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Yann Bisseck bei Inter: Wie "das große Steak" seinen Traum erfüllte

Empoli FC v FC Internazionale - Enilive Yann Aurel Bisseck of FC Internazionale looks on during the Serie A Enilive match between Empoli FC and FC Internazionale at Stadio Carlo Castellani on October  ...
"Il Bisteccone", also "das große Steak" wird Bisseck von italienischen Fans genannt. Bild: IMAGO images / Giuseppe Maffia
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Yann Aurel Bisseck: Über Umwege ins Champions-League-Viertelfinale

Inter Mailand trifft im Viertelfinale der Champions League auf den FC Bayern und Yann Aurel Bisseck damit auf seine DFB-Kollegen. So darf er Joshua Kimmich und Co. nämlich jetzt nennen.
08.04.2025, 10:1708.04.2025, 10:17
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Vielleicht hat er es in Dellbrück gelernt. Dort, wo er aufgewachsen und Köln noch dörflich ist, man samstags auf Asche spielt und sonntags beim Bäcker den Jugendtrainer trifft. Vielleicht hat er dort gelernt, geduldig zu bleiben. Und darauf zu vertrauen, dass es sich auszahlt, weiterzumachen, auch wenn man ans Aufgeben denkt.

Anders ist es kaum zu erklären, mit welcher Ruhe Yann Aurel Bisseck seinem DFB-Debüt am 23. März 2025 entgegenblickte. Einem Debüt, das zwischenzeitlich in weite Ferne rückte.

Aber der Reihe nach. Wenn man einen Roman über die Karriere von Bisseck schreiben würde, würde das erste Kapitel wohl auf einem Bolzplatz in besagtem Kölner Stadtteil spielen. Dort kickt Bisseck für den SV Adler Dellbrück, ehe er ein paar Jahre später zum großen Nachbarn wechselt, dem 1. FC Köln.

Es war einmal: Bisseck und der 1. FC Köln

Es ist der Anfang einer Beziehung, wie sie in Köln oft beginnt: voller Hoffnung und Lokalstolz. Und mit dem Gefühl, hier etwas ganz Großes werden zu können. Bisseck ist gerade mal 16 Jahre alt, als er am 16. November 2017 zum ersten Mal vom Spielfeld auf eine tobende Hans-Schäfer-Südkurve blickt. Damals schreibt er Geschichte. Als jüngster Bundesliga-Spieler des Effzeh aller Zeiten, zweitjüngster der Ligahistorie.

Zu dem Zeitpunkt studiert Bisseck bereits Volkswirtschaftslehre an der Uni zu Köln, sein Abi hat er hinter sich gebracht. Weil er, wie Antonio Rüdiger ihm später attestiert, "ein Genie" ist. Die zweite Klasse hat er übersprungen.

Sein Interesse für Mikro- und Makroökonomie ist aber nicht so groß wie befürchtet. Bisseck wechselt sein Studienfach: Der Bachelor in Media- und Marketingmanagement soll es nun sein, fortan im Fernstudium. Aber warum will er überhaupt studieren? "Einfach aus Interesse", sagt er später als Spieler von Holstein Kiel in einem Gespräch. "Und damit die Birne frisch bleibt."

Seine Mittwochabende will er aber nicht vor dem Laptop verbringen und für Klausuren lernen. Viel lieber würde er in Barcelona sein, im Camp Nou und zur Primetime gegen den Ball mit den Sternen treten.

"Ich dachte, es kann jetzt nur weiter nach oben gehen", erinnert er sich später im Interview mit "11Freunde". In Köln, wo alles anfing, werde er jetzt jedes Spiel machen. "Ich werde hier eine Legende", so Bisseck. Doch aus dem Kölner Supertalent wurde kein nächster Podolski.

Cologne, Germany 26.11.2017, 1. Bundesliga 13. Spieltag, 1. FC Koeln - Hertha BSC Berlin, Yann Aurel Bisseck (Koeln, L(Leipzig) neben Gegenspieler Davie Selke (Hertha). ( DeFodi512 *** Cologne Germany ...
Sein Profidebüt gegen Hertha endete mit einer 0:2-Niederlage.Bild: imago sportfotodienst / DeFodi

Stattdessen führt sein Weg zurück in die U19, nach drei Einsätzen in der Bundesliga war erstmal Schluss. Man hatte keine Verwendung mehr für ihn. Weder als Köln unter Stefan Ruthenbeck in die zweite Liga abstieg noch als Markus Anfang den Verein anschließend wieder ins deutsche Oberhaus führen sollte. Man setzte auf etablierte Kräfte.

Bisseck dürfe zwar mittrainieren, hatte Anfang ihm im Trainingslager gesagt, Hoffnungen auf einen Einsatz brauche er sich aber keine zu machen.

"Da habe ich mich gefragt", sagt er später dem "Geissblog", "wieso ich diesen Vertrag unterschrieben habe". Vor der Saison 2018/19 verlängert Bisseck beim Effzeh, bis 2022 will er den Geißbock auf seiner Brust tragen. Aber statt am Rhein auf den großen Durchbruch zu warten, schlägt er ein neues Kapitel auf. Und das spielt in Kiel.

Leihen, lernen, zweifeln: Bisseck denkt ans Aufhören

Im Januar 2019 zieht es Bisseck ins Storchennest. Im Trikot von Holstein Kiel kommt er auf drei überschaubare Einsätze. Nicht genug für einen jungen Wilden wie ihn. Schnell verabschiedet er sich wieder.

Wie es sich im hohen Norden gehört, hisst er die Segel und steuert auf den Hafen namens Roda Kerkrade zu. Dort angekommen, spielt er für eine Saison in der zweiten niederländischen Liga, ehe er sich im Folgejahr dem portugiesischen Erstligisten Vitória Guimarães anschließt.

Was wie ein spaßiger Interrail-Trip klingt, entpuppt sich als Wanderzirkus auf Leihbasis. Und ist beinahe das Ende eines Traums.

Weder in Kiel noch bei Kerkrade oder Guimarães findet Bisseck sein Glück. In Portugal landet er sogar in der zweiten Mannschaft. Er denkt ans Aufhören und daran, eine WG in Berlin zu gründen und Medizin zu studieren. "Aber dann", erzählt Bisseck im "11Freunde"-Interview, "habe ich mir gesagt, dass ich so viel investiert habe". Er entscheidet sich für einen letzten Versuch. Diesmal in Dänemark, bei Aarhus GF.

Alle Wege führen nach Mailand – irgendwann

In der dänischen Superliga gelingt, was zuvor nicht klappen wollte: Bisseck wird Stammspieler. Unter Uwe Rösler wächst er zur zentralen Figur in der Abwehr und wird zum besten Innenverteidiger der Liga gewählt.

Plötzlich ist er auf den Zetteln europäischer Topklubs. Eintracht Frankfurt will ihn, Inter Mailand will ihn. Und Bisseck? Was will er? "Ich wollte erst mal wissen, wie ernst sie es meinen", sagt er später im Interview mit dem "Kicker".

So ganz scheint er der Sache nämlich nicht zu trauen. Er weiß, dass in Mailand die Konkurrenz größer ist denn je: Stefan de Vrij, Alessandro Bastoni und Benjamin Parvard beherrschen die Feinheiten der italienischen Verteidigungskunst. Bisseck hingegen muss das noch lernen. Also greift er zum Hörer. "Als ich dann den Sportdirektor am Telefon hatte, habe ich es geglaubt."

Im Sommer 2023 wechselt der U21-Kapitän des deutschen DFB-Teams für sieben Millionen Euro in die Serie A. Zu einem Verein, bei dem Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann und Andreas Brehme einst Geschichte schrieben. Und er schreibt seine eigene.

Beginnend an dem Tag, als Inter Mailand zum dritten Mal in Folge die Supercoppa gewinnt. Und Bisseck erstmals einen Titel.

Bisseck wird Pokalsieger, Meister und DFB-Debütant

In der saudischen Hauptstadt Riad, dort, wo die italienische Version des Supercups ausgetragen wird, streckt Lautaro Martínez, der Siegtorschütze zum 1:0 gegen Neapel, den Pokal als erster gen Himmel. Was bei dem Argentinier beinahe routiniert aussieht, muss Bisseck erstmal üben. Es ist seine erste Trophäe überhaupt.

"Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen soll", sagt der damals 22-Jährige etwas perplex. Zu sehen ist Bissecks Reaktion in einem Video, hochgeladen auf dem offiziellen Tiktok-Account von Inter Mailand. Mehr als 120.000 Menschen gefällt, wie er sich am Trikot zippelt, vor Glück grinst und sich schulterzuckend fragt, ob er auch eine Medaille bekommen werde.

Die bekommt er. Und obendrauf eine zweite, als Inter Mailand einige Monate später Meister wird und damit zum 20. Mal den Scudetto gewinnt. Ausgerechnet im "Derby della Madonnina" gegen Stadtrivale AC Milan.

Zum ersten Mal in seinem Leben kommt der "kölsche Jung" in den Genuss, auf dem Dach eines doppelstöckigen Busses durch Mailand chauffiert zu werden, angefeuert von himmelhochjauchzenden Inter-Fans, die ihm Sprechchöre widmen und ihn liebevoll "Il Bisteccone", also "das große Steak", nennen.

Zwischen seinen Zähnen klemmt eine Zigarre. Seinen Hals schmückt eine goldene Kette, daran ein funkelndes Kreuz, schwer von Bedeutung. Sie ist sein stiller Begleiter aus Metall und Hoffnung. Getragen hat er sie schon, da war er 18 Jahre alt, spielte in Kiel und konnte sich nicht erklären, warum "viele Sachen", die er sich gewünscht hatte, "auch so passiert sind". Das möge Glück gewesen sein, vielleicht Zufall. "Aber es kann natürlich auch Gott sein", sagt er zufrieden.

Es ist diese ruhige, fast stoische Gelassenheit, die ihn auszeichnet. Gepaart mit einem gewissen Urvertrauen – in Gott, in sich selbst, in die Idee, dass Rückschläge dazugehören. Dass nicht jeder den "klassischen Weg" gehen muss, um den Sprung in die A-Nationalmannschaft zu schaffen. Und man über Umwege ins Viertelfinale der Champions League gelangt.

"Trust the process", schreibt er ständig auf Instagram. Ein Spruch, der für ein Wandtattoo nicht geeigneter hätte sein können, prangt als Hashtag unter fast jedem seiner Beiträge. Bisseck hat es manifestiert. Und es hat sich ausgezahlt.

Union Berlin: Christopher Trimmel geriet bei "fieser Frage" ins Wanken
Christopher Trimmel hat seinen Vertrag bei Union Berlin verlängert – und trotzdem könnte er bei einem anderen Verein seine Karriere beenden. Immerhin unternahm er den Versuch, einer "fiesen Frage" aus dem Weg zugehen.

Christopher Trimmel bleibt. Das ist die Nachricht, die Union Berlin am Karfreitag verbreitete, und sie kommt mit einem gewissen Symbolwert. Der Kapitän, das Gesicht der vergangenen Dekade, geht im Sommer in seine zwölfte Spielzeit bei den Köpenickern. 2014 war Trimmel vom SK Rapid Wien in die zweite deutsche Liga gewechselt.

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