" erklärte.

Dunkle Kanäle und kriminelle Organisationen sind dabei nicht einmal nötig, um EU-Gesetze zu verletzen. Schon der einfache Balneari vom Land ist der Europäischen Kommission ein Dorn im Auge. Geht es nach Brüssel, müssen Strandkonzessionen, wie jedes herkömmliche Geschäft innerhalb des Binnenmarktes, europaweit ausgeschrieben werden.

Damit würde mehr Wettbewerb Einzug halten, verschiedene Geschäftsmodelle könnten um Kunden konkurrieren. Von einer Ausschreibung würden vor allem Tourist:innen profitieren, weil ein ernsthafter Konkurrenzkampf kleinere Preise und kundenorientierte Angebote schaffen könnten.

Die Italiener:innen wählten mit der sogenannten "post-faschistischen" Partei Fratelli d'Italia zwar mehrheitlich eine EU-skeptische Partei. Im Streit um die Strandkonzessionen kippt die Stimmung in jüngster Zeit eher zugunsten der EU-Forderung.

Klammer italienischer Staatskasse entgehen gewaltige Steuereinnahmen

Denn nicht nur Urlauber:innen stören sich an teils horrenden Eintrittspreisen. Auch in der Bevölkerung formiert sich allmählich handfester Protest. Immer öfter flimmern Bilder von Strandbesetzungen über die italienischen Fernsehgeräte. Aktivisten protestieren lautstark mit Märschen, Bannern, Trillerpfeifen, an den Stränden und per Schlauchboot in den Küstengewässern, nicht selten kommt es dabei zu Rangeleien.

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Sie fordern nicht nur einen günstigeren Zugang zum Strand, sondern auch eine freie Bewerbungspraxis und vor allem höhere Abgaben an den Staat. Denn der italienische Staat ist notorisch klamm. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni strich den Sozialstaat seit ihrer Vereidigung zusammen, Mieten sind kaum erschwinglich und das Organisierte Verbreche schleust jedes Jahr Milliarden am Fiskus vorbei.

Dennoch mauert die Regierung. Das Thema wird in Rom ostentativ ausgeschwiegen. Die Einwände der Balneari lässt sich nicht von der Hand weisen: Sie fürchten, dass sich internationale Konzerne einmischen und so noch ungleichere Verhältnisse entstehen.

So oder so, es brodelt an der italienischen Mittelmeerküste. CPE-Chefin Eleonora Poli warnt: "Der derzeit unklare Rechtsrahmen könnte zu einer Revolution an den italienischen Küsten führen." Während Rom versucht sich aus der Debatte herauszuhalten, entbrennt der Streit zwischen Balneari und Aktivist:innen an den Stränden. Polis Spekulation für den Streit: "Es sieht so aus, als würde er im Sommer 2024 eskalieren".

Supermarkt: Gestiegene Obstpreise schrecken Verbraucher ab

In den USA hat das Thema mutmaßlich die Präsidentschaftswahl mitentschieden und auch bei der Bundestagswahl in Deutschland dürfte es bei der Stimmabgabe eine wichtige Rolle spielen: die gestiegenen Verbraucherpreise. Dass sie seit einiger Zeit beim Lebensmitteleinkauf tiefer in die Tasche greifen müssen, frustriert Kund:innen.

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