Mit Snapchat verbinden die meisten Leute wahrscheinlich lustige Filter mit Hundeschlappohren, Kulleraugen oder Regenbögen, die einem aus dem Mund sprudeln. Nun hat die Social-Media-Plattform jedoch einen etwas anderen Filter vorgestellt: Die #PlasticGate-Lens verwandelt das Brandenburger Tor in einen Müllberg. Sobald Besucher:innen ihre Snapchat Kamera auf das Berliner Wahrzeichen richten, kommen aus allen Richtungen Flaschen, Shoppingtüten und anderer Plastikmüll angeflogen, die das Tor komplett verhüllen.
Für alle, die nicht in Berlin sein können, vermittelt die begleitende #PlasticWorld Lens ein ähnlich beklemmendes Gefühl: Per Augmented Reality versinken die eigenen vier Wände in einem Bruchteil von Sekunden im Plastikmüll. Damit möchte das Unternehmen Snap Aufmerksamkeit für das immer größer werdende Plastikproblem schaffen und junge Menschen zum Handeln bewegen.
Doch führt der virtuelle Weg auch tatsächlich zu Protesten im politisch und sozialen Leben?
Digitaler Aktivismus wie dieser ist kein neues Phänomen – schon längst werden Social-Media-Plattformen nicht mehr nur zum Teilen von Katzenbildern, sondern auch zum Verbreiten von politischen Inhalten genutzt. Watson hat mit Umweltaktivist Moritz Tapp und Nachhaltigkeits-Influencerin Laura Grosch über die Bedeutung von Online-Aktivismus gesprochen und nachgefragt, ob Aktionen auf Social Media den Protest auf der Straße ersetzen können.
Laut einer Studie des Umweltbundesamts fallen allein in Deutschland jährlich 6,3 Millionen Tonnen Plastikabfälle an. Der Kunststoff gelangt auf unterschiedlichen Wegen in die Natur, wo er sich nur sehr langsam zersetzt.
Die Auswirkungen von Plastikmüll in Meeren bekommen wir bereits heute zu spüren: Zahlreiche Tiere verhungern mit vollen Mägen, weil Verpackungen, Tüten und Flaschen ihre Verdauungsapparate verstopfen. Außerdem können sich Delfine, Wale und Schildkröten in Fischernetzen verfangen und sich bei Befreiungsversuchen schwer verletzen.
"Das Thema Plastik überspannt unsere ganze Welt. Mittlerweile wurde unfassbar viel Plastik produziert und diese Stoffe sind inzwischen in jedem lebenden Organismus vorhanden", erlärt Moritz Tapp, Mitglied des Bundesvorstandes bei BUND und BUNDJugend, gegenüber watson. Denn nicht nur sichtbare Plastikstücke sind ein Problem, sondern auch kleine Mikroplastikteile verschmutzen die Umwelt – und unsere Körper. Klärwerke können die weniger als fünf Millimeter großen Plastikstücke nicht zurückhalten und so gelangen diese zum Teil sogar in unser Trinkwasser.
Die AR-Lenses sollen nicht nur Bewusstsein für dieses Problem schaffen, sondern junge Leute auch dazu animieren, sich zu informieren und aktiv zu werden. "Als Plattform, die rund 90 Prozent der 13- bis 24-Jährigen in Deutschland erreicht, möchten wir Snapchatter*innen helfen, ihre Gedanken und Gefühle zur Klimakrise auszudrücken und das Thema Plastikmüll zurück auf die gesellschaftspolitische Agenda zu bringen", erklärt Lennart Wetzel, Head of Public Policy DACH bei Snap, in einer Pressemitteilung.
Die Bedeutsamkeit von digitalem Aktivismus betont auch Moritz Tapp. "Spätestens Corona hat gezeigt, dass kreative und neu gedachte Aktionsformate wichtig sind, um junge Menschen erreichen zu können", heißt es in einem Pressestatement. "Auf digitalen Plattformen und auf Social Media informieren sich unzählige Jugendliche politisch, die wir bisher nur teilweise erreichen."
Virtuell aktivistisch unterwegs zu sein ist vor allem für Menschen bedeutsam, die aufgrund unterschiedlicher Barrieren nicht an analogen Protesten teilnehmen können: So sind große Demonstrationen für Leute mit einer körperlichen Behinderung oder einer Angststörung beispielsweise gar nicht oder nur sehr schwer zugänglich. "Es hat viel damit zu tun, was die Menschen persönlich leisten können", erzählt Tapp im watson-Gespräch. Dazu gehört auch die zeitliche sowie die mentale Kapazität, die aufgebracht werden kann.
Für den 21-Jährigen ist virtueller Aktivismus deshalb ein erster und wichtiger Schritt, um Veränderungen anzustoßen. Weiter kritisierte er jedoch: "Ich glaube, lösen wird ein Filter das Plastik-Problem nicht. Lösen können wir das nur durch politische Änderungen und Aktivismus in der echten Welt."
Auch Influencerin Laura Grosch sieht in virtuellem Aktivismus eine Chance. Auf ihrem Instagram-Kanal "laurafruitfairy" spricht sie neben Spiritualität und Reisen auch über das Thema Nachhaltigkeit.
"Egal, ob wir nur 100 oder 100.000 Menschen erreichen: Unsere Stimme zählt", betonte sie im Gespräch mit watson. "Wenn wir uns informieren und wichtige Botschaften weitertragen, dann hat das einen Welleneffekt auf Menschen in unserem Umfeld und hoffentlich auch irgendwann global."
Sie hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, ihre Reichweite zu nutzen und ihre Follower:innen zu inspirieren. "Das, was du tust, konsumierst, isst oder erzählst, macht einen Unterschied auf der Welt."
(fw)