Interessiert die Menschen das Klima gerade nicht? Warum spricht bei dieser Wahl niemand übers Klima? Als Klimaaktivistin wird mir dieser Tage keine Frage so häufig gestellt wie diese beiden.
Der ersten Frage liegt ein gefährlicher Trugschluss zugrunde. Gerade erst hat eine Umfrage gezeigt: Die Mehrheit der Wähler:innen hält Klimaschutz für das wichtigste Thema bei dieser Wahl.
Dazu kommen die Umfragen, die seit Jahren immer wieder bestätigen, dass die Mehrheit der Menschen, unabhängig von ihrer Parteipräferenz, mehr Klimaschutz will. In diesem Wahlkampf bekommen wir einen Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn sich diese Erzählung weiter verbreitet.
Wenn man sich den Wahlkampf anschaut, dann bekommt man den Eindruck, die Klimakrise finde auf einem anderen Planeten statt oder sei längst Geschichte. So als hätte es im Ahrtal keine Flut gegeben, so als ob uns die Zerstörung durch die Klimakatastrophe nicht schon längst Milliarden gekostet hätte. Als wären Gaskraftwerke sauber, Windräder ein hässliches Problem und Klimaschutz ein Luxus, den wir uns nicht leisten können.
Die Realität ist doch die: Die Klimakrise macht sich selbst zum Thema in diesem Wahlkampf – ob nun viel darüber gesprochen wird oder nicht. Sie eskaliert weiter. Das auszuklammern ist nichts anderes als eine gefährliche Verzerrung der Realität. Die Mehrheit der Menschen will eine ehrgeizige Klimapolitik – fordert diese aber nicht deutlich ein.
Teilweise aus Angst inmitten all der gesellschaftlichen Krise nicht gehört zu werden und damit alleine zu sein, teilweise weil sie es sich schlicht nicht leisten können, sich ehrenamtlich einzubringen. Die Folge: Politiker:innen bezeichnen Klimaschutz als unbeliebt, rechte Akteure feiern jeden Rückschritt als Sieg und die Errungenschaften, die wir die vergangenen Jahre auf der Straße erkämpft haben, drohen rückgängig gemacht zu werden.
Dieses Phänomen nennt sich pluralistische Ignoranz: Weil Menschen nicht sehen, dass andere genauso denken wie sie, fühlen sie sich isoliert. Sie erleben eine Politik, die lieber über Heizverbote spricht, als zu erklären, wie klimaneutrale Wärme für alle bezahlbar wird. Sie sehen ein "Kanzlerduell", in dem nicht eine einzige Frage zur Klimakrise gestellt wird.
Unternehmen, die Klimaschutz als Bedrohung inszenieren statt als wirtschaftliche Chance. Und so entsteht der Eindruck: "So schlimm kann es ja nicht sein", "Wir tun doch schon genug" oder "Wir können es ja sowieso nicht mehr schaffen". Verschlimmert wird die Lage durch ein weiteres Phänomen: Bedingte Kooperation.
Wer grundsätzlich zu Kooperation bereit ist, will erst sehen, dass andere auch mitmachen. Etwas, das normalerweise für Stabilität sorgt, aber in der Klimakrise zum größten Hemmschuh wird. Denn während jeder darauf wartet, dass "die anderen" etwas tun, vergeht wertvolle Zeit. Politik reagiert auf eine scheinbar desinteressierte Gesellschaft mit Verzögerung und Rückschritt. Diese Dynamik machen sich rechte Akteure zunutze, um weiter Unsicherheit zu schüren.
Und so entsteht eine verzerrte Wahrnehmung, die gefährlicher ist als jede Klimaskepsis: Der Glaube, dass der Kampf für Klimaschutz längst verloren sei, es niemanden mehr interessiere, dass alle anderen aufgegeben hätten.
Und genau davon profitieren diejenigen, die niemals ein Interesse daran hatten, den Wandel mitzugestalten. Wenn die Mehrheit denkt, sie sei in der Minderheit, dann bleibt sie leise. Und wenn wir leise bleiben, dann setzen sich diejenigen durch, die am lautesten schreien: Populisten.
All diese Dynamiken machen es nicht einfacher, aktiv zu werden, aber umso notwendiger. Die uns bevorstehende Wahl entscheidet am Ende nicht darüber, ob Klimaschutz gemacht wird. Sie entscheidet nur noch darüber, wie. Ob der Wandel gerecht gestaltet wird oder ob er diejenigen trifft, die sich am wenigsten dagegen absichern können. Deswegen ist es unsere Aufgabe, genau jetzt diese Dynamiken zu durchbrechen.
Denn eines ist klar: Wer in dieser Krise regiert, muss auch in ihr handeln. Und wer sich davor drückt, ist keine Option für die Zukunft. Was klimapolitisch passieren muss, ist eigentlich eindeutig. Die Lösungen kennen wir längst. Es braucht einen Kohleausstieg bis 2030, einen verbindlichen und gut durchdachten Gasausstieg bis 2035.
Klimaschutz muss für alle bezahlbar sein – mit einer Wärme- und Mobilitätsgarantie, die sichert, dass klimafreundliches Heizen und öffentlicher Nahverkehr nicht vom Geldbeutel abhängen. Die Superreichen und fossilen Konzerne, die jahrelang von fossilen Strukturen profitiert haben, müssen endlich ihren gerechten Beitrag leisten.
Und die nächste Regierung muss sich der Realität stellen: Egal, welche Partei regiert – sie wird in der Klimakrise regieren. Wer jetzt keinen Plan hat, der setzt unsere Sicherheit, unsere Demokratie, unsere ganze Zukunft aufs Spiel. Und weil wir das wissen, gehen wir heute in über 150 Städten auf die Straße.
Trotzdem werden wir wieder gefragt werden, ob die geringeren Teilnehmerzahlen als noch 2019 nicht bedeuten, dass die Klimakrise die Menschen nicht mehr interessiere. Aber wir wissen, dass genau diese Frage der Grund ist, wieso es so wichtig ist laut zu bleiben.
Es liegt an uns, diese Verzerrung zu durchbrechen und klarzumachen: Klimaschutz ist keine Frage des politischen Zeitgeists, sondern eine existenzielle Notwendigkeit. Wir warten nicht darauf, dass die nächste Flutkatastrophe oder eine unerträgliche Hitzewelle Klimaschutz zurück in die Debatte zwingt. Wir gehen auf die Straße, weil die Klimakrise nicht wartet, bis sie Wahlkampfthema wird.