Nachhaltigkeit
Interview

Abschlussbericht des Weltklimarats: So schaffen wir das 1,5-Grad-Ziel doch noch

CALDOR, CALIFORNIA, UNITED STATES - 2021/08/23: Californias Caldor fire moves east toward Lake Tahoe as firefighters continue to battle a blaze that has grown to more than 170 square miles with only 5 ...
Die Erderhitzung führt zu immer mehr Katastrophen auf der ganzen Welt. Bild: LightRocket / Pacific Press
Interview

Abschlussbericht des Weltklimarats IPCC: So schaffen wir das 1,5-Grad-Ziel doch noch

19.03.2023, 15:1720.03.2023, 08:31
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Seit 35 Jahren schon warnt der Weltklimarat (IPCC) vor den Folgen der Erderhitzung. Die Appelle der Forschenden werden immer dringlicher, die Forderung nach drastischen Maßnahmen steigt: Denn je länger wir warten, umso gravierender werden auch die auf der ganzen Welt ausgelösten Krisen ausfallen.

Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner, Co-Chair der IPCC Working Group II (WG II) und Leiter der Sektion Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.

Prof Dr. Hans-Otto Poertner, Co-Ch ...
Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner mahnt, schnellstmöglich gegen die Folgen der Klimakrise vorzugehen. Bild: Alfred-Wegener-Institut, Helmhol / Kerstin Rolfes

Doch warum ist der kurz vor der Veröffentlichung stehende Bericht des Rates so wichtig? Worum geht es genau? Und was müssen Politik und Gesellschaft tun, um die schlimmsten Folgen noch zu verhindern? Darüber hat watson mit Hans-Otto Pörtner gesprochen. Er ist Co-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe 2 und Leiter der Sektion Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut.

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Watson: Berichte und Studien darüber, was uns aufgrund der Erderhitzung droht und wie sich das Schlimmste verhindern ließe, gibt es zur Genüge. Was es braucht, ist politisches Handeln. Warum ist der IPCC-Bericht dennoch essenziell?

Hans-Otto Pörtner: Was es braucht, und da stimme ich Ihnen vollkommen zu, ist politisches Handeln. Es braucht aber zunächst auch volles politisches Verstehen. Und das ist letztendlich auch die Aufgabe des Syntheseberichts: Die Ergebnisse der drei Arbeitsgruppenberichte und der Sonderberichte aus den letzten sieben Jahren zusammenzufassen in klare Aussagen.

Was den Zustand des Klimasystems angeht, was die Möglichkeiten angeht, dagegen vorzugehen und natürlich inwieweit es möglich ist, dass Mensch und Natur sich an den Klimawandel anpassen. Und das alles sind Schlüsselfragen, die in dieser Zusammenfassung noch einmal in einem anderen Licht erscheinen, weil der Kontext ein größerer ist.

"Der Synthesebericht hat die Aufgabe zu sagen: 'Leute, so wie bisher können wir nicht weitermachen.'"

Weshalb ist der Kontext im Synthesebericht ein größerer?

Weil plötzlich ein Satz, der in einem Bericht vor fünf Jahren verabschiedet wurde, im Kontext der Synthese in einem anderen Licht erscheint. Das kann ganz neue Diskussionen auslösen. Aber natürlich geht es vor allem darum, dass politisch gehandelt werden muss. Die Welt braucht aber auch eine ständige Erinnerung, wie der Stand der Wissenschaft jetzt ist und wie sich das Gesamtbild durch sieben Jahre Detailarbeit verändert hat.

FILE PHOTO: GRANGEMOUTH, SCOTLAND - NOVEMBER 1: BP's Huge oil refinery complex continues it's 24 hour production of petroleum and gas, November 1, 2004 at Grangemouth in central Scotland. Th ...
Statt zu sinken, steigen die Emissionen noch immer auf der ganzen Welt.Bild: Getty Images Europe / Christopher Furlong

Sieben Jahre, weil das immer der Zeitraum eines IPCC-Zyklus ist.

Richtig. Und der Synthesebericht hat deswegen auch die Aufgabe zu sagen: "Leute, so wie bisher können wir nicht weitermachen." Die Emissionen steigen, obwohl sie eigentlich drastisch sinken sollten. Die Regierungen müssen handeln und sich auch in nationalen Debatten an dem Bericht orientieren, weil es einen ganz wesentlichen Punkt gibt – und das ist die Zeit, die uns rasend schnell davon läuft.

Die Menschheit als Ganzes muss versuchen, sich so aufzustellen, dass sie mit den bereits erfolgten Klimaänderungen umgehen kann und ambitionierten Klimaschutz betreibt, um eine Wende zu erfolgreichem Klimaschutz zu schaffen.

Worum wird es in dem Synthesebericht schwerpunktmäßig gehen?

Schwerpunktmäßig wird es darum gehen, den Bogen richtig zu spannen, allem voran mit Blick auf die Emissionen. Die Fragen, die sich stellen, sind: Was können wir dagegen tun? Welche Optionen haben die Arbeitsgruppen in ihren Berichten ausgearbeitet? Welche Optionen haben wir mit Blick auf Anpassungs- und Minderungsmaßnahmen? Und die Botschaft, die man schon aus dem Bericht unserer Arbeitsgruppe aus 2022 mitnehmen sollte, ist ganz eindeutig: Wir haben ein kleines Zeitfenster, in dem wir uns noch eine lebenswerte Zukunft sichern können, aber dieses Zeitfenster schließt sich.

"Ob das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann, ist ganz klar eine Frage der politischen Prioritätensetzung und des politischen Willens."

Was sind die wichtigsten Handlungsfenster, die sich daraus für die Politik ergeben?

Das erste ist ganz klar: Die Emissionen müssen runter, runter, runter – und das zeitgerecht. Und das zweite ist, dass die Art und Weise, wie wir leben, eine ganz wichtige Rolle spielt: Wir müssen also unseren Umgang mit natürlichen Ressourcen verändern und eine Transformation hin zu einem emissionsärmeren Leben schaffen. Das betrifft aber letzten Endes alle gesellschaftlichen Bereiche – von der menschlichen Ernährung bis zu unseren Fortbewegungsmitteln, unserer Lebensweise in Städten und ihrem Umgang mit dem Wachstum bis hin zum Gesundheitsschutz.

Man sieht also: Es ist eine riesige Herausforderung, der wir uns in all ihren Einzel-Aspekten stellen müssen. Und genau darum geht es.

BERLIN - MARCH 13: Rush hour traffic makes its way through the district of Steglitz on the ninth day of a strike by Berlin public transit authority (BVG) workers on March 13, 2008 in Berlin, Germany.  ...
Die Transformation zu einer klimafreundlichen Welt betrifft alle Lebensbereiche – auch den Verkehr. Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup

Nun wurde das 1,5-Grad-Ziel bereits vor einigen Monaten von Forschenden für tot erklärt. Mal angenommen, die Politik würde sich an die im Synthesebericht vorgegebenen Maßnahmen halten: Könnten wir das 1,5-Grad-Ziel doch noch erreichen?

Ob das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann, ist ganz klar eine Frage der politischen Prioritätensetzung und des politischen Willens. Es ist natürlich eine massive Mobilisierung erforderlich, um dieses Ziel noch zu schaffen. Und das bedeutet vor allen Dingen das Zusammenbringen der Emissionsreduktion mit dem Schutz der Artenvielfalt und der Renaturierung von Ökosystemen, die auf lange Sicht helfen, das Klima zu stabilisieren. Es stellt sich die Frage danach, wie es der Politik gelingt, auf Basis der wissenschaftlichen Informationen die Gesellschaft mitzunehmen und ein ambitioniertes Handeln an den Tag zu legen.

Der Handlungsdruck für die Politik nimmt aber zu, auch durch Ereignisse wie etwa die Überflutungen des Ahrtals.

Ja, der Handlungsdruck ist enorm. Denn je länger wir warten, bis uns der Klimawandel irgendwann massiv auf die Füße fällt, umso mehr müssen wir fürchten, dass wir irgendwann so drastisch einschneidende Maßnahmen vornehmen müssen, um unser Überleben zu sichern, dass es sehr unangenehm wird. Es kommt ja jetzt erst so langsam in der Diskussion auf, dass die Klimaschäden, wenn wir keine oder nicht ausreichend Klimaschutzmaßnahmen vornehmen, in ihrem Umfang deutlich kostspieliger sein werden, als wenn wir ambitionierten Klimaschutz vornehmen.

Wodurch auch unser Wohlstand massiv geschädigt wird.

Richtig. Und aus dieser Trägheit herauszukommen, ist unsere Hauptaufgabe – und dafür brauchen wir alle Teile der engagierten Gesellschaft, vom Einzelnen bis hin zur Politik.

"Je weiter wir die Erwärmung laufen lassen, umso größer ist auch der Preis, den wir dafür zahlen müssen. Und der bemisst sich leider auch an verlorenen Menschenleben."

Wie hoffnungsvoll sind Sie, dass dies passieren wird und wir doch noch die Kurve kriegen werden?

Man muss zumindest sagen, dass eine Beschleunigung im Handeln stattgefunden hat. Auch wenn das noch lange nicht reicht und noch immer genügend Leute auf der Bremse stehen. Bei mir ist aber trotzdem Hoffnung da, dass wir in eine exponentielle Phase kommen, die in konsequentem Handeln in den verschiedenen Bereichen mündet. Aber trotzdem besteht natürlich mit jedem Tag das Risiko, dass wir über das Ziel hinausschießen und es nicht mehr erreichen werden.

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Schon heute führt die Erderhitzung weltweit zu immer mehr und immer drastischeren Krisen. Bild: AP / Thoko Chikondi

Treibt Sie das nicht in die pure Verzweiflung?

Es ist ja keine Schwarz-Weiß-Situation. Natürlich ist das 1,5-Grad-Ziel das vernünftigste Klimaziel, das wir haben. Aber es kommt auf jedes Zehntelgrad an – und wenn wir die 1,5 Grad nicht schaffen, dann dürfen wir trotzdem nicht aufgeben, dann müssen wir eben auf 1,6 oder 1,7 Grad abzielen. Wir müssen uns nur darüber im Klaren sein: Je weiter wir die Erwärmung laufen lassen, umso größer ist auch der Preis, den wir dafür zahlen müssen. Und der bemisst sich leider auch an verlorenen Menschenleben und beschädigten Ökosystemen.

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